Wie wird das Perfekt von „stehen“ gebildet – mit haben oder mit sein? Heißt es „Ich habe gestanden“ oder „Ich bin gestanden“? Und wo wir gerade dabei sind: Wie verhält es sich mit „sitzen“ (gesessen) und „liegen“ (gelegen)?
Die Faustregel lautet, dass nur Verben der Bewegung mit „sein“ konjugiert werden. Davon gibt es eine ganze Menge, hier sehen Sie einige Beispiele:
gehen, kommen, schlendern, spazieren, stolzieren, marschieren, stapfen, wandern wandeln
laufen, rennen, eilen, hetzen, jagen, fliehen, flüchten
fahren, reisen, fliegen, reiten, segeln*, rudern*
rasen, rollen, brettern, dampfen, düsen, flitzen, sausen
klettern, steigen, klimmen, kraxeln
springen, hüpfen, hopsen
fallen, stürzen, stolpern, straucheln, eiern, kippen
aufwachen, aufstehen, auftauen, schlüpfen
ausbrechen, einbrechen, entweichen, entkommen
schwimmen*, tauchen*, sinken
watscheln, flattern, schleichen, traben, galoppieren, hoppeln, tapsen, gleiten, rutschen, robben, kriechen, stampfen, trampeln u.v.m.
Die Verben „stehen“, „liegen“ und „sitzen“ drücken keine Bewegung aus, daher werden sie standardsprachlich mit „haben“ konjugiert: Ich habe gesessen, ich habe gelegen, ich habe gestanden.
In Süddeutschland und in Österreich sagt man dennoch „Ich bin gesessen“, „Ich bin gelegen“ und „Ich bin gestanden“. (Was sich im Badischen, Schwäbischen und in der Pfalz etwa so anhört: „Ich bin g’stande“, „Ich bin g’lege“, „Ich bin g’sesse“, während es in Bayern eher so klingt: „I bin g’standn“, „I bin g’legn“, „I bin g’sessn“.) Im Süden gilt offenbar auch der Stillstand als Bewegung. Analog zur Annahme: Auch Null ist eine Zahl. Kann man ja so sehen. Beamte würden’s sofort unterschreiben. Ich find’s charmant, wie fast alles, was aus dem Süden kommt.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass natürlich auch die Süddeutschen und die Österreicher „stehen“ und „sitzen“ in Verbindung mit „haben“ kennen – und zwar im übertragenen Sinne: Erst hat er gestanden (= ein Geständnis abgelegt), dann hat er gesessen (= er war im Gefängnis). Und schließlich wird das Verb „bleiben“, das gleichfalls eher eine Un-Bewegung als eine Bewegung beschreibt, auch standardsprachlich mit „sein“ konjugiert: „Weil’s so schön ist, wo der Pfeffer wächst, bin ich dort geblieben.“
* Diese Verben können auch mit „haben“ konjugiert werden, wenn nicht die Fortbewegung von Punkt A nach Punkt B im Vordergrund steht, sondern die reine Betätigung:
Ich habe im Urlaub getaucht.
Vor dem Frühstück hat sie regelmäßig eine Stunde geschwommen. Bevor er mit dem Golfspielen anfing, hat er geritten.
Früher haben Sklaven gerudert.
Geehrter Herr Sick!
Ich beziehe mich auf Ihren Beitrag über „gestanden haben/sein“. Hier gibt es diverse Einstellungen. Dieses Problem würde ich von jener Seite sehen: Das Wort „haben“ weist auf einen Besitz, wogegen „sein“ einen Zustand anzeigt. Im Beispiel vom Geständnis ist es richtig, dass es „haben“ heißt, da das Geständnis ein Besitz des Angeklagten ist, jedoch „sitzen“, „stehen“ und „liegen“ eindeutig auf einen Zustand hinweisen, daher wäre in diesem Fall „sein“ unbedingt gerechtfertigt. Also: ich bin gesessen, er ist gestanden.
Sind Sie mit meiner Ansicht einer Meinung?
Mit freundlichen Grüßen verbleibe ich Ihr treuer Mitstreiter
Rudolf Pühringer aus Wien.