Das gute alte Österreich wird derzeit auf eine harte Probe gestellt: Die Diskussion über „gendergerechte“ Sprache droht die Nation in zwei Lager zu spalten. Auf der einen Seite die einen, auf der anderen die anderInnen.
Die gendergerechte Sprachpolitik ist in Österreich auf dem Vormarsch. Vor zwei Jahren wurde sogar der Text der österreichischen Nationalhymne geändert – oder, wie man heute sagt, gegendert. Aus „Heimat bist du großer Söhne“ wurde „Heimat großer Töchter und Söhne“. Nun holpert zwar das Versmaß an der Stelle, aber das lässt sich noch irgendwie überspielen. Noch holpriger geht es an den österreichischen Schulen zu, denn auch dort müssen alle Texte konsequent gegendert werden. Will ein Schulbuchautor als Arbeitsanleitung schreiben: „Jeder, dem dazu etwas einfällt, schreibt seine Ideen auf einen Zettel und gibt ihn an seinen Nachbarn weiter“, so muss er dies nun, um für sein Werk die Zulassung als österreichisches Schulbuch zu bekommen, in folgender Form tun:
„Jede/r, der/m dazu etwas einfällt, schreibt ihre/seine Ideen auf einen Zettel und gibt ihn an ihre/ihren/seine/seinen Nachbarin/Nachbarn weiter.“
Ob dies dem Textverständnis und der Leselust der österreichischen Abc-Schützen zuträglich ist, wird mit Recht bezweifelt. Wissenschaftler, Schriftsteller, Journalisten, Verleger, Lehrer und Künstler beiderlei Geschlechts haben sich zu einer Initiative zusammengefunden und einen offenen Brief an die Bildungs- und Frauenministerin und den Wissenschaftsminister aufgesetzt, in der die Rückkehr zur sprachlichen Normalität gefordert wird. Dieser Brief wurde gestern in der „Kronenzeitung“ abgedruckt und sorgte für neuen Zündstoff. Da sich unter den 800 Namen der Unterzeichner auch mein Name befand, bat mich die „Wiener Zeitung“ um ein Interview.
Wiener Zeitung: Wie kamen Sie zur Initiative? Wer kam auf Sie zu?
Bastian Sick: Ich bekam im Mai einen Brief von einem angesehenen Wiener Autor, der mir die Initiative vorstellte und um meine Unterstützung warb. Da er sehr überzeugende Argumente hatte und überdies einen überaus höflichen, formvollendeten Stil, und ich das Thema „weibliche Formen“ grundsätzlich spannend finde (in grammatischer Hinsicht!), brauchte ich nicht lange zu überlegen und habe ihm meine Unterstützung zugesagt. Meinen Einwand, dass ich als Deutscher mich eigentlich nicht in eine inner-österreichische Debatte einmischen könne, hat der Kollege nicht als Hindernis angesehen.
Wiener Zeitung: Ist gendern in der Sprache in Deutschland genauso emotional besetztes Thema wie in Österreich?
Bastian Sick: Es ist auch in Deutschland ein großes Thema, doch wird die Diskussion hier (noch) nicht so leidenschaftlich geführt wie in Österreich und in der Schweiz. Was daran liegt, dass der Staat noch keine Anstalten unternommen hat, hier verbindliche Vorschriften zu erlassen. Und das ist gut so, denn wir Deutschen haben die Erfahrung gemacht, dass es nie zum Vorteil war, wenn der Staat dem Volk die Schreib- und Sprechweise vorschreiben wollte. Zu oft ist Sprache für die Macht und von der Macht missbraucht worden. Ob unter den Nazis oder dem DDR-Regime: Zensur war immer schädlich. Zuletzt hat das Desaster der staatlichen Rechtschreibreform gezeigt, dass es besser ist, wenn sich der Staat raushält.
Wiener Zeitung: Warum unterstützen Sie die Initative? Aus sprachphilosophischen, soziologischen Gründen oder aus persönlicher Betroffenheit in der täglichen Arbeit?
Bastian Sick: Aus allen genannten Gründen. Und auch aus Freude an der Diskussion. Auseinandersetzungen über gutes, besseres, korrektes und politisch oberkorrektes Deutsch sind immer gewinnbringend, denn sie regen zum Denken und Nachdenken an.
Wiener Zeitung: An welchem Punkt wurde es Ihnen zu viel?
Bastian Sick: Dort, wo die Grammatik misshandelt wird. Wenn aus sächlichen Mitgliedern weibliche „Mitgliederinnen“ erzwungen werden. Das ist schlechtes Deutsch: Da können die weiblichen Mitglieder noch so schön sein – als „Mitgliederinnen“ werden sie hässlich.
Wiener Zeitung: Würden Sie „und Töchter“ in einer Hymne singen, wenn das aus Gender-Gründen eingefügt worden wäre? In Österreich ließ „Volksrocker“ Andreas Gabalier die Töchter weg und löste eine Lawine der Zustimmung aus.
Bastian Sick: Wenn es der Wille des Volkes ist, dass die Hymne entsprechend geändert wird, wäre ich der oder die Letzte, der/die sich einer solchen demokratisch beschlossenen Änderung entgegenstellte. Es ist daher die Frage: Ist dies wirklich der erklärte Wille des Volkes, zumindest einer deutlichen Mehrheit des Volkes? Hat es darüber ein Referendum gegeben? Die Hymne ist zu wichtig, um sie irgendwelchen Ausschüssen und Gremien zu überlassen. Darüber kann nur das gesamte Volk abstimmen.
Wiener Zeitung: Der offene Brief ist stellenweise sehr hart formuliert: „kämpferische Sprachfeministinnen“, „diktatorische Regime“ … ist das nicht despektierlich gegenüber den Vorkämpferinnen für Gleichstellung, die das Binnen-I durchgesetzt haben?
Bastian Sick: Niemand hat das Binnen-I durchgesetzt. Zum Glück! Es wurde erfunden und propagiert, und manche finden es schick, aber „durchgesetzt“ ist es noch lange nicht. Das würde ja bedeuten, dass nach und nach alle klassichen Werke umgeschrieben werden müssten, so wie Pippi Langstrumpf, bei der der „Negerkönig“ durch einen „Südseekönig“ ersetzt wurde. Wenn Schillers „Die Räuber“ als „Die RäuberInnen“ neu aufgelegt wird, dann erst hat sich die Binnenmajuskel durchgesetzt. Dann bin ich aber hoffentlich schon lange tot!
Wiener Zeitung: Die Hochschüler_innenschaft schrieb in einer Reaktion: „Wir sind entsetzt, dass im 21. Jahrhundert ernsthaft gefordert wird auf weibliche Bezeichnungen zu verzichten. Die männlichen Bezeichnungen schließen die weiblichen ganz klar aus. Geschlechtergerechte Sprache ist ein wichtiger Schritt für absolute Gleichstellung von Frauen und ist nicht mehr wegzudenken“. Was sagen Sie zu dem Einwand?
Bastian Sick: Dass da ein Komma vor „auf“ fehlt. Das ist leider typisch für die heutige HochschülerInnenschaft. Die kann nicht einmal etwas dafür, da vernünftiger Grammatikunterricht (einschließlich Zeichensetzungslehre) heute kaum noch stattfindet. Ich bin dafür, bevor wir die Sprache „gendergerecht“ verschönern, sie erst einmal wieder orthografisch und grammatisch richtig zu gestalten. Die Geschlechterfrage ist ein Luxus, den man sich nur erlauben kann, wenn man die grammatischen Grundlagen beherrscht.
Wiener Zeitung: Bildungs- und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek sagt: „Sprache schafft Wirklichkeit. Weibliche Formen unerwähnt zu lassen und Frauen damit auszublenden, das wäre ein völlig falsches Zeichen.“
Bastian Sick: Dank Alice Schwarzer dürfen wir, wenn es um Steuerhinterzieher geht, die Steuerhinterzieherinnen nicht länger unerwähnt lassen. Das wäre politisch nicht korrekt. Für mich geht es in dieser Debatte jedoch nicht um die Rechte der Frauen, sondern um die Ästhetik der Sprache. Sprache ist ein allgemeines Kulturgut. Es ist anmaßend, ja gefährlich, Sprache per Verordnung für politische Zwecke instrumentalisieren zu wollen. Wer das fordert, macht sich verdächtig.
Zum Thema:
Deutschland: Immer schön politisch korrekt bleiben
Schweiz: Die Entmannung unserer Sprache
Das Interview auf der Seite der „Wiener Zeitung“
DANKE!
Ein Hinweis auf Orwells “1984“ wäre im letzten Absatz noch angebracht gewesen.
Unfassbar! Ich dachte immer, wir Deutschen wären (in Bezug auf Geschlechter / „Gender“-Wahn) bekloppt. Aber das die Österreicher noch bekloppter sind als wir, wusste ich nicht.
Wie schon Bernd Graap schrieb: „DANKE“ und nochmals Danke!
Das unsägliche „mann/frau“ (nicht nur unschön anzusehen, sondern grammatisch einfach falsch) ist leider auch nicht mehr aus manchen Köpfen zu bekommen. Bald wird auch der Begriff „Mensch“ („Mensch(en)/“Menschin(nen“?) verhunzt. Oder „Bürgersteig“ (dann: „Bürger- und Bürgerinnensteig“?). Als Frau benutze ich durchaus manche weibliche Sprachform, aber nicht fanatisiert und um jeden Preis. Mir ist es wichtiger, als Person (für diesen Begriff wird sich sicher auch noch „gendergerecht“ ein männliches Pedant (er)finden lassen, selbst dann, wenn es unsinnig wäre, weil beide Geschlechter bereits eingebunden sind – wie bei „man“) wahrgenommen zu werden.
Und bei dieser Gelegenheit noch eine Anmerkung: Leider kennen augenscheinlich immer weniger Menschen den wirklich einfachen Unterschied zwischen „…[,]dass“ und „…das“.
In Kanada haben wir das gleiche Problem. Ein Beispiel: „Someone (Einzahl) gets a drink thrown in their (Mehrzahl) face“. Traditionelles Englisch: „…in his face“. Wie viele Gesichter hat einer?
Um „he or she“, „his or hers“ zu vermeiden, verwendet man die Mehrzahl (When a clerk asked if they could help him).
Grüße aus Vineland, Ontario, Fritz
Ich stimme Bastian Sick inhaltlich zu. Das Anliegen, geschlechtergerecht und zeitgemäß zu formulieren, muss erreicht werden, ohne die Schönheit der Sprache zu verhunzen.
Allerdings möchte ich auf einen Schreibfehler in der Wiedergabe des Interviews (hier, die Wiener Zeitung schreibt korrekt) aufmerksam machen, was an dieser Stelle sicher nicht falsch verstanden werden wird: „… nach und nach alle klassichen Werke …“, da fehlt in „klassisch“ ein „s“.
Alles Gute, Bastian Sick, für den Verlauf des 50. Lebensjahres!
Vielen Dank für diesen Hochgenuss beim Lesen!
Wenn schon, dann auch negative Begriffe gendern. Dämlich statt herrlich, auffraudeln statt aufmandeln, Großfrauensucht statt Großmannssucht, frauschsüchtig statt herrschsüchtig..
Mich überfraut Entsetzen! Bitte, liebe Feministinnen, versucht doch mal zu lächeln – ohne Schaum vor dem Mund.
Wir warten alle sehnsüchtig darauf, dass im Englischen die Silbe „man“ im Wort „woman“ durch „woman“ ersetzt wird.
Sollen wir in Zukunft die Wörter herrlich durch dämlich, oder herrisch durch damisch ersetzen? Herrlich dämlich wäre auch damisch herrisch.
Die deutsche Sprache ist doch ein schützenswertes Gemeingut, oder etwa nicht? Ein entsprechender Absatz gehört dringend ins Grundgesetz. Offizielle Änderungen am Gemeingut Deutsche Sprache wie etwa die halbgare Rechtschreibreform oder Absurditäten wie ein sinnentstellendes „Binnen-I“ sollten nur durch Bevölkerungsmehrheitsentscheide für jede einzelne Veränderung eingeführt werden dürfen.
Sehr geehrter Herr Sick,
kann ich dann eigentlich noch bedenkenlos „Schwarzer Peter“ spielen? Oder ist das jetzt „Schwarze(r) Pet(e)r(a)“? Und geht „schwarz“ dabei überhaupt noch?
„Steuerhinterzieherinnen“ – endlich haben wir ein prägnantes Wort, das wir den Gender-Fetischisten um die Ohren hauen können. Danke, Alice Schwarzer samt SteuerhinterziehungsbeihelferInnen!
Übrigens plädiere ich ja schon lange dafür, in Zeitungsartikeln, aber auch in Schulbüchern konsequent „Terroristinnen und Terroristen“ oder „NationalsozialistInnen“ zu verwenden. Frau Schwarzer wäre hier sicherlich auf meiner Seite.
Ich verstehe bei dieser Diskussion nur eines: viele Frauen haben ein Problem mit ihrem Selbstbewusstsein. Ich bin eine Frau, ich weiß das und meine Mitmenschen auch. Wozu also unsere Sprache verhunzen? Wir als Frauen haben in der Welt doch wahrlich größere und wichtigere Probleme, z. B. Abtreibungen weiblicher Föten in Indien, Schulbildung für Mädchen in vielen Ländern oder Beschneidungen von Mädchen in Afrika. Wir sollten den Blick für das Wesentliche nicht verlieren.
Klasse.
Lieber Herr Sick,
können Sie mir sagen, warum wir zulassen, dass diese Typen, äh und Typinnen, die vielleicht eine ehrliches Interesse an einer Gleichstellung haben, sich an der deutschen Sprache vergehen?
Noch immer ist meine Garage (grammatikalisch) weiblich, obwohl eine Sache und das Kind ist (grammatikalisch) sächlich, obwohl ein Er oder eine Sie.
Es erschließt sich mir auch nach Monaten nicht, warum Überbegriffe wie Gast, Bürger, Vorstand, Zuschauer u.ä.m. in eine weibliche Form gebracht werden müssen.
Letztendlich bleiben aber alle diese Schreiben sinnlos, weil die oben beschriebenen Typen (und jetzt lasse ich die Typinnen weg) diese Internetseite nicht lesen. Weil sie an der Sprache nicht interessiert sind, sondern nur am Effekt.