Sonntag, 20. Oktober 2024

E-Mail for you

Es besteht kein Zweifel: E-Mail hat unser Leben verändert. Als die Post noch ausschließlich auf dem Landwege verschickt wurde, bekam man frühestens nach zwei Tagen eine Antwort. Dank E-Mail ist heute die Antwort oft schon nach wenigen Minuten da. Ob vom Kollegen, der nur ein paar Zimmer weiter sitzt, oder vom Freund aus der Schweiz – die Entfernung spielt keine Rolle mehr. E-Mail ist zu einer Form der schriftlichen Kommunikation geworden, die aus dem Alltag, insbesondere dem Büroalltag, nicht mehr wegzudenken ist und die klassische Form des Briefschreibens in weiten Teilen abgelöst hat.

Eine Bekannte hat mir unlängst berichtet, dass sie auf einem Postamt war, um eine einzelne schöne Briefmarke zu kaufen. Der Schalterbeamte sagte ihr, sie müsse entweder gleich einen ganzen Bogen mit zehn Stück erwerben oder sich mit einer Marke aus dem Automaten begnügen. Einzeln würden Briefmarken nicht mehr verkauft. So weit ist es also schon gekommen. Dies ist zweifellos eine Folge des E-Mail-Verkehrs, der parallel zur Ausbreitung des Internets in den letzten zehn Jahren rasant zugenommen und immer weitere Bevölkerungsteile für die Teilnahme an der elektronischen Kommunikation gewonnen hat.

Wenn die Elektro-Post den traditionellen Briefverkehr derart zurückgedrängt hat, dass das klassische Hobby des Briefmarkensammelns zum Aussterben verurteilt ist, ist es zweifellos angebracht, sich über Form und Inhalte von E- Mails Gedanken zu machen. Das Verschicken von Post über das Internet mag sehr viel einfacher, schneller und auch billiger geworden sein als auf dem Landweg, aber das heißt nicht, dass sämtliche Regeln des traditionellen Briefverkehrs außer Kraft gesetzt sind.

Die oder das E-Mail, da fängt das Problem schon einmal an. Millionen Menschen im deutschsprachigen Raum verschicken tagtäglich Millionen von E-Mails, und die meisten sind sich nicht einmal über das Geschlecht dieser Kommunikationsform im Klaren.* Ganz zu schweigen von der korrekten Schreibweise: kleines „e“ oder großes „E“, in einem Wort geschrieben oder mit Bindestrich? Ich empfehle in solchen Fällen stets, sich an bestehenden Schreibweisen zu orientieren: die U-Bahn, der O-Saft, das A-Hölzchen**, die E-Musik – das würde schließlich auch niemand in einem Wort schreiben. Folglich auch nicht die E-Mail, sonst läse es sich wie das Wort Email, und das hat eher etwas mit Kochtöpfen und Badewannen und weniger mit elektronischer Kommunikation zu tun. Auch der Duden lässt für die elektronische Post allein die Schreibweise E-Mail zu. Die oft gesehenen Varianten eMail und e-Mail sind somit offiziell aus dem Rennen um den „Grand Prix der Orthografie“.

 

* In der Standardsprache hat sich die weibliche Form durchgesetzt; in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz wird daneben sehr häufig auch die sächliche Form verwendet. Der Duden lässt beides zu.

** Holzspan, den der Arzt zum Herunterdrücken der Zunge bei der Untersuchung von Mund und Rachenraum verwendet, während der Patient „Aaaah“ sagt. 

(c) Bastian Sick 2005


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2“ erschienen.


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