Lieber du, schreibt man Dich eigentlich noch groß? Mehr können wir ihnen dazu im Moment nicht sagen, aber Ihnen natürlich schon. Wer kennt Sie noch, die richtigen Anredeformen? Ein Kapitel zum Thema Groß und klein bei Du und dein – und über den seltsamen Umgang mit Ihnen und Sie.
Mit der Wahl der passenden Anredepronomen tut sich manch einer schwer; und damit ist hier nicht die Frage gemeint, wann wir jemanden duzen oder siezen sollten; hier geht es vielmehr um die Probleme, die uns die Anredepronomen im Schriftlichen bereiten, weshalb man sie eigentlich auch Anschreibepronomen nennen könnte.
Im Zuge der Rechtschreibreform wurden alle Großschreibungen bei Duz-Formen abgeschafft. Wer seinem besten Freund einen Brief oder eine E-Mail schreibt, braucht ihn nicht länger mit „Du“ anzureden, ein kleines „du“ genügt.
Was den einen eine Erleichterung, ist anderen ein Ärgernis. Das großgeschriebene Du war doch schließlich eine Respektsbekundung, die nun mirnichts, Dirnichts entfällt, sagen die Gegner des kleingeschriebenen „du“. Jahrelang habe man den Freund mit großem „Du“ hofiert, nun soll man ihn plötzlich mit einem mickrigen „du“ abspeisen? Das käme doch einer Herabwürdigung gleich und einer Abwertung der Freundschaft! Das sehe aus wie eine unsinnige Kürzungsmaßnahme, als wollte man nun auch noch am Respekt sparen. So einen Unfug könnten sie nicht verantworten, sagen sie, und glücklicherweise müssen sie das auch nicht, denn die Abschaffung des großgeschriebenen „Du“ mag zwar inzwischen an den Schulen gelehrt werden; wie aber jemand in seiner privaten Korrespondenz verfährt, ist Gott sei Dank immer noch ganz allein seine Sache, da kann ihm keine Kultusministerkonferenz dieser Welt hineinreden.
Viel schwerer aber haben es die Journalisten, die sich immer wieder fragen müssen, wie sie die Duz-Anrede im Interview oder in Zitaten zu schreiben haben. Die Antwort lautet: klein! Und das war schon immer so, also auch vor Einführung der Rechtschreibreform. Wenn der lässige Reporter im Gespräch mit dem Fußballspieler die kumpelhafte Frage stellt, ob er sich denn von der letzten Niederlage inzwischen erholt habe, so bleibt es sein Geheimnis, ob er das „Du“ dabei großspricht oder kleinspricht, aber im später abgedruckten Interviewtext muss es kleingeschrieben werden: „Hast du dich denn von der letzten Niederlage inzwischen einigermaßen erholt?“
Denn hierbei handelt es sich lediglich um die WIEDERGABE eines Gesprächs, und beim Wiedergeben und Zitieren müssen eventuelle Höflichkeitsformen nicht berücksichtigt werden, solange es sich um Pronomen der zweiten Person handelt. Auch in der Literatur hat es nie der Großschreibung bedurft, wenn sich zwei Personen in einer Geschichte unterhalten:
Die Sonne war schon untergegangen, als der Kater endlich nach Hause kam. Feline erwartete ihn bereits voll Ungeduld. „Warum kommst du so spät?“, fragte sie, „ich habe mir große Sorgen um dich gemacht!“ – „Aber du weißt doch, dass du dir keine Sorgen um mich zu machen brauchst“, sagte Felix und leckte sich die blutverschmierte Tatze, „der fette Mops wird sich so bald nicht wieder in meine Nähe wagen!“
In der Mehrzahl bereitete die Anrede erst recht Probleme: „Liebe Tante Emmi, lieber Onkel Berti, wie geht es euch/Euch? Habt Ihr/ihr meine Karte aus Italien bekommen? Ich habe mich über euer/Euer Geschenk jedenfalls sehr gefreut!“
Auch damit ist nun Schluss, der Rechtschreibreform sei Dank (?), jetzt gibt es nur noch kleine „ihrs“ und „euchs“, Tante Emmi und Onkel Berti sind gewissermaßen zu tante emmi und onkel berti geworden.
Doch nun zur dritten Person. Hier wird die Sache erst richtig spannend, und hier liegt auch das größte Fehlerpotenzial. Denn ob man „du“ und „ihr“ in Briefen und E-Mails nun klein oder groß schreibt, ist vor allem eine Frage des persönlichen Stils und hat weniger mit richtig oder falsch zu tun. Etwas völlig anderes ist es mit dem „Sie“.
Beim Siezen werden alle Pronomen großgeschrieben, und zwar immer und ausnahmslos, sowohl in der direkten Ansprache als auch bei der Wiedergabe eines Interviews. Warum das so ist, lässt sich leicht begründen: es besteht akute Verwechslungsgefahr! Sehen sie – pardon: Sie nur mal hier:
Chatwoman: Meine Freundinnen gehen sehr oft ins Theater, manchmal nehmen sie mich mit.
Chatman: Im Schauspielhaus läuft ,Romeo und Julia‘. Haben sie das Stück schon gesehen?
Chatwoman: Wen meinen Sie? Meine Freundinnen?
Chatman: Nein, SIE! Haben SIE das Stück schon gesehen?
Chatwoman: Nein, noch nicht, aber ich würde sehr gern. Meine Freundinnen wollen es unbedingt sehen!
Chatman: Ich könnte ja mit ihnen mitgehen. Wie wäre das?
Chatwoman: Nun ja, da müsste ich sie erst mal fragen, aber in der Regel haben meine Freundinnen gegen eine neue Bekanntschaft nichts einzuwenden.
Chatman: Ich will mit IHNEN ins Theater gehen, nicht mit ihren Freundinnen.
Chatwoman: Im Grunde genügt bei ,Sie‘ und ,Ihnen‘ ein Großbuchstabe, nämlich am Wortanfang, wenn Sie mich meinen.
Chatman: ???
Ob Chatman und Chatwoman sich jemals getroffen haben und gar zusammen ins Theater gegangen sind, darf eingedenk dieses missglückten Starts ihrer Kommunikation bezweifelt werden.
Wenn er nicht gerade mit kulturinteressierten Damen chattet, ist Chatman womöglich Programmierer oder, noch schlimmer, Werbetexter, wenn nicht gar Redakteur. Die sind nämlich nicht selten von einer äußerst irritierenden Ihnen/ihnen-Schwäche befallen. Dabei schreiben sie nicht nur „sie“ und „ihnen“ klein, wenn „Sie“ und „Ihnen“ gemeint ist, sondern sie schreiben „Sie“ und „Ihnen“ groß, wenn es tatsächlich „sie“ und „ihnen“ heißen sollte. Ein Beispiel aus dem Internet:
„Wer den Messenger benutzt, merkt gleich, wann seine Freunde Ihren Computer eingeschaltet haben.“ Offenbar ist dieser „Messenger“ so eine Art Alarmsystem, das mich informiert, sowie sich einer meiner Freunde an meinem Computer zu schaffen macht. Ich frage mich nur, warum meine Freunde so etwas tun sollten? Allem Anschein nach aber kommt so etwas unter Freunden häufiger vor, sonst würde sich dieser „Messenger“ wohl kaum verkaufen.
Ein anderes erheiterndes Beispiel lieferte eine Anzeige für eine Donaukreuzfahrt. Darin war der Satz zu lesen: „Die ‚MS Savonia‘ ist ein Schiff der guten Mittelklasse und überzeugt durch Ihren besonders freundlichen Service an Bord.“ Vorsicht, der Rabatt von 1100 Euro hat einen Haken: Willkommen auf der Galeere!
Wenige Tage vor der Wahl Joseph Ratzingers zum Papst stellte die Internetausgabe der „Bild“-Zeitung ihren Lesern die Frage: „Wird einer von Ihnen der neue Papst?“ Diejenigen bild.de-Leser, die sich daraufhin Hoffnungen auf einen komfortablen Lebensabend in einem römischen Palazzo machten, wurden bitter enttäuscht, denn wie sich herausstellte, waren nicht sie gemeint, sondern die Kardinäle auf dem Foto.
Also: Beim Siezen schreibt man „Sie“, „Ihnen“ und „Ihr“ immer groß; wenn aber mit „sie“, „ihnen“ und „ihr“ dasselbe gemeint ist wie mit „die“, „denen“ und „deren“, wenn es sich also nicht um eine Anredeform handelt, dann bleibt der Anfangsbuchstabe klein.
Und was ist mit „Euer Ehren“? Und mit „Ihro Gnaden“ und „Euer Majestät“? Sind die antiquierten Anredeformen von der Rechtschreibreform etwa auch betroffen? Heißt es heute bloß noch „euer Ehren“, „ihro Gnaden“ und „euer Majestät“? Wäre das nicht äußerst despektierlich, wenn nicht gar majestätsbeleidigend? Keine Angst, diese Form der Anrede wird weiterhin wie ehedem großgeschrieben, sie muss es sogar, um Verwechslungen mit dem gemeinen Volk zu vermeiden. Allerdings kommt sie nur noch selten zum Einsatz, in historischen Romanen etwa, in Theaterstücken, Drehbüchern oder Comics.
Apropos Comics: In der Bildererzählung „Asterix und die Trabantenstadt“ gibt es eine köstliche Szene, in welcher Julius Cäsar seinen erstaunten Beratern erläutert, wie er das aufsässige gallische Dorf mithilfe eines gigantischen römischen Neubauareals in die Bedeutungslosigkeit abdrängen will. Cäsar spricht dabei von sich selbst konsequent in der dritten Person (so wie er es in seinem „Gallischen Krieg“ tatsächlich tat), weshalb ihn einer seiner Berater zu seinem Plan mit den Worten beglückwünscht: „Er ist großartig!“, woraufhin Cäsar fragt: „Wer?“ – „Na, Ihr!“, erwidert der Berater. Cäsar begreift und ruft: „Ach, Er!“
(c) Bastian Sick 2004
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2“ erschienen.