Ein Lehrer aus Ungarn grübelt über einen komplizierten Satz, der eine Aufzählung enthält, die von dem Wort „etliche“ angeführt wird. Wie wird dahinter gebeugt, möchte er wissen. Das Wort „etliche“ ist ein sogenanntes Mengenwort, und Mengenwörter gibt es etliche, um nicht zu sagen eine ganze Menge. Das Gemeine ist nur: Jedes Mengenwort hat seine eigenen Beugungsregeln. Um das Beugungsverhalten von Mengenwörtern zu erklären, braucht es eine Menge Wörter – oder eine schlichte Tabelle. Hier finden Sie beides.
Frage eines Deutschlehrers aus Ungarn: Sehr geehrter Herr Sick, zusammen mit einer Deutsch-Kollegin erstelle ich Arbeitsblätter für Deutschlernende zu aktuellen Themen. In unserem neuesten Arbeitsblatt geht es um den ESC 2015 als eine Show der Superlative. Daher der in Superlativen „schwelgende“ Sprachduktus im nachfolgenden Satz:
„Die faszinierende Beleuchtungsgestaltung mit unglaublichen Lichteffekten und dazu die ideenreichen, in Farben überbordenden Animationen vieler Songs sowie etliche die Songs begleitenden artistischen bzw. tänzerischen Darbietungen ließen den ESC zu einem absoluten Genuss werden.“
Meine Kollegin meint, es müsse „etliche die Songs begleitende artistische bzw. tänzerische Darbietungen“ heißen. Hat sie recht?
Antwort des Zwiebelfischs: Sehr geehrter Leser, der Satz hat es wahrlich in sich. Wolf Schneider hätte ihn gründlich auseinandergenommen und gefragt, warum es bürokratisch-behäbig „Beleuchtungsgestaltung“ heißen müsse und nicht einfach „Lichtgestaltung“, welche genaue Bedeutung das umgangssprachliche „unglaublich“ habe, warum man eine komplizierte Drei-Wort-Formel wie „in Farben überbordend“ wählen musste statt des griffigen Wortes „farbenprächtig“ und warum Lieder in einem deutschen Text nicht mehr Lieder genannt werden dürfen. Er hätte Ihnen vorgeschlagen, mindestens die Hälfte an überflüssigem Ballast abzuwerfen und es hiermit zu versuchen:
„Die faszinierende Lichtgestaltung, die ideenreichen, farbenprächtigen Inszenierungen der einzelnen Lieder, begleitet von etlichen geradezu artistischen Tanzdarbietungen, ließen den ESC zu einem wahren Genuss (oder auch: zu einem einzigartigen Spektakel) werden.“
Das beantwortet aber Ihre Frage nicht. Von der bliebe in einer von Wolf Schneider zurechtgestutzten Fassung auch nicht mehr viel übrig. Darum kehren wir also zu Ihrem Ausgangstext zurück:
„etliche die Songs begleitende(n) artistische(n) bzw. tänzerische(n) Darbietungen“
Starke oder schwache Beugung, das ist hier die Frage. Die schwache Beugung erkennt man an der Endung auf „-n“, die starke kommt ohne „n“ aus, weshalb man sie wohl auch „stark“ genannt hat.
Ob bei den Attributen (das sind die Wörter „begleitend“, „artistisch“ und „tänzerisch“) starke oder schwache Beugung gefragt ist, hängt davon ab, welches Wort ihnen vorangeht.
Das kann ein bestimmter Artikel sein („die“), ein Pronomen („meine“, „ihre“) oder etwas anderes. In diesem Fall ist es etwas anderes, nämlich das Mengenwort „etliche“.
Es gibt Mengenwörter, hinter denen schwach gebeugt wird, und andere, hinter den stark gebeugt wird. Und solche, hinter denen genauso gebeugt wird wie das Mengenwort selbst. Das nennt man „parallele Beugung“.
Hinter „etliche“ wird parallel gebeugt. Das heißt, wenn „etliche“ „schwach“ wird und ein „n“ bekommt (im Dativ zum Beispiel: „mit etlichen …“, „bei etlichen …“), dann bekommen auch die folgenden Attribute ein „n“. Wenn „etliche“ „stark“ bleibt und ohne „n“ auskommt, bekommen auch die nachfolgenden Attribute keins. Die Phrase aus Ihrem Text lautet demnach korrekt: „etliche die Songs begleitende artistische bzw. tänzerische Darbietungen“.
Man kann sich das Ganze leichter verständlich machen, indem man den Satz reduziert. Nehmen wir zunächst nur „etliche Darbietungen“ und fügen ein „tänzerisch“ hinzu, dann haben wir:
– etliche tänzerische Darbietungen
Sie würden mir gewiss zustimmen, dass „tänzerischen“ hier ungewöhnlich klänge.
Fügen wir nun weitere Attribute hinzu, so bleibt es bei der starken Beugung:
– etliche artistische oder tänzerische Darbietungen
– etliche die Songs begleitende artistische oder tänzerische Darbietungen
Aber: Stünde das Ganze im Dativ, würde „etliche“ zu „etlichen“, und die folgenden Attribute purzelten mit gleicher Beugung hinterdrein:
– mit etlichen die Songs begleitenden artistischen oder tänzerischen Darbietungen
In Ihrem Beispiel stand jedoch „etliche“ im Nominativ, daher wird die gesamte Phrase gleichmäßig stark gebeugt, ohne „-n“.
Es wäre aber nicht Deutsch, wenn es nicht auch noch komplizierter ginge.
Nehmen wir mal an, hinter „etliche“ stünde noch ein Artikel. Denn man kann sowohl „etliche Darbietungen“ als auch „etliche der Darbietungen“ sagen – die zweite Variante setzt die Darbietungen mitsamt ihren Attributen reizvollerweise in den Genitiv.
Nun gilt nicht mehr, was für „etliche“ galt (also parallele Beugung), denn prompt richtet sich alles nach dem bestimmten Artikel („die“, was im Genitiv zu „der“ wird), und sämtliche Attribute tanzen brav nach dessen Pfeife. Und weil hinter bestimmtem Artikel schwach gebeugt wird, hieße Ihr Beispiel in diesem Falle korrekt: „etliche der die Songs begleitenden artistischen bzw. tänzerischen Darbietungen“
Entweder mogeln Sie noch schnell ein „der“ in den Satz, oder Sie geben sich Ihrer Kollegin geschlagen und laden sie zu einem Essen ein – wahlweise mit etlichen den Abend versüßenden köstlichen exotischen Cocktails (im Dativ) oder auf etliche den Abend versüßende köstliche exotische Cocktails (im Akkusativ).
Um die Verwirrung aber komplett zu machen, sei noch darauf hingewiesen, dass es neben „etliche“ noch zahlreiche weitere Mengenwörter gibt, zum Beispiel „einige“, „wenige“, „viele“, „manche“ und „keine“ – und selbstverständlich gelten nicht für alle die gleichen Regeln.
Hieße es in Ihrem Satz nicht „etliche“, sondern „sämtliche“, sähe die Sache schon wieder anders aus, denn hinter „sämtliche“ wird schwach gebeugt:
„sämtliche die Songs begleitenden artistischen oder tänzerischen Darbietungen“
Hinter „mehrere“ hingegen wird stark gebeugt, hinter „manche“ wiederum schwach. Worin da die Logik steckt? Das fragen Sie am besten diejenigen, die sich die deutsche Sprache ausgedacht haben. (Es heißt, die seien seit Jahren auf der Flucht.)
Ich spüre, dass es Zeit für eine Tabelle ist. Ich bin ein erklärter Freund von Tabellen, und falls auch Sie dieser Übersichtsform etwas abgewinnen können, wird Ihnen die folgende hoffentlich hilfreich erscheinen.
Herzlich grüßt Sie
Ihr Zwiebelfisch
Tabelle: Beugung hinter Mengenwörtern
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Lieber Herr Sick,
wie schön, dass Sie auf Wolf Schneider verweisen! Ich lese gerade seine Lebenserinnerungen und kann sie nur empfehlen; nicht nur wegen des spannenden Berichts über 90 Jahre wechselvollen Lebens, sondern auch als Anschauungsmaterial für schönes Deutsch – mit korrekten Konjunktiven.
Lieber Herr Sick, in der von Ihnen eingefügten Tabelle am Ende des Beitrags findet sich die Spalte „Genitiv (z.B. hinter trotz)“. Müsste das „trotz“ nicht in die Spalte Dativ rutschen? Korrekterweise wird bei trotz doch der Dativ gebildet, weshalb es ja auch trotzdem und nicht trotzdessen heißt.
Trotz des Wortes „trotzdem“ ist „trotz“ eine Präposition, die gemäß heutigem Sprachstandard den Genitiv regiert. Lesen Sie dazu bitte auch die Eröffnungskolumne in meinem Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“.
Wie wird aber ein Substantiv, ohne vorangehendes Adjektiv, nach „etliche“ gebeugt? Z.B. „Es gibt für mich noch etliche Unbekannte(n)“ ?