Sonntag, 20. Oktober 2024

Weil das ist ein Nebensatz

Sprache ist ständig neuen Moden unterworfen. Manches verschwindet nach einiger Zeit wieder – manches aber hält sich und wird irgendwann sogar amtlich. Einer der größten „Hits“, den die Umgangssprache je hervorgebracht hat, ist die Abschaffung des Nebensatzes hinter Bindewörtern wie „weil“ und „obwohl“. Eine grammatische Revolution – oder bloß grober Unfug?

Freitagabend. Ich treffe mich mit Freunden im Lokal, um das Wochenende einzuläuten. Philipp und Maren sind da, und schließlich stößt auch Henry noch dazu. „Habt ihr schon bestellt?“, fragt er. „Nein, haben wir noch nicht“, sagt Philipp, „weil wir haben auf dich gewartet!“

„Das ist nett“, sagt Henry, „aber kein Grund, die Inversion zu vernachlässigen. Weil: Ich kann’s wirklich nicht mehr hören!“ Philipp zuckt die Schultern: „Ich kenne nur die Invasion in der Normandie, aber das hat hiermit vermutlich nichts zu tun – obwohl … bei dir kann man das ja nie so genau wissen.“ Henry seufzt und vertieft sich in die Speisekarte. Maren ist neugierig geworden: „Was meinst du denn mit Invasion?“ – „Ich meine nicht Invasion, sondern Inversion“, stellt Henry richtig. „Inversion bedeutet Umkehrung oder Gegenstellung. Beim Hauptsatz steht das Prädikat normalerweise in der Mitte, also hinter dem Subjekt und vor dem Objekt. In der Frage wandert das Prädikat an den Satzanfang, beim Nebensatz wandert es nach hinten.“

„Will noch jemand Wasser?“, frage ich und halte die Sprudelflasche in die Luft. „Siehst du“, sagt Henry zu Maren, „das war jetzt gerade eine typische Inversion von Subjekt und Prädikat im Fragesatz. Aus ‚Jemand will noch’ wird ‚Will noch jemand’. Anhand dieser Umstellung kann jeder erkennen, dass es sich um eine Frage handelt. Man braucht am Ende nicht mal die Stimme zu heben.“ – „Schon klar“, sagt Philipp, „da erzählst du mir nichts Neues … obwohl so genau hätte ich das jetzt nicht erklären können.“ – „Und in Nebensätzen gibt es auch so eine … Inversion?“, fragt Maren. „Normalerweise ja“, sagt Henry. „Steht in dem Hauptsatz ‚Wir sitzen im Kino‘ das Prädikat noch an zweiter Stelle, nimmt es im Nebensatz ‚während wir im Kino sitzen‘ die Schlussposition ein. So sieht es unsere Grammatik vor. In letzter Zeit aber wird immer häufiger auf die Inversion verzichtet. Statt hinter ‚weil‘, ‚obwohl‘ und ‚wobei‘ einen Nebensatz zu bilden, fangen viele einfach einen neuen Hauptsatz an.“

„Und ist das falsch, oder bloß eine neue Entwicklung?“, will Maren wissen. „Sowohl als auch“, antwortet Henry, „es ist eine neue Entwicklung, die mit den Regeln der Grammatik bricht. Und wenn sie sich weiter so ungehemmt ausbreitet, steht zu befürchten, dass sich die Grammatikwerke dem irgendwann anpassen und die Einleitung von Hauptsätzen mit ‚weil‘ und ‚obwohl‘ als zulässig erklären. Ich persönlich achte darauf, dass ich hinter weil einen Nebensatz bilde, also das Prädikat ans Ende setze. Und seit ich darauf achte, fällt mir ständig auf, wie viele andere es offenbar nicht tun!“ – „Woher kommt das denn?“, fragt Maren weiter. „Der Hauptgrund dürfte in der Bequemlichkeit liegen“, meint Henry. „Es ist einfacher, einen Hauptsatz zu konstruieren als einen Nebensatz. Wie oft fängt man beim Sprechen einen Satz an, ohne genau zu wissen, wie er enden wird. Ehe man sich’s versieht, hat man das Wort ‚weil‘ ausgesprochen und befindet sich mitten in einem abhängigen Kausalsatz. Man denkt: ‚Ups, wie komme ich da bloß wieder raus?‘ und rettet sich, indem man kurz Luft holt und dann mit einem neuen Hauptsatz beginnt. So als hätte man nicht ‚weil‘ gesagt, sondern ‚denn‘. Denn die Konjunktion ‚denn‘ gehört zur Gruppe der so genannten ‚koordinierenden Konjunktionen‘, das sind Wörter, die Hauptsätze miteinander verbinden. So wie und, oder, aber und sondern. Weil hingegen gehört zur Gruppe der ‚subordinierenden Konjunktionen‘, die Nebensätze einleiten. Und in Nebensätzen steht das Prädikat nun mal am Ende. Das ist für manch einen offenbar zu kompliziert. Heute morgen hörte ich im Radio den Satz: ,Ziehen Sie sich warm an, weil heute wird es noch kälter.‘ Ein Nebensatz aus sechs Wörtern, das ist doch eine überschaubare Angelegenheit, und trotzdem war der Sprecher mit der korrekten Platzierung des Prädikats überfordert.“

„Fest steht doch“, sagt Philipp, „dass Sprache sich entwickelt und Strukturen sich verändern können. Wenn die Mehrheit findet, dass es praktisch ist, hinter weil einen neuen Hauptsatz zu beginnen, warum sollte man das dann nicht akzeptieren?“ – „Ich habe ja auch nie behauptet, dass ich gegen Wandel in der Sprache sei“, stellt Henry klar. „Ich trete lediglich für einen bewussten Umgang mit der Sprache ein. Und ich bin absolut dafür, die Möglichkeiten der Sprache voll auszuschöpfen – dort, wo es sinnvoll ist.“ Ich pflichte Henry bei: „Gerade beim Satzbau lässt übrigens die deutsche Sprache sehr viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu als beispielsweise das Englische. Dort werden Sätze nach der immergültigen Formel ‚SPO‘ zusammengebaut.“ Philipp grinst und sagt: „Die Sozialdemokraten haben wirklich überall ihre Finger im Spiel – sogar in der Grammatik!“ – „SPO steht für Subjekt, Prädikat und Objekt – die drei Hauptbestandteile des Satzbaus. Auch im Deutschen werden die meisten Sätze nach dem SPO-Schema gebaut, doch das ist nicht zwingend. Es geht aber auch anders. Statt ‚Ich vertrage Paprika nicht‘ kann man auch sagen: ‚Paprika vertrage ich nicht‘. Das Subjekt kann ohne weiteres seinen Platz mit dem Objekt tauschen. Im Englischen geht das nicht, da steht das Subjekt immer vor dem Prädikat, sowohl im Hauptsatz als auch im Nebensatz.“ – „Vergiss nicht Yoda aus dem ‚Krieg der Sterne‘!“, wirft Henry ein, „bei dem stand das Objekt immer am Satzanfang: Auf die Macht zu hören du erst lernen musst!“

„Dann handelt es sich womöglich um einen Anglizismus“, mutmaßt Maren, „wir übernehmen doch ständig Dinge aus dem Englischen. Vielleicht ist diese Verdrehung hinter ‚weil‘ ja auch so eine Übernahme. Kennst du den Song ‚Because you loved me‘? Der heißt ja nicht ‚Because you me loved‘. – „Und wie würdest du diesen Titel ins Deutsche übersetzen?“, frage ich, „,Weil du mich liebtest‘ oder ‚Weil du liebtest mich‘?“ Maren überlegt kurz und sagt: „Weil du mich liebtest. Das klingt irgendwie … rhythmischer. Bei ‚Weil du liebtest mich‘ hakt es in der Mitte.“ Ich stimme Maren zu: „Sprache ist immer auch eine Frage von Melodie und Rhythmus. Es geht also nicht allein um richtig oder falsch, sondern auch um den Klang, genauer gesagt um den Wohlklang. Für meine Ohren hört es sich schöner an, wenn hinter ‚weil‘ ein Nebensatz folgt. Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden.“ – „Ich sage nur: Rettet den Nebensatz!“, sagt Henry, „weil … „ er macht eine Pause und holt tief Luft: „… es wirklich schade wäre, wenn er verloren ginge!“

„Können wir nicht mal das Thema wechseln?“, fragt Philipp, „weil das Grammatikgerede macht mich langsam müde!“ Henry und Maren blicken ihn gleichermaßen strafend an. Philipp knurrt: „Also schön: weil mich das Grammatikgerede langsam müde macht!“

(c) Bastian Sick 2005 / Foto: Zwiebelfisch-Leser Benno und Sina bei einer Lesung in Lübeck (28.2.2016)


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2“ erschienen.

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