Heute ist der 31. Oktober. Und das ist ein besonderer Tag! Warum? Weil morgen Allerheiligen ist? Pustekuchen! Fragen Sie mal meine Mutter, die kennt sich noch aus!
Seit ich heute morgen aus dem Fenster blickte und mir von gegenüber zwei große, gelbe Kürbisfratzen entgegenstarrten, habe ich schlechte Laune. Sie wurde auch nicht besser, als mir aus der Zeitung eine Werbebeilage voller Hexen und Vampire entgegenrutschte. Gegen Mittag rief mich meine Mutter an: „Heute ist ja ein besonderer Tag“, sagte sie. „Ja, ich weiß, es ist Halloween“, stöhnte ich. „Was?“, fragte sie, als hätte ich gerade etwas von einer Ufo-Landung gemurmelt. „Das meine ich doch nicht. Weißt du denn nicht, was heute ist, mein Junge?“ Ich überlegte fieberhaft. Hatte irgendjemand Geburtstag? Das hätte mir doch mein iKalender angezeigt! War es ihr Hochzeitstag? Irgendjemandes Todestag? Erntedank? Wiedervereinigung? Murmeltiertag? „Heute ist Reformationstag!“, sagte meine Mutter, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt. Das wirkte auf mich wie eine wiederbelebende Ohrfeige: Es gibt noch Menschen, die mit dem 31. Oktober zuerst den Jahrestag der Reformation verbinden und nicht dieses kommerzielle Möchtegern-Gruselspektakel namens Halloween. Mit einem Schlag war meine gute Laune wieder da. Danke, Mama! Danke, Martin Luther!
Auch meine Mitarbeiterin Katharina ist kein großer Freund des neudeutschen Kürbistages. Durch Halloween sei in ihrer Heimat am Niederrhein die Tradition des Martinssingens verdrängt worden, erklärte sie bedauernd. Das fand für gewöhnlich am 11. November statt, dem Martinstag. „Da mussten Kinder noch etwas leisten, um an Süßigkeiten zu kommen“, erinnerte sie sich, „es genügte nicht – so wie heute –, die Nachbarn einfach nur zu erpressen.“
Am Abend klingelte es an meiner Tür. Zwei Untote im schulpflichtigen Alter standen davor. „Trick or treat, smell my feet. Give me something good to eat!“, sagten sie artig auf. Ich war beeindruckt: So fließend kam mir Englisch in ihrem Alter noch nicht über die Lippen. Da reizte es mich doch, die Gegenprobe zu machen: „Könnt ihr das denn auch auf Deutsch sagen?“, fragte ich. Die beiden schauten verlegen zu Boden und schüttelten die Köpfe. Der Vater, der die Zwerg-Zombies eskortierte, half ihnen auf die Sprünge: „Versucht es doch mal mit: Süßes oder Saures!“ Das taten sie, und so bekamen sie von mir, was sie verdienten: Süßes und Saures zugleich, nämlich gesunde Müsliriegel mit Dinkel. Ich wünschte ihnen noch viel Erfolg auf ihrem Raubzug, und dem Vater wünschte ich – na, was wohl? – genau: einen frohen Reformationstag! Den wünsche ich auch Ihnen, liebe Leser! (Und alle andern und Katholen, die soll der fette Kürbis holen …)
(c) Bastian Sick 2012
GRUSELIGES VERGNÜGEN ERWARTET SIE IM FOTOALBUM: Happy Halloween!
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