Sonntag, 27. Oktober 2024

Für oder gegen Husten?


Eine Leserin aus Duisburg wollte von mir wissen, ob es richtig sei zu sagen, Hustensaft sei ein Saft für den Husten und Schmerztabletten seien Tabletten für den Schmerz. Denn genau genommen sollen diese Mittel den Husten und den Schmerz ja bekämpfen, daher müsse es doch richtig heißen: Saft gegen Husten und Tabletten gegen Schmerzen. Ein Nasenspray sei zwar eindeutig ein Spray für die Nase, doch ein Erkältungsbad sei ein Bad gegen die Erkältung.

Das ist richtig, dachte ich. Wenn man allerdings zu lange in der Wanne bleibt, bis das Wasser kalt ist, und sich anschließend nicht vernünftig abtrocknet, kann das Bad auch einer Erkältung Vorschub leisten, dann war’s nicht gegen die Erkältung, sondern zugunsten derselben. Ist alles schon vorgekommen.

Nun aber mal Schmerz beiseite. Eines gilt es zu bedenken: Sprache besteht nicht nur aus dem, was gesagt oder geschrieben wird, sondern auch aus dem, was mehr oder weniger bewusst weggelassen wird.

Ein Rheuma-Medikament soll Rheuma natürlich lindern und wäre daher in erster Linie ein „Medikament gegen Rheuma“. Es ist aber nicht falsch, von einem „Medikament für Rheuma“ zu sprechen, wenn man dies als eine Verkürzung versteht. Vollständig könnte es nämlich als ein „Medikament für die Behandlung von Rheuma“ gedacht sein. Dass wir Phrasen verkürzen und Satzteile weglassen, die man als „mitgedacht“ voraussetzen kann, ist ein natürlicher Vorgang und findet ständig und überall statt.

„Für die Kinder gibt es Wurst, und reichlich Limo für den Durst“, reimte jemand in einer Einladung zu einem Grillfest. Auch hier könnte man am „für“ Anstoß nehmen und sagen, dass der Durst doch gelöscht werden soll, die Limo also gegen den Durst ausgeschenkt werde. Dasselbe gilt für den Hunger: So mancher Snack, der uns angeboten wird, ist angeblich „für den Hunger zwischendurch“.

Wir sind es nun einmal gewohnt, zur Präposition „für“ zu greifen, sowie es darum geht, den Nutzen einer Sache zu erklären: Beten für den Frieden, Hilfe für die Bedürftigen, Brot für die Welt. Da ist es fast ein Automatismus, wenn man seinem Kind eine Stulle „für den Hunger“ schmiert, obwohl er doch bekämpft werden soll. Auch wenn der Verzehr der Stulle gegen den Hunger gerichtet ist, so sind das Schmieren der Stulle, das Einwickeln in Butterbrotpapier und auch das Auspacken zugewandte, nicht abgewandte Handlungen, und bei der Zugewandtheit fällt uns nun mal als Erstes für ein.

Die Präposition „gegen“ wird sehr viel seltener benutzt, sowohl im Gesprochenen als auch im Geschriebenen. Nicht nur, weil sie eine Silbe länger ist, sondern hauptsächlich aus Gewohnheit. Wir sind es eher gewohnt, für etwas zu arbeiten, uns für etwas anzustrengen und etwas für jemanden zu tun als gegen etwas zu arbeiten, uns gegen etwas anzustrengen und etwas gegen jemanden zu tun.

Wenn die Mutter beim Überreichen der Stulle sagt „Hier, das ist für dich, für den Schulweg oder für die Pause“, dann hat sie schon dreimal auf „für“ geschaltet, weil sie ihrem Kind eben sehr zugewandt ist. Wenn sie nun noch ein „für den Hunger“ nachlegt, bleibt sie im gleichen Sprachmuster. Das „für“ hätte dann sogar etwas Melodisches. Ein Umschalten in die Gegenrichtung würde zwar der Logik genüge tun, den schönen Gleichklang aber stören.

Zwischen „für“ und „gegen“ muss gar nicht immer ein Gegensatz bestehen. Schon die alten Griechen wussten, dass man etwas gleichzeitig „für“ und „gegen“ jemanden einsetzen kann – zum Beispiel ein hölzernes Pferd als Geschenk für die Trojaner, um sie damit zu vernichten. Das Geschenk der Griechen wurde als Danaergeschenk zum geflügelten Wort.

Moderne Danaergeschenke sind zum Beispiel Ameisenpulver und Mückenspray: Es sind Gaben für die Ameisen und für die Mücken (auch wenn ihnen diese Gaben nicht bekommen) – und wirken gegen ihre Verbreitung.

Darum sind auch Alarmanlagen für Einbrecher gedacht und Mäusefallen für Mäuse. Und da auch die Hustenerreger mittels der Gabe von Saft in die Falle tappen sollen, ist das „für“ beim „Saft für den Husten“ nicht nur als Verkürzung, sondern auch als Danaergeschenk für die Bazillen zu verstehen.

Um sich nicht ständig zwischen „für“ und „gegen“ (früher auch noch häufiger: „wider“) entscheiden zu müssen, hat unsere Sprache einen äußerst raffinierten Trick entwickelt, der sie gegenüber allen anderen Sprache auszeichnet: die Möglichkeit der Zusammensetzung. Die Frage, ob man in der Apotheke nach einem Saft für oder gegen den Husten fragen soll, stellt sich nicht, wenn man einfach einen „Hustensaft“ verlangt.

Manchmal kommt man mit der Frage „für“ oder „gegen“ auch nicht weiter. Haarshampoo ist für das Haar und Schuppenshampoo gegen Schuppen, aber wofür oder wogegen ist Avocadoshampoo? Wenn Sie diese Frage beantworten können, dann wissen Sie auch, woraus Hustenbonbons gemacht sind.


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5 Kommentare

  1. Sprachkassandra

    Komposita können eine vertrackte Sache sein. Als Kind hörte ich einmal bei einem Fernsehkrimi, die Mordwaffe sei ein Papiermesser gewesen. Ich war perplex, denn spontan hatte ich bei diesem mir unbekannten Begriff ein Messer aus Papier vor Augen, fragte mich: Wie kann man damit jemanden ermorden? Des Rätsels Lösung: Es war ein Brieföffner. Ein Messer also, das in die Kategorie „für …“ fällt und nicht durch den vorderen Bestandteil in seinem Material definiert wird wie z. B. „Bronzemesser“

    Auf der abgebildeten Packung sehen wir „Husten Mischung“. Ist das ein Fall von Deppen Leer Zeichen? Oder von Lay Out Leer Zeichen wegen der zweizeiligen Schreibung? Was ist eine Hustenmischung eigentlich? Ironisch dechiffriert eine Mischung, die einen Husten hervorruft, oder ein Produkt, dessen Verwendung einen gemischten Husten zum Ergebnis hat, z. B. eine Mischung aus Asthma, Keuchhusten und Raucherhusten. Zielgruppe: alle, die einer unangenehmen Situation durch ein Kranksein entgehen wollen.

    • das Wort Karg

      Herrlich, wie Sie, Herr Sick und andere Kommentatoren sich hier über die vielfältigen Möglichkeiten der Sprache und der darinliegenden Leerräume auslassen, doch (ich mache das jetzt auch mal aus ein ander ge schrie ben) ein Titel Bild sagt mal wieder mehr als tausend Worte: Die abgebildete Packung enthält ganz unzweideutig (Sie hatten es *doch richtig* erfasst, genau wie mit dem Papiermesser! ), offen sichtlich und hoch konzentriert „eine Mischung aus Asthma, Keuchhusten und Raucherhusten.“ Das Produkt ist wahrlich wider- und weiß der Himmel nicht fürlich…

  2. Michael Thiergart

    Danke FÜR diesen FÜRnehmen, fast schon verFÜRerischen Artikel. Ich habe nur GEGEN eine Kleinigkeit etwas einzuwenden: Die Möglichkeit, Wörter zusammenzusetzen, zeichnet das Deutsche nun doch nicht GEGENüber -allen- anderen Sprachen aus. Unter den germanischen Sprachen hält sich ja lediglich das Englische mit dem Zusammensetzen zurück. Ungarn und Finnen sind ebenfalls große Zusammensetzer: Ei talvikunnossapitoa! „Keine Winterinordnunghaltung“ als Warnung vor ungeräumten finnischen Wegen. Ein gutes Pferd nennt ein Lakhota, wenn er seine alte Sprache noch kann, šungwašte, Gutpferd. Die Grönländer übertreiben es gar. Angeblich funktionieren grönländische Textverarbeitungen nur mit Bildschirmen ab 5 Metern Breite.

  3. Ist es nicht grundsätzlich müßig, die deutsche Sprache unentwegt nach Logikgesichtspunkten abzuklopfen? Olivenöl ist aus Oliven, bei Babyöl weiß ich es nicht so genau, könnte aber mal in meinem Drogeriemarkt nachfragen. Und von diesen Uneinheitlichkeiten wimmelt es doch im Deutschen ohne Ende, da bin ich schon sehr erstaunt, dass sich immer wieder bei so vielen Zeitgenossen dieser Besserwisserehrgeiz meldet und um Klarstellung nachgefragt wird, wo Klarstellung schlichtweg nicht funktioniert. Mir gefallen diese Unregelmäßigkeiten, denn Pferdmist und Kühedung gibt es eben nicht, aber Pferdemist und Kuhdung. Weil es sich so schön geschmeidig sprechen lässt. Zungenentspannung vor Regulierungswahn, eigentlich herrlich undeutsch unsere deutsche Sprache 😉

  4. Ich merke beim Lesen dieser sehr unterhaltsam-klärenden Kolumne allerdings, daß ich in all den genannten Zweifelsfällen aber tatsächlich „gegen“ sage bzw. sagen würde, wo auch „gegen“ gemeint ist, und in den Fällen nicht „für“… So würde ich z.B. niemals sagen „Alarmanlage für Einbrecher“. Denn DAS würde ja bedeuten, daß es eine Anlage im Sinne von Einbrechern wäre und nicht im Sinne von Einbruchsopfern.
    Für und gegen ist eben ein probates Mittel der Differenzierung, warum nutzt man es nicht auch so in der Umschreibung? Beispiel:
    Hustensaft ist ein Saft gegen Husten und Augentropfen sind Tropfen für die Augen.
    Eine Gelenkmanschette ist eine Manschette für das Gelenk und gegen Überlastung.
    Und eine Alarmanlage am Haus ist eine Anlage für den Hausbesitzer und gegen Einbrecher.
    => Ein Hoch auf die Differenzierungsmöglichkeit in der (deutschen) Sprache! 🙂

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