Felix hat zu seinem Geburtstag einen Zauberkasten bekommen. Seitdem übt er mit großem Eifer alle möglichen Tricks. Heute zeigt er mir, wie er Milch verschwinden lässt. Er gießt sie in einen Becher, wirft dann ein schwarzes Samttuch darüber, macht ein paar kreisende Bewegungen mit seinem Plastikzauberstab und murmelt dazu die beschwörenden Worte »Hokuspokus, Simsalabim«. Sodann zieht er das Tuch mit einem Ruck zur Seite – und siehe da: Der Becher ist leer. „Bravo!“, rufe ich und spende ihm kräftig Beifall. Felix verneigt sich.
„Weißt du übrigens, woher Hokuspokus kommt?“, frage ich. Felix grinst: „Kein Ahnung. Aber wenn du schon so fragst, dann hat es bestimmt was mit der Bibel zu tun.“ – „Genau! Hokuspokus stammt sehr wahrscheinlich von den lateinischen Worten, die zu Beginn des Abendmahls gesprochen werden: Hoc est corpus meum, zu Deutsch: Dies ist mein Leib. Irgendjemand kam irgendwann auf die Idee, die ersten drei Worte Hoc est corpus zu Hocus Pocus zu verballhornen. Und weil beim Abendmahl – zumindest nach katholischem Glauben – eine Verwandlung stattfindet – aus Wein wird das Blut Christi –, boten sich die Worte Hocus Pocus als Formel für Verwandlungszauber aller Art an. In gedruckter Form tauchten sie zum ersten Mal im 17. Jahrhundert in England auf, und zwar auf dem Titel eines Buchs über die Taschenspielerkunst. Das wurde ins Deutsche übersetzt, und so gelangte Hokuspokus schließlich auch zu uns.“
„Und was ist dann mit Simsalabim?“, fragt Felix. „Kommt das auch aus der Bibel?“ – „Nicht aus der Bibel, aber aus einer anderen heiligen Schrift, nämlich dem Koran. Bis ins späte Mittelalter war die islamisch geprägte Welt der europäischen in technischen und wissenschaftlichen Dingen weit voraus, weshalb Muslime oft als Zauberer dargestellt wurden. Und ihre Gebete klangen in den Ohren der Europäer wie geheimnisvolle Beschwörungsformeln. Der Koran besteht aus über hundert Kapiteln, sogenannten Suren, und jede Sure beginnt mit den arabischen Worten bismillahi rahmani rahim, was auf Deutsch bedeutet: Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes. Vieles spricht dafür, dass bismillahi zu Simsalabim wurde, auch wenn es letztlich keinen Beweis dafür gibt. Einer anderen Auffassung zufolge soll Simsalabim auf die lateinischen Worte similia similibus zurückgehen, die aus der Heilkunst stammen und so viel wie Gleiches mit Gleichem (heilen) bedeuten. Dass Simsalabim aus dem Orient stammt, ist aber wahrscheinlicher.“ – „Das finde ich auch viel schöner!“, ruft Felix. „Warum?“, frage ich und blicke ihn gespannt an. Felix erwidert: „Es wird doch immer nur darüber geredet, was den Islam vom Christentum trennt. Aber kaum jemand spricht darüber, was die beiden Religionen verbindet. In der Formel Hokuspokus Simsalabim sind Worte aus der Bibel und dem Koran brüderlich vereint.“ – „Du hast recht!“, rufe ich begeistert und füge nachdenklich hinzu: „Eine solch harmonische Vereinigung vermag eben nur die hohe Kunst der Zauberei.“