Frage einer Leserin aus Berlin: In einem Buch, welches zu DDR- Zeiten geschrieben wurde und auch dort spielt, las ich folgenden Satz:
»Da lächelte das Mütterchen unter seinem Kopftuch hervor.«
Mein Sprachempfinden meldete sich. Müsste es nicht »unter ihrem Kopftuch« heißen? Oder hat sich Sprache hier gewandelt? Sprach man im Osten, aus dem ich selber stamme, so? Wenn »seinem« richtig ist, woher leitet es sich ab? Liege ich richtig in der Annahme, dass es sich um ein besitzanzeigendes Fürwort handelt? Über eine Antwort würde sich eine sprachbegeisterte Leserin freuen.
Antwort des Zwiebelfischs: Liebe Leserin, der von Ihnen zitierte Satz ist grammatisch einwandfrei. »Das Mütterchen« ist sächlich – und das Possessivpronomen der 3. Person Singular sächlich lautet »sein/seine«. Das Mütterchen lächelt also völlig korrekt unter seinem Kopftuch hervor. Und wenn der Zug hält und das Müttchen aussteigt, dann steigt »es« aus dem Zug, nicht »sie«. »Sie« und »ihrem Kopftuch« wäre richtig, wenn anstelle von »das Mütterchen« dort »die Mutter« oder »die Frau« gestanden hätte.
Dasselbe Phänomen finden wir auch oft bei dem Wort »das Mädchen«. Auch dieses ist grammatisch sächlich – weil es eine Verkleinerungsform ist, und alle Verkleinerungsformen (also alle Wörter, die auf -lein oder -chen enden), sind sächlich: das Bübchen, das Väterlein, das Mütterchen, das Mädelein. Daher heißt es korrekt: »Das Mädchen hatte seinen Freund dabei.«
Es ist heute allerdings zulässig, beim »Mädchen« zum weiblichen Pronomen »ihr/ihre« zu wechseln. Grammatisch zwar nicht sauber, doch schulden wir diese Möglichkeit der feministischen Linguistik, die das Mädchen aus seiner grammatischen Sächlichkeit gelöst und seine biologische Weiblichkeit in den Vordergrund gestellt hat.
Beim »Mütterchen« könnte man es heute wohl auch so handhaben. Der Text aber, den Sie zitieren, dürfte älteren Datums sein (er stammt ja offenbar aus einer Zeit, als das Tragen von Kopftüchern noch nicht automatisch auf eine muslimische Mitbürgerin schließen ließ) und ist daher von modernen gesellschaftlichen Tendenzen noch gänzlich unberührt.
Zur Wahl des richtigen Pronomens: Qualität hat ihren/seinen Preis
Zu Wörtern auf »-chen«: Teechen oder Käffchen?
Fundstück: Zimmerleute gesucht
Sehr geehrter Herr Sick,
müsste es im obigen Artikel nicht Mägdelein oder Mädel heißen (oder wie wir im Erzgebirge sagen: ´s Madel)? Das gleiche Problem mit dem wechselnden Artikel hatte vor einiger Zeit unser Heimatsender im Polizeireport: „Das Mädchen wurde vom Auto angefahren. Sie wurde dabei verletzt.“
Glück Auf aus dem Erzgebirge
Mario
Schon 1832 steht bei Heine:
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Ein Beispiel früher feministischer Linguistik?
Ein großartiges Beispiel, lieber Patrick, vielen Dank dafür! Heine ist hier aber zweifellos nicht feministischen Prinzipien gefolgt, sondern ästhetischen. Denn das grammatisch zwar korrekte »Es rührte es so sehre …« ist weder wohlklingend noch eindeutig. Aus Gründen der Schönheit Grammatische Regeln außer Acht zu lassen, ist durchaus zulässig, vor allem in der Kunst.
Wenn nach z. B. „Mädchen“ der Text mit weiblichen Pronomina fortgesetzt wird, nennt sich das meines Wissens constructio ad sensum, also eine sinngemäße Konstruktion, die grammatikalisch zulässig ist. Diese Information vermisse ich…
Lieber Herr Sick,
„das Mädchen und sein Kopftuch “ ist mir klar. Wenn es um meine Freundin Dorothee geht, tue ich mir schwer. Sie wird von allen Dorle genannt, auch von mir. Schreibe ich ihr, dann sträubt sich alles in mir, „liebes Dorle“ zu tippen. Deshalb weiche ich gerne auf „Hallo Dorle“ aus, was aber sehr kühl wirkt und mir auch nicht gut gefällt. Meine Mitmenschen scheint es nicht zu stören, von dem Dorle zu erzählen oder das Dorle zu zitieren. Für eine moderne erwachsene Frau irgendwie unpassend, finde ich. Mich wundert, dass sie sich nicht selbst dagegen wehrt, versächlicht zu werden. Gibt es eine Lösung?
Vielen Dank und schöne Grüße
Ruth Roth