Sonntag, 20. Oktober 2024

Wie muss Deutsch?

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Vom Elektro-Engroshändler Saturn gibt es eine erfreuliche und eine bedauerliche Nachricht. Die erfreuliche: Saturn hat sich von der gleichermaßen armseligen wie enervierenden Parole „Geiz ist geil“ verabschiedet. Die bedauerliche: Der neue Werbespruch ist auch nicht besser.

„Soo! muss Technik“ lautet die neue Devise, mit der in gewohnter Penetranz auf jeden eingehämmert wird, der sich nicht rechtzeitig in Sicherheit zu bringen vermochte. Immerhin wird hier auf Deutsch geworben, was heutzutage schon gewisse Beachtung verdient. Aber welch ein Deutsch ist das?

Schon bei der Kampagne mit den „G“-Wörtern schien bei Saturn jegliche Geschmacksgrenze erodiert, der letzte ästhetische Anspruch zum Teufel gejagt; Menschen mit Sinn für Stil und Kultur waren gezwungen, ihre Kameras und DVDs im Internet zu bestellen; denn wer auf offener Straße mit einer Saturn-Tasche gesehen wurde, machte sich automatisch mitschuldig am geilsten Sittenverfall aller Zeiten.

Der neue Spruch bleibt in Aussage und Form den minimalistischen Prinzipien der Handelskette treu, die bei der Ausstattung und Innenbeleuchtung ihrer Häuser gezielt auf den Charme von Legebatterien setzt. Er ist syntaktisch unvollständig; auf das Hilfsverb „sein“ wartet man vergebens. Handelt es sich hierbei nun um ein Indiz für die fortschreitende Verblödung unserer Gesellschaft? Oder um eine bewusste Provokation? Oder gar um eine Anbiederung an den Jargon der Kiezjugend, die ohne Artikel und Präpositionen auskommt und statt „Ich warte auf den Bus“ nur noch „Ischwarte Bus“ sagt?

Meine in Köln lebende Freundin Tina vermutet, dass der Spruch in Anlehnung an die rheinische Mundart entstanden sei. „So muss dat“ ist ein in der rheinischen Umgangssprache gern verwendeter Ausdruck für „So ist es richtig“ oder „So gehört sich das“ und als solcher nicht allein den Jugendlichen vorbehalten. Für Tinas Annahme spricht die Tatsache, dass sich das Saturn-Mutterhaus in Köln befindet. Im Juli 1961 wurde dort der erste Saturn-Markt eröffnet. Inzwischen wird der Konzern zwar vom bayerischen Ingolstadt aus gelenkt, aber die Werbung kommt aus Norddeutschland.

Für die „Geiz ist geil“-Kampagne zeichnete die Hamburger Werbeagentur Jung von Matt verantwortlich, den neuen Spruch „Soo! muss Technik“ kreierte die Agentur Scholz & Friends mit Sitz in Berlin und Hamburg. Das Hamburger Büro befindet sich übrigens in derselben Straße wie dasjenige, in dem ich meine Kolumnen über das Wunderbare und das Wunderliche der deutschen Sprache schreibe. Nur ein paar Hausnummern von mir entfernt haben sich ein paar kreative Köpfe den Spruch „Soo! muss Technik“ ausgedacht. Da kann man mal wieder sehen, wie wenig man seine Nachbarn kennt!

In einem Interview mit Media-Saturn-Chef Horst Norberg konnte man erfahren, dass der Konzern jährlich an die 600 Millionen Euro allein für Werbung ausgibt. Eine beachtliche Summe! Das entspricht der Hälfte des gesamten Kulturetats der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2012.

Herr Norberg bemühte sich übrigens um eine korrekte Sprache und antwortete stets in vollständigen Sätzen. Kein „Wie geil ist das denn?“ oder „So muss Verkaufe!“. Da fragt man sich: Wo bleibt da die viel beschworene „Corporate Identity“? „Unsere aggressive Werbung hat uns nicht nur Sympathien gebracht“, räumte Norberg stattdessen ein, wobei „nicht nur“ als ein Euphemismus für „wenig“ verstanden werden darf. (Wie jemand überhaupt annehmen kann, Aggressivität könne sympathisch wirken, wird mir ohnehin ein Rätsel bleiben.)

Ich werde weiterhin meine DVDs im Internet bestellen. Denn ich kann es mir nicht leisten, mit einer „Soo! muss Technik“-Plastiktüte in der Hand gesehen zu werden. Im alten Rom mag man sich gefragt haben: Wie, bei Jupiter, soll unser Latein sein? Heute lautet die Frage: Wie, bei Saturn, muss Deutsch?

Vor Kurzem bekam ich Post von meiner Freundin Tina. Sie hatte mir aus dem Frankreichurlaub geschrieben, und zwar gleich zweimal. Auf der ersten Karte war eine herrliche südfranzösische Landschaft zu sehen, und auf der Rückseite stand in Tinas hübsch geschwungener Handschrift: „Lieber Basti! So muss Urlaub …“. Einen Tag später traf eine zweite Karte ein, sie zeigte eine nicht minder schöne Landschaft, und auf der Rückseite las ich: „… sein! Viele liebe Grüße aus Südfrankreich sendet dir deine Tina!“

© Bastian Sick 2012

 


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.


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