Vor Kurzem traf ich mich mit meinem alten Freund Ary in Hamburg. Wir wollten einen Happen essen und landeten im Lokal »Ahoi« von Steffen Henssler. Die Wände im Inneren waren mit Wegweisern und Schildern dekoriert. Auf einem stand »In Hamburg sagt man Moin«. Das las sich so, als sei das schon immer so gewesen. Ary, der mittlerweile 79 ist und 50 Jahre lang für das Hotel »Reichshof« gearbeitet hat, die meiste Zeit davon als Empfangschef, konnte sich aber nicht erinnern, dass man sich dort früher mit »Moin« begrüßt hätte. Nicht, dass »Moin« für den »Reichshof« nicht fein genug gewesen wäre – man kannte es einfach nicht. »Zu meiner Zeit hieß es noch Tach«, sagte Ary. »Ich sach noch heute Tach – und tschüschen.«
Meine Erinnerungen sind ähnlich: Als Holsteiner bin ich mit »Morgen!«, »Tach!« und »Nabend!« aufgewachsen. Der Vater meiner Schulfreundin Silke aber begrüßte mich stets mit einem fröhlichen »Moin!«, was mir damals immer etwas seltsam vorkam. Denn wie viele andere Menschen auch, hielt ich es für eine Verkürzung des Wortes »Morgen«. Silkes Vater, ein gebürtiger Nordfriese, sagte »Moin« aber auch am Mittag und am Nachmittag. Zu welcher Tageszeit ich auch kam, ich wurde von ihm immer mit »Moin« begrüßt.
Was dieses Wort tatsächlich bedeutet und woher es stammt, lernte ich erst einige Jahre später. Als Student fing ich an, Niederländisch zu lernen, und da gibt es das Wort »mooi«, das »schön« und »gut« bedeutet. »Een mooie dag« ist auf Deutsch »ein schöner Tag«. Im Friesischen, das irgendwo zwischen Niederländisch, Platt und Dänisch angesiedelt ist, gibt es das Wort »moi« auch, und nun verstand ich, wieso Silkes Vater »Moin« auch am Abend sagen konnte: weil es einfach nur »Guten!« heißt. Das fehlende »Morgen«, »Tag« oder »Abend« muss man sich jeweils hinzudenken.
Dass »Moin« weit über die Grenzen Frieslands hinaus so bekannt und populär wurde, haben wir höchstwahrscheinlich einer Comicfigur zu verdanken, und zwar »Werner« von Rötger Feldmann alias Brösel. Werner ist nämlich in Angeln zu Hause, wo sich norddeutsches Platt und Friesisch vermischen. Die ersten Comicalben erschienen bereits in den Achtzigerjahren, doch der Durchbruch zur Kultfigur folgte erst mit den Zeichentrickfilmen in den Neunzigern. Werner hat so manches regionale Wort salonfähig gemacht und das ein oder andere sogar erfunden, wie zum Beispiel das lautmalerische Wort »fump«, das das Geräusch beim Öffnen einer Bügelflasche nachahmt.
Wenn der Inhaber des »Ahoi« behauptet, in Hamburg sage man »Moin«, als sei das eine unumstößliche Tatsache, beweist er, dass er nicht viel von hanseatischer Tradition versteht. Das zeigt sich auch in seinem Restaurant, das zwar modern, aber nicht besonders gemütlich ist. Ary und ich beschließen daher, doch lieber zu »Daniel Wischer« zu gehen – mit einem freundlichen »tschüs«, denn das sagt man in Hamburg tatsächlich schon immer, wie Heidi Kabel einst sang.
Gegen das Grußwort »Moin« ist allerdings nichts einzuwenden, es ist im Gegenteil überaus erfreulich, dass ein friesisches Wort derartige Bekanntheit erlangt hat. Selbst mein Tourleiter Joe, der mich jahrelang zu meinen Lesungen begleitet hat, liebte das »Moin«, obwohl er aus dem Sauerland stammte. Was die oft gehörte Doppelung dieses Wortes betrifft, so halte ich es aber lieber wie mein Niendorfer Nachbar Oliver, dem der »Strand-Kiosk« gehört. Auf die Rückseite seiner Visitenkarte hat er das schöne Zitat gedruckt:
Es heißt »Moin«. »Moin, Moin« ist schon Gesabbel.
© Bastian Sick 2022
Es ist eigenartig, dass wir im schweizerischen Bernerdialekt in den fünfziger Jahren als Kinder und Schüler einander auch immer und zu jeder Tageszeit „moin“ sagten. Waren mehrere Knaben oder Mädchen zusammen, sagte man „moin zäme“ (zusammen).
Hallo Herr Sick,
was mich schon lange ärgert: Leider setzt sich das norddeutsche Dialekt-Wort Rote Bete (manchmal sogar Rote Beete) durch.
Sie als Norddeutschen wird es sicher freuen, ungefähr so, wenn ein bayerisches Dialektwort oder gar ein oberpfälzisches deutschlandweit die Runde macht.
Aber mir gefällt das nicht.
Oder soll bei dem Satz »Ich haue dir eine auf die Rübe!« unterschieden werden können zwischen Kopf und Wurzelgemüse?
Viele Grüße
Josef Heil
Sehr geehrter Herr Heil, dass »Rote Bete« norddeutscher Dialekt sei, kommt Ihnen nur so vor. Es stammt vom keltisch-lateinischen Wort »beta«, das »Rübe« und auch »Mangold« bedeutet. Die wenigsten norddeutschen Wörter sind lateinischen Ursprungs! 🙂
Es gehört vielmehr zur deutschen Hochsprache, die in der Tat die Dialekte immer weiter zurückdrängt. Dies liegt an der gestiegenen Mobilität unserer Gesellschaft und am überregionalen Radius der Medien. Die norddeutschen Mundarten (Plattdütsch) sind schon seit viel längerer Zeit und viel stärker zurückgedrängt worden als die süddeutschen.
Für die rote Rübe kennen die Dialekte noch zahlreiche andere Formen, z. B. »Rotrieb« (Rotrübe), »Rotrahne« und »Rotrummel«. Dass die Lebensmittelindustrie sie aber überall als »Rote Bete« verkauft, liegt natürlich daran, dass die großen Unternehmen für den gesamtdeutschen Markt produzieren und nicht gewillt sind, für jede Region ein eigenes Etikett zu drucken. Sonst fänden sich ein Rheinländer oder ein Schwabe in einem Supermarkt in der Oberpfalz auch kaum zurecht.
Moin, es gibt eine neue Wortschöpfung: Eine Sardin hat mir mitgeteilt, dass die norddeutschen Italiener sich u. a. mit
„Moingiorno“ begrüßen.
Herrlich! Ich lach mich schlapp!