Sonntag, 20. Oktober 2024

Das kuriose Arsenal des Krieges

Womit, glauben Sie, sind die Waffendepots der Terror-Organisationen gefüllt? Mit Propellergeschossen und Kanonenwatte! US-Soldaten laufen derweil mit Colts und tragbaren Radios durch die Wüste. Das geht nicht mit rechten Dingen zu? Stimmt: Durch Übersetzungsfehler verkommt moderne Waffentechnik gelegentlich zum Scherzartikel.

Oft war in der letzten Zeit von manipulierten Geheimdienstinformationen die Rede, aus denen sich die US-Regierung eine Rechtfertigung für ihren Krieg gegen Saddam Hussein zusammengebogen haben soll. Die amerikanische Öffentlichkeit fühlte sich getäuscht und desinformiert. Darüber können wir eigentlich nur milde lächeln. Denn Verwirrung der Öffentlichkeit durch abenteuerliche Informationen gehört im deutschsprachigen Raum zum täglichen Geschäft.

Im Mai gewährte eine Agenturmeldung Einblick in den bedauerlich rückständigen Fuhrpark der irakischen Armee. Da war von großen Summen Bargeldes die Rede, die mit Hilfe von „Traktoren“ aus der irakischen Nationalbank abtransportiert wurden. Man sah es buchstäblich vor sich: Wie Saddams Getreue Säcke voller Geld auf einen Anhänger werfen und mit mörderischen 25 Kilometern in der Stunde Richtung Grenze davonpröttern. Eine Recherche ergab dann allerdings, dass es sich in Wahrheit um „tractor trailers“ handelte, also Sattelzüge, die nicht ganz fachgerecht ins Deutsche übersetzt worden waren.

Im August erschien ein Artikel, der den Alltag der Alliierten im Irak beschrieb. In einer Aufzählung der vielen Gefahren, die im Hinterhalt lauern, hieß es: „Propellerbetriebene Granaten werden auf Konvois abgeschossen.“ Das klingt etwas rätselhaft. Was hat man sich unter einer „propellerbetriebenen Granate“ vorzustellen? Eine fliegende Bombe, die sich knatternd durch die Luft schraubt? Kein Wunder, dass die Iraker gegen die Amerikaner keine Chance hatten, wenn sie derart anachronistische Geschosse verwenden. Das Ganze klingt eher nach einem „Yps“-Gimmick als nach einem gefährlichen Projektil. So als würde sich Reinhard Haas, einst Beschaffer der legendären Plastikdreingaben, jetzt als Waffenlieferant im Orient betätigen. Es wäre immerhin nicht das erste Mal, dass Deutschland bedenkliche Produkte in den Irak exportiert. Oder hat womöglich nur jemand den Begriff „Rocket Propelled Grenade“, kurz RPG, falsch übersetzt? Dann hätten wir es nämlich mit einer Panzerfaust zu tun, und schon sähe die Sache anders aus.

Die viel beschworene technische Überlegenheit der Amerikaner will allerdings auch nicht so recht einleuchten, wenn man lesen muss, dass die Soldaten über „tragbare Radios“ miteinander in Verbindung stehen. Diese Radios hätten auf dem Weg von Kuweit quer durch die Wüste den Dienst versagt, da sich die Batterien auf Grund der Hitze zu schnell erschöpften. Wieso gibt man den Soldaten auch tragbare Radios mit, wundert sich der Leser. Mit herkömmlichen Autoradios wäre das nicht passiert. Erst später dämmert ihm, dass da im Originaltext wohl „mobile radios“ gestanden hatte und jemand nicht darauf gekommen war, dies mit „Funkgeräten“ zu übersetzen.

Auch die gern zitierten „smoking guns“ sind nur unzureichend mit „rauchenden Colts“ wiedergegeben; das englische „gun“ bedeutet nämlich sehr viel mehr als nur Pistole oder Gewehr, es heißt genauso Kanone, Geschütz. In Anlehnung an die Western-Serie mit dem deutschen Titel „Rauchende Colts“ lassen deutschsprachige Medien die US-Amerikaner auch heute noch mit Revolvern herumballern; das Mündungsfeuer der modernen Artillerie wird zur Wildwest-Schießerei verniedlicht. Ganz abgesehen davon, dass der Ausdruck „smoking gun“ im Englischen als Metapher für einen „unumstößlichen Beweis“ verwendet wird.

Dernier cri im Terrorgeschäft: Kanonenwatte

Anfang Oktober gab die Nachrichtenagentur dpa dann eine Meldung heraus, in der von „Kanonenwatte“ die Rede war. Das Terrornetz al-Qaida arbeite an der Herstellung von Sprengsätzen auf Zellulose-Basis, hieß es da. Die Sprengsätze sollten mit einer Substanz namens Nitrozellulose hergestellt werden, die sehr leicht entflammbar sei und in geschlossenen Behältern eine explosive Wirkung habe. Diese Substanz werde auch „Kanonenwatte“ genannt. Donnerwetter! Es dauerte nicht lange, da erhob sich ein Proteststurm von chemiekundigen Lesern, die darüber aufklärten, dass die angebliche „Kanonenwatte“ auf Deutsch „Schießbaumwolle“ genannt werde. Ein Blick ins Lexikon verschaffte Klarheit: „Schießbaumwolle“, auch „Schießwolle“ oder Nitrozellulose genannt, ist ein altbekanntes chemisches Gemisch aus Salpetersäure und Baumwolle. Also nichts mit Kanonen und Watte. Da wurde der englische Ausdruck „gun cotton“ zu flauschig übersetzt. Schießbaumwolle wäre die korrekte deutsche Entsprechung gewesen.

Traktoren, Propellergeschosse und Kanonenwatte – man kann nur hoffen, dass die Regierenden in Berlin ihre Entscheidungen über Kriegs- und Friedenseinsätze nicht auf Grundlage von übersetzten Agenturmeldungen fällen. Sollten Sie sich mit dem Gedanken tragen, demnächst in eine Krisenregion zu reisen, dann rüsten Sie sich gut! Nehmen Sie ein Englisch-Wörterbuch mit!

(c) Bastian Sick 2003


 

Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.

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