Nach Terroranschlägen reagieren Politiker meistens hilflos. Das ist verständlich und keinesfalls verwerflich. Bedenklich ist allerdings, wie sie versuchen, ihre Ohnmacht mit Wörtern zu kaschieren, die bürokratisch, euphemistisch und aufgeblasen klingen.
Bundesinnenminister Schily bewertet die Bombenanschläge in Madrid als eine „neue Qualität des Terrors in Europa“, berichteten die Zeitungen am 15. März, wenige Tage nach den verheerenden Explosionen, bei denen mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen waren. Und nicht nur der Innenminister bediente sich in diesem schaurigen Zusammenhang des Wortes „Qualität“, auch der Bundeskanzler tat es, und mit ihm zahlreiche weitere Vorder-, Zwischen- und Hinterbänkler der deutschen Politik.
Tatsache ist, dass es einen derart blutigen Anschlag in Europa bislang noch nicht gegeben hat. Tatsache ist auch, dass der Begriff „Qualität“ in seiner Grundbedeutung für „Beschaffenheit“ steht. In seiner bekannteren zweiten Bedeutung aber steht er für „Wert“, „Güte“, was im Zusammenhang mit brutalen Taten mindestens unpassend erscheint.
Unverfänglicher wäre es, von einer „neuen Stufe“ zu sprechen, die der Terror in Europa erreicht hat. Auch die Wörter Stadium oder Dimension haben nicht den Makel der Güte.
Um deutlich zu machen, wie sehr sie die Anschläge verurteilen und die Täter verabscheuen, lassen Politiker in der Regel mehrfach das Wort „feige“ erklingen. „Es ist feiger, feigester Mord und muss auf eine harte Antwort der internationalen Gemeinschaft treffen“, spricht Bundeskanzler Schröder kurz vor einer Sitzung des Sicherheitskabinetts in die Mikrofone. Man beachte die Steigerung. Herkömmliche Morde sind feige, dieser Mord hingegen war feigest. Das also meinte der Kanzler mit der „neuen Qualität“.
Wer ein wenig über die Bedeutung des Wortes „feige“ nachdenkt, wird feststellen, dass es eigentlich völlig unpassend ist, um eine derartige Tat zu „qualifizieren“. Feige bedeutet nach unserem gegenwärtigen Verständnis „ängstlich“, „vor dem Tod, vor der Gefahr zurückschreckend“. Nach bisherigen Erkenntnissen zeichnen sich die Mitglieder der Terrorgruppe al-Qaida aber nicht gerade durch Ängstlichkeit aus. Gemeint ist eher „hinterhältig“, „abstoßend“, „niederträchtig“, „schändlich“. Trotzdem ist das Wort „Mord“ fast immer an das Attribut „feige“ gekoppelt.
Nachdem die Bevölkerung nun also erfahren hat, dass ein an Feigheit gesteigertes Verbrechen stattgefunden hat, gilt es im nächsten Atemzug, das Ganze zu relativieren und die Bevölkerung wieder zu beruhigen. Man will ja keine Panik aufkommen lassen. Es gebe „keine neue Gefährdungslage“ für Deutschland, sagt der Kanzler. Ein seltsamer, sehr bürokratisch anmutender Begriff. Nein, kein Begriff, sondern eher eine „Begrifflichkeit“. Ein „Begriff“ wäre in diesem Zusammenhang das Wort „Gefahr“, aber das vermeidet der Kanzler; das könnte zu Verunsicherung führen, und verunsichert ist die Bevölkerung auch ohne Terror schon genug. Irgendwann hat der Kanzler mal gelernt: Je mehr Silben er an seine Wörter hängt, desto einlullender und narkotisierender wird seine Rede. „Gefährdungslage“ klingt doch nur noch halb so bedrohlich wie „Gefahr“. So, als hätte man bereits alles im Griff. „Gefährdungsraum“ geht auch noch, oder „Gefahrenraum“, aber das bloße Wort „Gefahr“, weiß Schröder, ist ein Tabu und bleibt der „Bild“-Zeitung vorbehalten.
Dann kommt wieder Schily und spricht von „weichen Zielen“. Damit weist er sich als Experten aus, denn dieser Ausdruck gehört zum militärischen Fachjargon. Weiche Ziele sind im engeren Sinne Menschen, im weiteren Sinne alle Orte, an denen viele Menschen anzutreffen sind: Massentransportmittel, Diskotheken, Einkaufszentren, Bahnhöfe.
Schily muss zwar einräumen, dass diese „weichen Ziele“ nicht permanent beschützt werden können, aber ist es nicht allein schon beruhigend, dass er sich im Fachjargon so gut auskennt? „Gefährdungslage weicher Ziele“ klingt derart abstrakt, dass man geneigt ist zu glauben, es gehe um ein Problem auf einem anderen Planeten, aber nicht um eine Gefahr, die jeden einzelnen von uns betrifft. Zumindest in Berlin seien alle „Sicherheitsvorkehrungen auf sehr hohem Niveau“, beteuert eine Sprecherin des Berliner Innensenators.
Alles halb so schlimm, denkt der Leser also am Ende, der Terrorist als solcher ist feige, und seiner „neuen Qualität“ setzen wir unser „hohes Niveau“ entgegen, dann wird schon nichts passieren. Gut, denken die in Berlin, dann können wir ja zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen. Schily dreht sich zu seinen Mitarbeitern um und fragt: „Wer von euch weichen Zielen ist so feige und holt mir mal ’nen Kaffee aus dem Gefährdungsraum?“
(c) Bastian Sick 2004