Samstag, 21. Dezember 2024

Stimm-Zettel für die Brief-Wahl von dem Land-Tag

Am 7. Mai sollen die Schleswig-Holsteiner einen neuen Landtag wählen. Dazu hat jeder Wahlberechtigte eine Benachrichtigung erhalten. Darin ist allerdings nicht von Landtag, Wahlschein und Briefwahl die Rede, sondern von irritierend zerstrichelten Dingen wie Land-Tag, Wahl-Schein und Brief-Wahl. Das amtliche Schreiben ist nämlich in sogenannter Leichter Sprache aufgesetzt – nur wird dem Wähler das mit keinem Wort erklärt.

Wahl-Benachrichtigung

„Sehr geehrte Bürgerin, sehr geehrter Bürger, in Schleswig-Holstein wird der Land-Tag gewählt.“ So beginnt das Schreiben, das in den vergangenen Wochen an alle wahlberechtigten Bürger im nördlichsten Bundesland verschickt worden ist und das flächendeckend für Irritation gesorgt hat – bei vielen gar für Verärgerung.

Der Grund: Das Schreiben wurde in „Leichter Sprache“ aufgesetzt – einer stark vereinfachten Form der gesprochenen und geschriebenen Sprache, die für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, Lern- oder Leseschwierigkeiten entwickelt wurde, um ihnen zu helfen, Bedienungsanleitungen, Hausordnungen und Formulare zu verstehen. Ein sehr löbliches Projekt, das Unterstützung verdient. Wenn die „Leichte Sprache“ allerdings nicht gezielt eingesetzt, sondern nach dem Gießkannenprinzip über allen Bürgern ausgegossen wird, erzeugt sie nicht unbedingt mehr Klarheit und Verständnis, sondern Verwirrung und Ablehnung. So war es jedenfalls in Schleswig-Holstein der Fall, wo sich viele Bürger verschaukelt fühlten und erzürnte Leserbriefe an ihre Lokalzeitungen schrieben.

Ein Prinzip der Leichten Sprache ist es, Wortzusammensetzungen grundsätzlich mit Bindestrich zu schreiben. Angeblich seien die Wörter so leichter zu lesen. Folglich wimmelt es in der  Wahlbenachrichtigung von gestrichelten Schreibweisen wie „Vor-Name“, „Haus-Nummer“ und „Post-Leit-Zahl“. Außerdem werden alle Wahlberechtigten angesprochen, als seien sie kleine Kinder. Denn auch das ist ein Prinzip der Leichten Sprache: Alles wird so einfach wie möglich formuliert, in kurzen Sätzen, so wie es die Großen gern tun, wenn sie den ganz Kleinen etwas zu erklären versuchen.

Das wesentliche Versäumnis des Wahlleiters Schleswig-Holsteins besteht darin, die Wahlberechtigten mit keinem Satz darüber informiert zu haben, dass das Schreiben in „Leichter Sprache“ aufgesetzt ist und man sich also bitte nicht über das ungewohnte Schriftbild wundern möge. Weil der Hinweis auf die „Leichte Sprache“ fehlte, erweckt das Schreiben den Eindruck, dies sei die neue amtliche Rechtschreibung. Was natürlich ein Irrtum ist. Dabei hatte man sicherlich alles nur gut gemeint. Doch wie sinnvoll ist eine Maßnahme, die drei bis fünf Prozent der Wahlberechigten tatsächlich hilft, wenn sich die übrigen 95 bis 97 Prozent vor den Kopf gestoßen fühlen?

„Leichte Sprache“ in einem amtlichen Schreiben zu verwenden, ohne deutlich darauf hinzuweisen, ist auch deshalb problematisch, weil die „Leichte Sprache“ gegen die Regeln der amtlichen Rechtschreibung verstößt. Und an diese Regeln sind die Behörden schließlich gebunden. Bei Wörtern wie „Landtag“, „Briefwahl“ oder „Postleitzahl“ lässt unser amtliches Regelwerk keine zwei Möglichkeiten zu. Die Verwendung von Bindestrichen ist schlichtweg falsch. Einzige Ausnahme: Man darf Bindestriche benutzen, um auf eine zweite Bedeutung hinzuweisen. Wer „Land-Tag“ mit Bindestrich schreibt, kann dies tun, wenn er damit einen Tag auf dem Land meint und eine Verwechslung mit dem Landesparlament ausschließen will. Hier ging es aber kaum um den Hinweis auf eine zweite Bedeutung, sondern um eine Lesehilfe für Menschen, die schon mit der ersten Bedeutung eines Wortes Probleme haben.

Bei den Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft vor zwei Jahren waren die Wahlunterlagen ebenfalls in „Leichter Sprache“ abgefasst worden. Damals schon war die Empörung unter den Bremern groß – erst recht, als man erfuhr, dass die Übersetzung in Leichte Sprache 50.000 Euro gekostet habe. Dieser neue Fall zeigt, dass der schleswig-holsteinische Wahlleiter offensichtlich nichts von seinen Bremer Kollegen gelernt hat. Stattdessen hat er denselben Fehler wiederholt. Früher hätte es für ein derartiges Versagen im Amt wenigstens noch eine öffentliche Rüge mit anschließender Entschuldigung gegeben. Heute heißt es wohl einfach Schwamm drüber und auf zum nächsten Tages-Ordnungs-Punkt.

Einer meiner Nachbarn vermutete, es könne sich um einen gezielten taktischen Zug der Landeswahlleitung gehandelt haben, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und damit die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Ich habe ihm nicht widersprochen. Schließlich wird man wohl noch träumen dürfen.

Eine Woche nach Schleswig-Holstein wird in Nordrhein-Westfalen gewählt. Ich weiß nicht, ob die dortigen Wahlberechtigten ebenfalls in „Leichter Sprache“ benachrichtigt wurden. Wenn ja, müsste das einen noch größeren Sturm der Entrüstung auslösen. Denn NRW wird in „Leichter Sprache“ zu einem wahren Bindestrich-Monstrum: Nord-Rhein-West-Falen. Ob damit wirklich jemandem geholfen ist? Das könnte eher ein Grund sein, die Wahl zu boykottieren.


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Zum Thema:

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