Sehr geehrter Herr Sick, lieber „Zwiebelfisch“,
momentan schmökere ich in Band 6 Ihrer „Dativ/Genitiv“-Reihe und bedaure zutiefst, dass damit die Hexalogie beendet ist.
Sicher werden Sie es mir nicht verübeln, wenn ich Sie auf einen kleinen Lapsus aufmerksam mache. Sie bezeichnen auf S. 105 den Titel des Hitchcock-Films „North by Northwest“ „als eine Richtungsangabe, die für den Filmplot völlig unerheblich ist“.
In Wahrheit handelt es sich dabei um ein Zitat aus „Hamlet“ (II/2), wo der Titelheld sagt: „I am but a mad north-north-west. When the wind is southerly, I know a hawk from a handsaw.“ Das charakterisiert treffend die Lage Roger Thornhills (Cary Grant), der nicht weiß, wie ihm geschieht, und ohne Orientierung herumirrt. Insofern kann man den deutschen Titel „Der unsichtbare Dritte“ wirklich zu den „bescheuertsten Filmübersetzungen“ rechnen.
Doch ist mein Lesevergnügen auch ohne Shakespeares Feinheiten – um es neudeutsch-superlativisch zu formulieren – „in keinster Weise“ beeinträchtigt. Mit herzlichen Grüßen
Wolfgang Keul
Antwort des Zwiebelfischs:
Sehr geehrter Herr Keul, ich danke Ihnen für Ihre Zeilen und die überaus interessante Information.
Bei der Überprüfung Ihrer These habe ich jedoch festgestellt, dass es sich dabei offenbar um eine Legende handelt.
In dem Buch „Classic American Films: Conversations with the Screenwriters“ fand ich ein erhellendes Interview mit Hitchcocks Drehbuchautor Ernest Lehman, aus dem klar hervorgeht, dass Hitchcock kein Shakespeare-Zitat im Kopf hatte, als er nach einem griffigen Titel suchte, sondern eine Verfolgungsjagd, die in eine nordwestliche Richtung führte. „North by Northwest“ war der Arbeitstitel, und weil man bis zur Fertigstellung des Films keinen besseren gefunden hatte, behielt man ihn bei. (Als weitere Titelvorschläge waren „Breathless“ und „The Man on Lincoln‘s Nose“ im Gespräch.)
Die Behauptung, „North by Northwest“ sei ein Verweis auf Shakespeare, weist Lehman in Bausch und Bogen zurück:
„Das kommt von den verdamm
ten französischen Kritikern, den „auteurs“. Die kommen immer mit irgendeinem anspruchsvollen Mist daher, für den es keine reale Grundlage gibt. In alles, was Hitchcock machte, versuchten sie, etwas Gehaltvolles, Seriöses hineinzudeuten, was ihm zweifellos sehr gefiel. Doch in Wahrheit hat erst nach Fertigstellung des Films jemand in der Presse auf jenes Shakespeare-Zitat hingewiesen, in welchem Hamlet sagt: „I am but mad north north-west.“
(aus: „North by Northwest“: An Interview with Ernest Lehman)
Insofern bleibt es doch dabei, dass der englische Filmtitel auf einer Richtungsangabe basiert, die Roger Thornhill schließlich zum Mount Rushmore führt. Und es bleibt dabei, dass diese Richtungsangabe für die Handlung des Films völlig nebensächlich ist.
Und selbst wenn es sich um ein Shakespeare-Zitat gehandelt hätte, so änderte dies nichts an der Tatsache, dass „Der unsichtbare Dritte“ eine überaus glückliche deutsche Titelfindung ist: erklärend einerseits, spannungsreich andererseits, und darüber hinaus bis heute unverwechselbar.
Mit den besten Wünschen für ein frohes neues Jahr, Ihr Bastian Sick
Zum Thema: Die unglaubliche Geschichte der total verrückten Filmtitel
Das mag alles so stimmen. Allerdings ist „north north-west“ aus Hamlet eine ordnungsgemäße englische Himmelsrichtungsangabe, wohingegen „North by Northwest“ keine ist, sondern irgendetwas Undefiniertes. Ich habe jedenfalls bisher keinen Nachweis dafür gefunden, was diese Angabe bedeuten soll oder wo sie gebräuchlich ist.