Mittwoch, 27. März 2024

Die Place, die Gare, die Tour?

Lieber Zwiebelfisch, welches Geschlecht haben französische Gebäude und Plätze im Deutschen? Heißt es die oder der Place de la Concorde? Gelten für uns die französischen Artikel oder passen wir sie den deutschen Entsprechungen an? Leser stellen Fragen, der Zwiebelfisch gibt Auskunft.

Frage eines Lesers:

Nach einem Parisbesuch tauchten in Bezug auf Plätze, Bahnhöfe und besondere Bauten, die im Deutschen den männlichen Artikel verlangen, auf Französisch jedoch weiblich sind, folgende Fragen auf: Sagt man die oder der Place de l’Étoile? Sagt man die oder der Gare de l’Est? Sagt man die oder der Tour Montparnasse? Gibt es dafür eine Regel?

Antwort des Zwiebelfischs: Die Place oder der Place – darüber lässt sich trefflich streiten! Als Romanist habe ich selbst lange Zeit dem französischen Geschlecht Vorrang erteilt und Sätze gesagt wie „Wir trafen uns auf der Place Vendôme“ und „Wir trennten uns an der Gare du Nord.“ Inzwischen aber bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass in deutschen Sätzen auch nach deutscher Grammatik verfahren werden sollte. Schließlich ist nicht jeder des Französischen mächtig. Und müsste man dann nicht auch bei jedem anderen Gebäude dieser Welt nach dem Geschlecht forschen, das ihm die jeweilige Landessprache zuweist?

Im Englischen sind Gebäude grundsätzlich sächlich, deswegen heißt es im Deutschen aber nicht „das Tower“ oder „das Royal-Albert-Hall“. Ebenso wenig „das London-Bridge“, „das Piccadilly Circus“ oder „das Victoria Station“. Ganz selbstverständlich wählen wir hier den Artikel des entsprechenden deutschen Wortes: der Tower (der Turm), die Royal-Albert-Hall (die Halle), die London-Bridge (die Brücke).

Da mir bislang kein überzeugender Grund dafür eingefallen ist, weshalb man französische Gebäude im Deutschen anders behandeln sollte als englische, plädiere ich dafür, sich auch bei „Place“, „Gare“ und „Tour“ nach dem Geschlecht der deutschen Entsprechung zu richten. Also „der Place de l’Étoile“, „der Gare de l’Est“ und „der Tour Montparnasse“. Wer übrigens in Paris die U-Bahn benutzt, der fährt mit „der Metro“ – nicht mit „dem Metro“, auch wenn es auf Französisch „le métro“ heißt.

Neben dem Genus kann mitunter auch der Numerus Probleme bereiten. Manche Namenwörter stehen nämlich im Plural, so wie die berühmteste aller Pariser Prachtstraßen, die Champs-Élysées. In der populären verkürzten Form wird die „Avenue der Champs-Élysées“ nicht zu der Champs-Élysées, sondern zu den Champs-Élysées; denn Champs-Élysées ist ein Pluralwort und bedeutet „Elysienfelder“.

Beim Stichwort „Champs-Élysées“ fällt mir natürlich der Schlager von Joe Dassin ein („Oh, Champs-Élysées“). Da heißt es in einer Strophe: „Von La Concorde bis zum Étoile erklingt Musik von überall.“ Étoile ist hier männlich, obwohl es im Französischen weiblich ist. Wenn selbst ein Franzose wie Joe Dassin sich der deutschen Grammatik fügt, dann können wir es mit ruhigem Gewissen auch.

Die Franzosen haben ihrerseits keine Bedenken, deutsche Gebäude in französischen Sätzen nach den Regeln der französischen Grammatik zu behandeln. Die Frage „Holst du mich am Hauptbahnhof ab?“ wird im Französischen zu: „Tu vas me chercher à la Hauptbahnhof?“

(c) Bastian Sick 2005

 


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2“ erschienen.

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