Ein Uhu macht noch keine Zwiebelfisch-Kolumne, aber bei zweien wird es interessant! Denn wer da glaubt, ein Uhu und noch ein Uhu seien immer schon zwei Uhus gewesen, der hat noch einiges zu lernen über die flatterhafte Mehrzahl im Deutschen.
„Wissen Sie, wie die Mehrzahl von Uhu lautet?“, fragte mich ein Besucher im Anschluss an eine Veranstaltung im schönen Bayreuth. Ich ahnte gleich, dass dies eine Fangfrage sein müsse, und erwiderte vorsichtig: „Ich werde es bestimmt gleich erfahren!“ — „Die Mehrzahl von Uhu lautet nicht Uhus, sondern Uhue!“, behauptete der Mann, wobei er diesen triumphierenden „Ich weiß etwas, was Sie mal nicht wissen“-Blick aufsetzte. Ich widersprach ihm nicht, denn wenn ich eines inzwischen gelernt habe, dann dass man Besuchern von Bastian-Sick-Veranstaltungen besser nicht widerspricht.
Bei meinen Streifzügen durch die Wunderwelt der deutschen Sprache sind mir zwar schon einige schräge Vögel untergekommen, aber Uhue waren bislang noch nicht dabei. Ich glaube auch nicht, dass es sie gibt. Ich halte „Uhue“ füreine Legende, so wie das Ungeheuer von Loch Ness oder den Vogel Greif. Aber bevor ich mich auf eine Wette einlasse, konsultiere ich lieber das Wörterbuch.
In der aktuellen Ausgabe des Dudens ist die Mehrzahl des Wortes „Uhu“ mit einem „s“ angegeben, also Uhus. Eine andere Möglichkeit ist nicht vorgesehen. Na bitte, demzufolge hat es „Uhue“ nie gegeben. Oder doch? Früher vielleicht einmal? Vorsichtshalber schlage ich noch mal in einem älteren Wörterbuch nach, und siehe da: In der Ausgabe von 1929 findet man tatsächlich „Uhue“, versehen mit der Anmerkung, dass in Österreich auch die Form „Uhus“ existiere. „Zum Kuckuck“, denke ich, „sollte der Herr aus Bayreuth womöglich Recht haben?“ Um ganz sicher zu gehen, konsultiere ich ein zweites Nachschlagewerk, das „Deutsche grammatisch-orthographische Nachschlagebuch“ eines gewissen Dr. August Vogel — ebenfalls aus den 20er Jahren. Ein Herr Vogel muss ja wissen, wie die Mehrzahl von Uhu lautet, denke ich. Und siehe da: Auch er kennt die Form mit „e“ am Ende — oder die unveränderliche: ein Uhu, viele Uhu. Aber „Uhus“ waren ihm nicht bekannt. Das entlockt mir gleich mehrere „Ahas!“ — oder „Ahae“, ganz wie Sie wollen. Offenbar wurde der Uhu nicht nur ein Opfer der menschlichen Zivilisation, sondern auch des Sprachwandels. Denn „Uhue“ sind heute ausgestorben; Uhus hingegen findet man zuhauf, nicht nur bei den Klebemitteln im Papierwarengeschäft, sondern eben auch in aktuellen Wörterbüchern.
In der deutschen Sprache kann die Mehrzahl auf viele verschiedene Weisen gebildet werden. Es gibt mindestens elf Möglichkeiten. Mal wird ein „e“ angehängt oder ein „n“, mal ein „er“ oder ein „en“, mal kommt dabei noch ein Umlaut ins Spiel, mal verändert sich auch gar nichts, und nicht selten hat ein Wort sogar zwei verschiedene Pluralformen. Entweder, weil diese einen Bedeutungsunterschied markieren; so wie bei dem Wort Band, das zu „Bände“ oder „Bänder“ werden kann, und — englisch ausgesprochen — auch noch zu „Bands“. Oder, weil sich die Deutschen einfach nicht auf eine einheitliche Pluralform einigen konnten, so wie im Falle der Denkmäler und Denkmale oder der Süchte und Suchten.
Die Pluralendung „s“ bei Dingen ist keine ursprünglich deutsche. Wir haben sie uns von anderen Sprachen abgeguckt. Daher kommt sie hauptsächlich bei Fremdwörtern zur Anwendung: bei Cocktails, Partys, Gags, Meetings und Shops, bei Taxis, Büros, Appartements, Salons und Hotels.
Da wir auch viele Tiere aus anderen Sprachen importiert haben, die in der Mehrzahl auf „s“ enden (Aras, Boas, Gnus, Gorillas, Zebras), haben wir ihnen den Uhu angeglichen, obwohl dieses Tier seinen Namen nicht einem Auslandsimport zu verdanken hat, sondern einer lautmalerischen Nachahmung seines Rufes. Früher hieß er auch mal Schuhu, Buhu oder Huhu. Am Ende hat sich „Uhu“ durchgesetzt. Und mittlerweile hat sich die Mehrzahlform „Uhus“ durchgesetzt. Das „ue“ am Ende muss den Menschen zunehmend seltsam erschienen sein, sodass es irgendwann dem immer geläufiger werdenden Plural auf „s“ wich.
Bei einigen Wörtern neigt die Umgangssprache dazu, den Plural zu verdoppeln. Und damit meine ich hier nicht die vielen Visas, Scampis und Antibioticas, von denen man immer wieder hört und liest. Das sind schließlich Fremdwörter, und mit denen tun sich die meisten Deutschen ohnehin schwer. Nein, es gibt auch ein paar deutsche Wörter, bei denen die Mehrzahl gern überdeutlich markiert wird: So trifft man im Deutschen immer wieder auf Kinders (auch: Kinners), Jungens und Männers. Es gibt sogar „Leuts“ — als Mehrzahl von „Leute“, obwohl es von „Leute“ nicht einmal eine Einzahl gibt.
Um noch mal auf die Vögel zurückzukommen: Der Kuckuck, dessen Name auf die gleiche Weise wie der des Uhus entstand (d.h. durch klangliche Nachahmung seines Rufs), wird in der Mehrzahl immer noch „Kuckucke“ gerufen, nicht Kuckucks. Es sei denn, man meint eine Familie gleichen Namens, dann heißt es freilich „die Kuckucks kommen“. Ich kenne etliche Kuckucks, und das sind allesamt ganz fabelhafte Leuts! Auch Sperlings, Spechts und Finks kenne ich ein paar. Nur keine Uhus. Wissen die Kuckucke, warum.
Pluralbildung | Beispiele im Singular | Beispiele im Plural | |
1 | Keine Endung, keine Umlautung
|
der Koffer
der Adler das Fenster das Kaninchen der Wagen |
die Koffer
die Adler die Fenster die Kaninchen die Wagen (süddeutsch auch: die Wägen) |
2 | Keine Endung, mit Umlautung | der Vogel
der Vater die Mutter das Kloster |
die Vögel
die Väter die Mütter die Klöster |
3 | Mit Endung -e, ohne Umlautung | der Hund
der Wal der Kranich |
die Hunde
die Wale die Kraniche |
4 | Mit Endung -e und Umlautung | der Baum
der Kamm der Arzt die Hand die Sau die Wurst |
die Bäume
die Kämme die Ärzte die Hände die Säue die Würste |
5 | Mit Endung -en, ohne Umlautung | die Frau
die Burg die Zahl das Ohr |
die Frauen
die Burgen die Zahlen die Ohren |
6 | Mit Endung -er, ohne Umlautung | das Kind
das Gesicht |
die Kinder
die Gesichter |
7 | Mit Endung -er und Umlautung | der Mann
das Volk das Wort das Haus |
die Männer
die Völker die Wörter die Häuser |
8 | Mit Endung -n | der Bauer
die Mauer die Wolke die Geisel |
die Bauern
die Mauern die Wolken die Geiseln |
9 | Mit Endung -se | das Geheimnis
der Bus |
die Geheimnisse
die Busse |
10 | Mit Endung -nen | die Freundin
die Göttin |
die Freundinnen
die Göttinnen |
11 | Mit Endung -s | der Uhu
die Oma das Büro das Deck |
die Uhus
die Omas die Büros die Decks |
12 | Wortänderung | der Kaufmann
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die Kaufleute
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(c) Bastian Sick 2008
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 4“ erschienen.