Mittwoch, 24. April 2024

Krötenstühle, Piepschaum und Knüffelbiester

Über Weihnachten war ich bei meiner Cousine in Amsterdam. Ich mag die Stadt und überhaupt die Niederlande. Vor allem natürlich mag ich meine Cousine. Sie war auch der Grund, dass ich irgendwann angefangen habe, Niederländisch zu lernen. Anfangs klang diese Sprache für mich einfach nur drollig. Mittlerweile ist sie mir sehr ans Herz gewachsen. Sie ist dem Deutschen sehr ähnlich, vor allem dem Niederdeutschen, und wer Platt schnackt, der kann vieles von dem verstehen, was Niederländer sagen. Beide Sprachen haben unverkennbar dieselben Wurzeln. Ab dem 16. Jahrhundert ging Niederländisch aber zunehmend eigene Wege. Zum Beispiel entschied man sich dafür, das Wort „varen“ (= fahren) ausschließlich für die Fortbewegung auf dem Wasser zu verwenden. Wenn der Niederländer mit dem Auto, dem Bus oder dem Zug fährt, dann „reitet“ er, denn „mit dem Auto fahren“ heißt im Niederländischen „met de auto rijden“. Gefahren wird im Niederländischen nur zu Wasser; zu Land wird stets geritten.

Fahrräder in Amsterdam

Oder „gefietst“. Das bedeutet „Rad gefahren“. Der Ursprung des Wortes „fiets“ für Fahrrad gab den Sprachwissenschaftlern lange Zeit Rätsel auf. Ausgerechnet dieses Wort, das in Holland so selbstverständlich ist wie Tulpen und Käse, konnte man sich nicht erklären. Ein belgischer Sprachexperte hat aber nun herausgefunden, dass es vermutlich  vom deutschen Wort „Vize“ stammt. Denn als das Fahrrad im 19. Jahrhundert aufkam, wurde es in Deutschland zunächst  als „Vizepferd“ bezeichnet, als Ersatzpferd. Im Rheinischen zu „Viez“ verkürzt, gelangte das Wort ins Niederländische, wo es sich bis heute gehalten hat. 

Viele niederländische Wörter sind den deutschen so ähnlich, dass man ihre Bedeutung zu kennen glaubt. Doch dabei liegt man schnell daneben. Denn oft hat sich die Bedeutung verschoben, sodass die vermeintlichen gleichbedeutenden Wörter zu sogenannten falschen Freunden geworden sind. Zum Schrank sagen die Niederländer „kast“, und was bei uns ein Kasten oder ein Karton ist, das nennen die Niederländer „doos“. Zur Dose sagen sie wiederum „blik“, was mit dem deutschen Wort „Blech“ verwandt ist. 

Zu einem Haus, das renoviert worden ist, sagen die Niederländer »verbouwd«. Für uns  klingt das so, als sei es unzugänglich geworden. Und nachdem das Haus „verbaut“ worden ist, wird es „verkocht“ – was aber nicht bedeutet, dass es zu lange gegart worden ist. „Verkocht“ ist Niederländisch für „verkauft“. Und wo wir gerade beim Kaufen sind: „einkaufen“ heißt auf Niederländisch nicht etwa „inkopen“ – das wäre viel zu leicht. Dafür sagt man »boodschappen doen“ – was nach Botschaften klingt und aus einer Zeit stammt, als man nicht selbst zum einkaufen ging, sondern sein Dienstpersonal auf Botengänge schickte. Für das Wort „bestechen“ verwenden die Niederländer ebenfalls ein wort, das »kaufen« enthält: „omkopen“ – wörtlich übersetzt „umkaufen“, was sehr bildlich ist. 

Bildlich sind auch viele andere Wörter im Niederländischen. Ein Pilz zum Beispiel ist ein „paddestoel“. Das Wort „pad“ bedeutet „Kröte“, ein „paddestoel“ ist also ein Krötenstuhl. Vor meinem geistigen Auge sehe ich dabei immer eine Kröte, die nach Feierabend im Wald an die Bar geht, sich auf einen Pilzhocker setzt und ein Bier bestellt. Warum auch nicht? Im Plattdeutschen gibt es für den Pilz das Wort »Poggenstöhl«, was unverkennbar mit »paddestoel« verwandt ist. Meine Cousine kombinierte sogleich, dass der Name des Edelküchen-Herstellers Poggenpohl demnach so viel wie Krötentümpel bedeutet – was gerade für eine Edelküche sehr passend ist.   

Für Styropor haben die Niederländer das herrliche Wort „piepschuim“ (Piepschaum) erfunden. Und zum Stofftier sagen sie „knuffelbeest“ (Knüffelbiest). Als ich das Wort für Kopfhörer lernte, musste ich schallend lachen, denn das ist im Niederländischen „een koptelefoon“ (ein Kopftelefon). Die Niederländer konnten offenbar schon telefonieren, als wir nur hören konnten. 

Beim Kartenspiel mit meiner Cousine wird viel „gespart“, zum Beispiel Damen oder Asse, denn was im Deutschen „horten“ oder „sammeln“ bedeutet, heißt auf Niederländisch „sparen“. Wenn meine Cousine mal wieder am Gewinnen ist und ich ihr auf Niederländisch sage, sie solle „niet gierig“ werden, verbessert sie mich stets, denn das niederländische Wort „gierig“ bedeutet auf Deutsch „geizig“. Unser „gierig“ hingegen heißt auf Niederländisch „hebzuchtig“ (habsüchtig). So dicht beieinander, und doch so verschieden. Im Niederländischen gibt es zwar das Wort „liefde“ (Liebe), und man kann auch jemanden „lief hebben“ (lieb haben), aber es gibt nicht das Verb „lieven“ für „lieben“. Das wird im Niederländischen mit dem Wort „houden“ (= halten, im Sinne von „etwas von jemandem halten“) ausgedrückt. Wenn man auf Niederländisch jemandem sagen will, dass man ihn liebt, dann sagt man „ik hou van jou“, was ein bisschen wie „ich hau’ dich gleich!“ klingt. Liebe und Schmerz liegen bekanntlich dicht beieinander, genau so dicht wie Niederländisch und Deutsch.

© Bastian Sick 2022

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