Finden Sie auch, dass ziemlich viel von dem, was irgendwie so gesagt wird, im Grunde eigentlich nicht wirklich gehaltvoll ist? Das liegt manchmal wohl eben einfach auch daran, dass an sich halt gar nicht besonders viel Gehaltvolles gesagt worden ist. Von daher …
Manchmal ärgere ich mich über mich selbst. Zum Beispiel, wenn ich etwas nicht wiederfinden kann, das ich erst gestern noch in der Hand hatte. Oder wenn ich aus Nachlässigkeit eine Datei gelöscht habe, die ich noch benötige. Oder wenn ich einen kilometerlangen Umweg fahre, nur weil ich es nicht fertig bringe, zur Kreuzung zurückzufahren, an der ich falsch abgebogen bin. Oder wenn ich etwas sage, das ich eigentlich gar nicht meine. Genauer gesagt: Wenn ich etwas sage, das eigentlich überflüssig ist. Denn immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich meine Sätze mit Füllwörtern stopfe, auf die ich genauso gut verzichten könnte. Eines meiner bevorzugten Stopfmittel scheint das Wort „eigentlich“ zu sein.
Mein Freund Henry reagiert auf sogenannte Füllsel besonders empfindlich. Überflüssigen Ballast solle man abwerfen, meint er. Dann würde man mit dem, was man zu sagen hat, länger in der Luft bleiben. „Eigentlich hast du Recht“, sagte ich ihm einmal, woraufhin er spöttisch erwiderte: „Und uneigentlich nicht?“
Früher habe ich auch gern mal ein „an und für sich“ in meine Rede einfließen lassen. Eine Wendung, die ich schon als kleines Kind von den Erwachsenen aufgeschnappt habe, ohne sie recht zu begreifen. Niemand sprach das „An und für sich“ deutlich in vier Worten, meistens wurde es zu einem „Annfürsich“ zusammengezogen. Darunter konnte ich mir als Kind nichts vorstellen und glaubte stattdessen, es hieße „am Pfirsich“. Was genau ein Pfirsich mit der jeweiligen Sache zu tun hatte (und warum es nicht genauso gut eine Ananas oder eine Pampelmuse sein konnte), war mir unklar, aber als Kind akzeptiert man, dass die Welt voller Wunder und Rätsel steckt. Den „An-und-Pfirsich“ habe ich mir in jahrelanger, harter Selbstdisziplin wieder abtrainiert, dafür sind andere Füllwörter hinzugekommen: ein „eigentlich“ hier, ein „irgendwie“ da, und auf jeden Fall ein „jedenfalls“.
Als wir uns vorgestern zum Mittagessen trafen, sah mein Freund Henry etwas mitgenommen aus. „Schlaflose Nächte mit schönen Frauen gehabt?“, fragte ich mitleidig. „Leider nicht“, sagte Henry, „meine Nichte ist für ein paar Tage zu Besuch. Die ist 17, und es kommt mir vor, als hätte sie gerade erst sprechen gelernt. Jedenfalls plappert sie ohne Punkt und Komma. Ich habe immer nach dem Aus-Knopf gesucht, aber den hat man bei ihr wohl vergessen.“ — „Sie schlägt offenbar nach dir“, stellte ich fest. Henry bleckte die Zähne: „Pass auf, dass ich nicht gleich nach dir schlage!“ — „Und, was reden die jungen Leute heutzutage so?“, wollte ich wissen. „’So‘ trifft es schon mal ganz gut“, erwiderte Henry, „’so‘ scheint ihr Lieblingswort zu sein. Das kommt in jedem Satz mindestens dreimal vor.“ Als ich um eine Kostprobe bat, räusperte sich Henry und sprach, den Tonfall seiner Nichte imitierend: „Was machen wir so heute so? Der Justin Timberlake, der ist echt süß so. Mathe und Physik, das ist so überhaupt nicht so mein Ding so. Ich steh so eher auf Kunst und so Grafikdesign so.“ — „Na bitte, dann wird deine Nichte ja vielleicht mal ’so‘ Grafikdesignerin!“, rief ich begeistert aus. Henry gab sich weniger optimistisch: „Hauptsache, es ist etwas, bei dem sie nicht so viel reden muss! Das hoffe ich ihrer Umwelt zuliebe!“
Henrys „Umwelt“ hat es wahrlich nicht immer leicht. Eine seiner verflossenen Freundinnen pflegte ihre Zustimmung mit den Worten auszudrücken: „Wollte ich auch gerade sagen!“ Wenn die beiden aus dem Kino kamen und Henry seine Kurzkritik formulierte („Die Charaktere hatten keine Tiefe, in der Mitte riss der Spannungsbogen ab, das Ende war zu sinister“), dann nickte sie heftig und sagte: „Wollte ich auch gerade sagen.“ Auf die Dauer wurde es Henry unheimlich: „Was immer ich sagte — sie wollte gerade genau dasselbe sagen. Selbst als ich ihr sagte, dass ich der Meinung sei, wir passen nicht zusammen, kam wie aus der Pistole geschossen: ‚Wollte ich auch gerade sagen.’“ — „Das nennt man wohl eine Trennung in beiderseitigem Einverständnis“, fiel mir dazu ein. Henry nickte und stieß prustend hervor: „Wollte ich auch gerade sagen!“ Die meisten Füllwörter sind so alltäglich und geläufig, dass unser Gehirn sie beim Empfang automatisch aussortiert. „Null Information, folglich keine Reaktion erforderlich!“, lautet die synaptische Analyse. Doch wenn man eine Phrase nicht gleich als solche erkennt, kann sie einen ganz schön verwirren. Unlängst stieg ich in ein Taxi, dessen Fahrer sich als überaus gesprächig erwies. Er wetterte über die Mineralölkonzerne, die Politiker, die Radfahrer und die Polizei. Es hörte sich nach einer einzigen großen Verschwörung gegen das Taxifahrergewerbe an. In regelmäßigen Abständen fügte er ein „Verstehen Sie?“ an. Das irritierte mich: Befürchtete er, ich könne seinen Ausführungen nicht folgen? Erwartete er, dass ich mit einem „Ja“ erwiderte? Und wenn, würde er dieses Ja als Zustimmung zu seiner Verschwörungstheorie deuten? Die Sache war kompliziert. Bis mir klar wurde, dass es sich lediglich um eine Phrase handelte, eine Sprechpausenverhinderungsmaßnahme, auf die er keine Erwiderung erwartete. Denn ungeachtet meines beharrlichen Schweigens stellte er seine Rede erst ein, als wir am Ziel angelangt waren. Das Irritierende war vermutlich die Form seiner Fragestellung: Ein höfliches, wohlartikuliertes „Verstehen Sie?“ — so etwas musste ich einfach ernst nehmen. Hätte er neudeutsch „Weißte?“ gefragt, hätte ich gleich gewusst, woran ich bin.
Füllwörter sind aber nicht grundsätzlich zu verteufeln. Immerhin erfüllen sie eine wichtige sprachliche Funktion. Sie verschaffen uns Zeit und verhindern, dass der Redefluss plötzlich abreißt. Nicht jeder beherrscht die Kunst, gleichzeitig zu denken und zu sprechen. Während man über den nächsten Satz nachdenkt, besteht die Gefahr, dass eine Pause eintritt, die vom Gegenüber als Signal missverstanden werden kann, dass er jetzt wieder was sagen dürfe.
Gestern musste ich Henry einen Freundschaftsdienst erweisen und mich um seine Nichte kümmern, da er lauter unverschiebbare Termine hatte. Ich beschloss, mit ihr in eine Ausstellung über modernes Grafikdesign zu gehen. „Und, wie fandest du die Ausstellung?“, fragte ich hinterher. Sie guckte ein bisschen verlegen und druckste: „Also, na ja, ich fand sie so irgendwie so ich weiß nicht so.“ Eine erschöpfende Auskunft, dachte ich, dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Uneigentlich auch nicht.
Hier können Sie die Post an den Zwiebelfisch „Ich sach ma irgendwie so“ nachlesen!
(c) Bastian Sick 2008
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 4“ erschienen.