Sie glauben, geben und nehmen könne man nicht verwechseln? Ebenso wenig wie finden und verlieren oder wie suchen und anbieten? Doch wie steht es mit mieten und vermieten und mit kaufen und verkaufen? Eigentlich sind es Gegensätze, und doch auch wieder nicht.
An einem sommerlichen Freitagnachmittag schlendern Henry und ich durch die Innenstadt. Das Antiquariat in der Fußgängerzone hat dicht gemacht. Im Schaufenster hängt ein großes Schild mit der Aufschrift: „Ladenfläche zu vermieten“. „Vermutlich eröffnet hier demnächst ein weiterer Coffeeshop“, sagt Henry. „Wozu braucht der Mensch auch alte Bücher, wenn er einen Grande caffè latte mit Hazelnut-Flavor haben kann?“ — „Genau!“, pflichte ich ihm bei, „und es gibt ja auch erst vier Coffeeshops in dieser Straße.“
Zwei Geschäfte weiter scheint ebenfalls ein Inhaberwechsel bevorzustehen. Vor den Fenstern im ersten Stock hängt ein großes Werbetransparent. „Büroräume in dominanter Ecklage zu mieten“, liest Henry vor. „Das ist aber seltsam, findest du nicht?“ Ich erwidere lachend: „Dominante Ecklage — das ist doch genau das Richtige für den ehrgeizigen Chef einer Ich-AG.“ — „Ich meine nicht die dominante Ecklage“, erklärt Henry, „sondern das ,zu mieten‘. Beim Antiquariat steht ,zu vermieten‘, und hier heißt es ,zu mieten‘. Gemeint ist zweifellos dasselbe, dabei bedeutet mieten doch genau das Gegenteil von vermieten.“ Das stimmt. Was ist denn nun richtig?
Um es mit Shakespeare zu sagen: Zu mieten oder zu vermieten, das ist hier die Frage. Im Englischen heißt es ,Room for rent‘ — also ,Zimmer gegen Miete‘. Oder ,Rum für Rente‘, wie meine Freundin Sibylle immer sagt. Das hilft uns hier nicht weiter. In Deutschland ist es üblich, Wohnungen, Zimmer, Häuser, Büros und Ladenflächen, die zur Vermietung stehen, als „zu vermieten“ anzupreisen. Zwischen den vielen, vielen Anzeigen, auf denen das auch so steht, findet man aber immer häufiger auch solche, auf denen es nur „zu mieten“ heißt.
Mit den Verkaufsangeboten ist es ähnlich. Die meisten Eigentumswohnungen, die auf dem Immobilienmarkt angeboten werden, stehen zum Verkauf. Einige stehen aber auch zum Kauf. Beim Spaziergang durch bürgerliche Wohngegenden kommt man früher oder später an einem Schild vorbei, das von einem Makler in den Rasen oder in die Blumenrabatte gerammt wurde und einem schon von weitem verkündet, dass dieses Haus zu verkaufen sei. Gelegentlich kann man sogar zwei Angebote in unmittelbarer Nachbarschaft entdecken, auf dem einen steht „zu kaufen“ und auf dem anderen „zu verkaufen“. Beide Schilder bedeuten zwar dasselbe, sagen es aber mit sich scheinbar widersprechenden Worten. Als Deutscher wundert man sich darüber. Für einen Ausländer aber muss es äußerst verwirrend sein.
In Frankreich heißt es „à vendre“ (= zu verkaufen), und nicht etwa „à acheter“ (= zu kaufen). Im Niederländischen ist genau umgekehrt. Dort sind Immobilien „te huur“ (= zu mieten) oder „te koop“ (= zu kaufen). Die Wörter „verhuur“ und „verkoop“ existieren gleichwohl, sind aber in diesem Zusammenhang unüblich. Die Europäer sind sich offenbar nicht einig. Und aus Brüssel scheint noch keine eindeutige Weisung ergangen zu sein.
„Büros zu mieten“ ist ja die verkürzte Form einer längeren Aussage, und vielleicht findet man des Rätsels Lösung, indem man die verkürzte Form vervollständigt: „Ich habe Büros zu vermieten“ könnte es aus Sicht des Maklers oder Eigentümers heißen. Aber die Aussage richtet sich ja an den potentiellen Kunden, und für den wiederum kann es sich auch so lesen: „Hier gibt es für Sie Büros zu mieten“. Zweifellos ist es eine Frage des Standpunkts. Und aus der Sicht der Büros? Um sie geht es hier doch schließlich. Nun, Büros können zwar eine Aussicht haben, aber ihnen ist es egal, ob man sie mietet oder vermietet. Es kommt für sie aufs Gleiche raus.
Wer es gewohnt ist, Wörter auf die Goldwaage zu legen, könnte argumentieren, dass „zu vermieten“ streng genommen als Aufruf an Makler interpretiert werden müsse, sich als Vermieter zu betätigen: „Ich habe hier eine leerstehende Büroetage und suche jemanden, der sie für mich vermietet.“ Das ist allerdings eher unwahrscheinlich.
Doch bevor wir Hilfe aus Brüssel erwarten oder weiter über innere und äußere Sichtweisen philosophieren, schauen wir uns doch lieber an, wie die Sache üblicherweise gehandhabt wird.
Wer gewerblich Fahrräder verleiht, der betreibt einen Fahrradverleih — und keinen Fahrradleih. (Die juristische Unterscheidung zwischen „leihen“ und „mieten“ sei dabei mal außen vor gelassen.) Wer einen gebrauchten Kühlschrank abgeben will, der schreibt in seiner Anzeige „Kühlschrank günstig abzugeben“ und nicht etwa „Kühlschrank günstig anzunehmen“. Wer den unerwarteten Nachwuchs seiner Hauskatze loswerden will, der inseriert „Junge Kätzchen zu verschenken“ und bestimmt nicht „Junge Kätzchen geschenkt zu bekommen“. Üblicherweise also sind Anzeigen dieser Art stets aus der Sicht des Verkäufers formuliert. Als Anbieter formuliert man das Angebot — und nicht die Nachfrage.
„Büros zu vermieten“ ist die im Deutschen übliche Formulierung. Wer „Büros zu mieten“ anbietet, begeht zwar keinen grammatischen Fehler, schwimmt jedoch sprachlich gesehen gegen den Strom. Vielleicht ist es ein Streit um des Kaisers Bart. Zu mieten oder zu vermieten — mir soll beides recht sein. Solange ich nicht irgendwo lesen muss: „Büroräume in dominanter Ecklage mietbar“.
(c) Bastian Sick 2007
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 4“ erschienen.