Wie kommt es, dass einige Flüsse weiblich sind und andere männlich? Wonach richtet sich das Geschlecht bei den deutschen Flüssen? Und wie sieht es mit den französischen Flüssen aus? Leser stellen Fragen, der Zwiebelfisch gibt Antwort.
Abbildung: Der Rhein bei Bonn, fotografiert im Mai 2017 © Bastian Sick
Frage eines Lesers: Unlängst entbrannte in meinem Freundeskreis eine Diskussion über die Geschlechtlichkeit von Flüssen, und ich bügelte etwas vorschnell die Teilnehmer mit profundem Halbwissen ab: große Flüsse seien männlich (der Rhein, der Main, der Mississippi), kleine Flüsse weiblich (die Lahn, die Ruhr, die Mosel).
Vorschnell, wie gesagt, denn alsbald war man bei der Hand mit Donau und Elbe, die nicht gerade als klein bezeichnet werden können, wohl aber weiblichen Geschlechts sind.
Mit den amerikanischen Flüssen hat man es leichter, denn sie sind meistens mit dem männlichen Zusatz Rio oder River versehen, sodass sich die Frage nach dem Geschlecht gar nicht erst stellt. Bei den Franzosen hingegen scheinen alle Flüsse weiblich zu sein: die Seine, die Loire, die Garonne, die Marne, die Rhone. Wie hält es denn nun der Deutsche?
Antwort des Zwiebelfischs: Das Geschlecht von Flüssen lässt sich leider nicht nach Regeln bestimmen. Jeder Flussname hat seine eigene Geschichte, und deren Ursprung liegt meistens im Nebel frühester Zeiten verborgen und ist oft nur mühsam zu rekonstruieren. Unsere deutschen Flüsse haben ihre Namen von den Germanen, den Slawen und den Römern erhalten. Manche Namen sind auch keltischen oder griechischen Ursprungs. Eines haben sie (fast) alle gemein: Ob sie nun Alster, Aller, Iller, Inn, Werra, Naab, Main oder Leine heißen – der Name geht meistens auf ein altes Wort für fließendes Gewässer zurück.
So leitet sich der Rhein vom altgermanischen Wort reinos ab, welches „großer Fluss“ bedeutet. Die Endung -os zeigt an, dass der Fluss schon bei den alten Germanen männlichen Geschlechts war. Die Elbe hat ihren Ursprung im lateinischen Wort albia, das weiblich ist und für „helles Wasser“ steht. Die Donau ist sprachlich verwandt mit dem russischen Don, beide Namen gehen auf das indogermanische Wort danu zurück, das ebenfalls nichts anderes als „Fluss“ bedeutet. Bei den Römern war die Donau noch männlich (Danuvius), bei den Germanen wurde sie durch Verschmelzung mit der Endung -owe, -ouwe (Aue, Fluss) weiblich. Maas und Mosel waren bereits im Lateinischen weiblich (Mosa und Mosella) und blieben es auch im Deutschen. Der Neckar wurde vermutlich aufgrund seines stürmischen Laufs als männlich empfunden, der Name geht zurück auf das ureuropäische Wort „nik“, das „losstürmen“ bedeutet. Jedenfalls hatte man ihm bereits in vorchristlichen Zeiten die männliche Endsilbe „-ros“ verpasst: Nikros wurde über Nicarus und Neccarus zu Necker und schließlich Neckar.
Die französischen Flüsse sind übrigens keineswegs alle weiblich, weder im Deutschen noch im Französischen. Die Rhone zum Beispiel heißt auf Französisch „le Rhône“. Und unser „Vater Rhein“, der ja streckenweise auch ein französischer Fluss ist, ist auch im Französischen männlichen Geschlechts: le Rhin.
Wer auf einen ihm unbekannten deutschen Flussnamen stößt und folglich nicht weiß, ob es sich um einen männlichen oder weiblichen Namen handelt, der wird sich vermutlich für den weiblichen Artikel entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er damit richtig liegt. Denn es gibt erheblich mehr weibliche als männliche Flüsse in Deutschland. Es gibt 72 deutsche Flüsse mit einer Länge von mehr als 100 Kilometern; davon sind 64 weiblich und lediglich acht männlich, nämlich der Rhein, der Main, der Inn, der Neckar, der Leck, der Kocher, der Regen und der Rhin.
(c) Bastian Sick 2005
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2“ erschienen.
Sehr geehrter Herr Sick, nur eine kleine Anmerkung aus Trier, der Hauptstadt des Hol-Lands: Die Mosel ist als größter deutscher Nebenfluss des Rheins immerhin 17 Kilometer länger als der Main – insofern beruhte bereits Ihre einleitende Unterteilung in „klein“ und „groß“ auf einer grundfalschen Annahme… Ansonsten natürlich wie immer sehr interessant – merci! Freundliche Grüße,
Tobias Wilhelm
Interessanter Artikel. Die Rhône heißt übrigens für eine gewisse Strecke die Rotte oder der Rottenbach. Französisch und Deutsch sind sich da nicht ganz einig.
Der Rhein sollte eigentlich nicht männlich sein. Beim Zusammenfluss von Aare und Rhein führt die Aare mehr Wasser. Mutter Aare anstatt Vater Rhein. Wie dem auch sei, beide Großeltern haben ihren Ursprung in den Alpen. Und vergesst den Doubs nicht. Ein wunderbarer Grenzfluss in einer wunderbaren Landschaft.