Die Kulturwächter schlagen Alarm: Das weltweite Interesse an der deutschen Sprache geht zurück! Und nicht erst, seit Guido Westerwelle Außenminister ist. 2005 lernten noch 17 Millionen Menschen Deutsch als Fremdsprache, 2010 waren es zwei Millionen weniger. Dabei gibt es viele gute Gründe für Deutsch.
„Können Sie zehn gute Gründe nennen, Deutsch zu lernen?“, wurde ich unlängst in einem Interview gefragt. „Geben Sie mir zehn Minuten Bedenkzeit“, bat ich. Zehn überzeugende Gründe lassen sich schließlich nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln. Doch mit ein wenig Überlegung sollten sie sich finden lassen. Immerhin leben in Deutschland, Österreich und der Schweiz und in ihren angrenzenden Regionen mehr als hundert Millionen Menschen, die mit Deutsch aufgewachsen sind. Wir sind also schon mal keine ganz kleine Sprachgemeinschaft, im Gegenteil: Innerhalb Europas ist Deutsch die Sprache mit den meisten Muttersprachlern, noch vor Englisch und Französisch.
Außerhalb Europas sieht es dann schon etwas anders aus; auf der Liste der zwölf wichtigsten Weltsprachen rangiert Deutsch weit hinter Englisch, Chinesisch, Spanisch und Hindi auf Platz zehn, aber immerhin noch vor Japanisch, Koreanisch und Finnisch. Wenn sich Schüler in anderen Ländern, zum Beispiel in Spanien oder Frankreich, zwischen Deutsch und einer anderen Fremdsprache entscheiden müssen, wählen sie oft die andere. Deutsch ist nicht gerade die beliebteste Sprache. Und wenn man nachfragt, warum das so sei, bekommt man oft zu hören, Deutsch sei eben nicht ganz einfach. Zu viele Fälle, zu viele Geschlechter, zu viele Regeln, zu viele Ausnahmen. Das schreckt ab.
Eigentlich sollte gerade das ein guter Grund sein, Deutsch zu lernen. Denn wer will schon etwas, das einfach ist? Einfach – das kann schließlich jeder. Wer Deutsch beherrscht, kann etwas Besonderes! Etwas, das nicht jeder kann. Nicht einmal jeder Deutsche. Englisch ist der Volkswagen unter den Sprachen, Deutsch der Rolls-Royce.
Zu den immer wieder genannten Vorurteilen über die deutsche Sprache gehört auch, dass sie keinen besonders schönen Klang habe. Sie sei bei Weitem nicht so melodiös wie das Französische, nicht so weich wie das Englische, nicht so temperamentvoll wie das Italienische, nicht so schwermütig wie das Russische, und nicht so angriffslustig wie das Japanische.
Deutsch, so wird behauptet, klinge eher wie eine Zementmischmaschine – oder wie berstendes Holz. Oder wie eine Gruppe heiserer Gänse, die mit einem geklauten Zementmischer gegen einen Baum gerast ist. Doch wer sich ein bisschen genauer mit der deutschen Sprache auseinandersetzt, der wird im Klangspiel der Silben eine wunderbare, kraftvolle Schönheit erkennen. Wie bei jeder Sprache kommt es darauf an, wer sie spricht – und wie. Der Ton macht die Musik.
Darum ist Deutsch nicht von ungefähr lange Zeit die führende Sprache der Musik gewesen. Von Johann Sebastian Bach bis Johann Strauß: Deutsch war – und ist es noch heute – eine der wichtigsten Sprachen auf den Konzert- und Opernbühnen dieser Welt. Wer klassischen Gesang studiert, für den führt an Deutsch kein Weg vorbei. Doch auch Popmusik kann ein Grund sein, Deutsch zu lernen. Die Musik war der Grund, dass ich Französisch gelernt habe – das kann auch andersherum funktionieren. Die deutsche Musikszene hat eine Menge interessanter Künstler und hörenswerter Texte zu bieten.
Gute Gründe, Deutsch zu lernen? So etwas fragt man am besten Menschen, die das Wagnis auf sich genommen haben, einen Deutschkursus zu absolvieren. Und die findet man fast überall auf der Welt: in Frankreich, in Spanien, in Russland, in Polen, in den Niederlanden, in Dänemark, in Chile, in Argentinien, in Afrika, in China, in Baden-Württemberg.
„Deutschland ist ein tolles Land!“, schwärmte mir eine ältere Dame in Buenos Aires vor. „Ihr habt so viele Kulturgüter, so viele interessante Städte, so abwechslungsreiche Landschaften, so schnelle Verbindungen, die beste Infrastruktur weltweit!“ – „Sie sprechen von den Autobahnen, nehme ich an?“, fragte ich. Sie lächelte und sagte: „Ich meine vor allem die Apotheken! Alle 50 Meter eine Apotheke – das gibt es in keinem anderen Land auf der Welt!“ Ja, Deutschland ist ein famoses Land zum Leben.
Für viele junge Menschen in anderen Teilen der Welt ist Deutschland das Tor zu einer gesicherten Zukunft. Die Zahl derer, die sich Jahr für Jahr um ein Stipendium für einen Studienplatz in Deutschland bewerben, wächst stetig. Ob BWL, Maschinenbau, Medizin oder Geisteswissenschaften – Deutschland ist ein beliebter Studienort. Für viele andere ist Deutschland auch ein begehrter Arbeitsplatz. Die meisten Bauarbeiter und Reinigungskräfte in Deutschland kommen aus benachbarten Ländern oder aus Nachbarländern der Nachbarländer.
Meine Putzfrau kommt aus Polen und lernt fleißig Deutsch. Sie kann jetzt schon auf Deutsch „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ sagen und „Waschmaschin kaputt!“. Eines Tages wird ihr Deutsch so perfekt sein wie ihre Bügelkünste, dann stehen ihr hier alle Türen offen, und sie wird mich verlassen für einen interessanteren Job als Assistentin irgendeines Talkshow-Moderators oder als Pressesprecherin eines Bundestagsabgeordneten, ich werde sie anflehen, zu bleiben, aber sie wird mir mit Blick auf das Bügelbrett zurufen: „Machen Sie es sich gefälligst selbst!“, und ich werde völlig zerknittert zurückbleiben, davor graut mir jetzt schon. Deutsch eröffnet Karrieren – im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus überall dort, wo deutsche Firmen ansässig sind oder wo sich deutsche Touristen tummeln.
Meine französische Freundin Suzanne sagte mir auf die Frage, was für sie der Grund gewesen sei, Deutsch zu lernen: „Der Grund, warum isch Deutsch gelernt ‚abe? Trotz alle die komplizierte Grammatik und die ‚arte Aussprache? Isch will es dir verraten: Mein Grund war groß und blauäugisch und ‚ieß Martin. Er war 24, wir ‚aben uns am Strand von Biarritz kennengelernt. Wie der küssen konnte! Hmmm! Einen schöneren Grund, Deutsch zu lernen, gab es auf der ganzen Welt nischt!“
Wen das noch nicht genügt, für den habe ich nachfolgend zehn weitere Gründe zusammengetragen:
ZEHN GUTE GRÜNDE, DEUTSCH ZU LERNEN
(1) Damit man auf Mallorca nicht für einen Ausländer gehalten wird.
(2) Damit man bei deutschen Fernsehserien wie „Derrick“, „Ein Fall für zwei“ und „Sturm der Liebe“ nicht auf Untertitel angewiesen ist.
(3) Damit man seine Freunde durch Wörter wie „Fußballweltmeisterschaftsendrundenteilnehmer“ oder „Überschallgeschwindigkeitsflugzeug“ beeindrucken kann.
(4) Damit man nicht enttäuscht ist, dass man kein Trinkgeld bekommt, wenn ein Deutscher sagt, er wolle einem gern einen „Tip“ geben.
(5) Damit man Goethe im Original lesen kann. Und auch andere Klassiker der deutschen Dichtung wie Heinz Erhardt, Wilhelm Busch und Loriot.
(6) Damit man es als Porsche-Fahrer nicht nur allen zeigen, sondern auch noch allen sagen kann, dass der Wagen weder „Porsch“ noch „Porschie“ ausgesprochen wird.
(7) Damit man in der Lage ist, gut gemeinte Hinweise zu berücksichtigen, wie man sie auf einigen deutschen Erzeugnissen findet, zum Beispiel „Augenkontakt unbedingt vermeiden!“ oder „Dämpfe nicht einatmen!“.
(8) Damit man bei der Bambi-Verleihung auf Deutsch sagen kann: „Ich danke meinen Eltern! Und allen Leuten von Sony Music! Und natürlich meinem Publikum! Ihr seid so wundervoll! Ich liebe euch alle!“
(9) Damit man als Journalist dem deutschen Außenminister bei einer Pressekonferenz Fragen auf Deutsch stellen kann.
(10) Damit man die Rolle des Bösewichts im nächsten James-Bond-Film bekommt.
(c) Bastian Sick 2010/2013
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.
Weiteres zur Bedeutung der deutschen Sprache in der Welt:
KOLUMNE: Weltsprache Deutsch