Sonntag, 20. Oktober 2024

That’s shocking!

Wenn die Queen erschüttert ist, ist sie dann schockiert oder geschockt? Wird bei Abstimmungen noch votiert oder nur noch gevotet? Darf man einen Menschen noch kontaktieren, oder sollte man ihn lieber kontakten? Unsere Sprache wird kürzer, schneller, englischer.

Philipp arbeitet in der Redaktion einer Lokalzeitung. Seit Jahren versucht er, Henry und mich zu Abonnenten zu machen, aber zum Glück ist uns bislang noch immer irgendeine Ausrede eingefallen, um diesem Unheil zu entgehen. Die Zeitung zählt nämlich nicht gerade zu den führenden intellektuellen Organen dieser Republik. Trotzdem bewundere ich Philipps Enthusiasmus. Bei jedem Treffen bringt er wieder ein paar Ausgaben mit, in denen angeblich „total relevante“ Sachen stehen, die wir unbedingt lesen müssen.

„Hier, das wird dich interessieren: ein Kommentar unseres Chefredakteurs zur Rechtschreibreform!“ Ich bedanke mich überschwänglich. Der hat mir gerade noch in meiner Sammlung gefehlt. „Steht auf Seite drei. Die wichtigsten Passagen sind gelb gemarkt“, sagt Philipp. „Gemarkt?“, frage ich erstaunt, „meinst du nicht eher markiert?“ Philipp zuckt mit den Schultern: „Von mir aus auch markiert. Gibt es da einen Unterschied?“ – „Nun ja, der Unterschied besteht zum Beispiel darin, dass das Wort ,markiert‘ existiert, während es ,gemarkt‘ nicht gibt“, sage ich, „jedenfalls nicht als Partizip. Es gibt ein altes deutsches Hauptwort Gemarkt, welches Grenze, Gebiet bedeutet. Aber das wird heute nicht mehr verwendet.“ – „Also ist die Stelle wieder freigeworden. Dann kann man gemarkt doch jetzt für etwas anderes verwenden“, entgegnet Philipp. „Selbstverständlich“, sage ich, „die Frage ist nur, ob wir es wirklich benötigen, wenn es doch schon ,markiert‘ gibt.“

Im Deutschen enden zahlreiche Verben auf „-ieren“. Sie sind größtenteils lateinischen oder französischen Ursprungs. Das Wort „mokieren“ zum Beispiel kommt vom Französischen „moquer“ und hat nichts mit dem deutschen „mucken“ zu tun. Sich über jemanden mokieren (nicht: muckieren) heißt: sich über jemanden lustig machen. Die französische Endung „er“ (gesprochen wie ein langes e) wurde bei der Übernahme ins Deutsche zu „ieren“. In jüngerer Zeit wurde diese Endung bei manchen Wörtern abgeschliffen. Das ist vermutlich ein natürlicher Vorgang in der Umgangssprache, der sich mittlerweile auch in der Schriftsprache niederschlägt. Meistens geschieht dies unter dem Einfluss des Englischen, das für seine Knappheit berühmt ist.

Das in der Schweiz und in Österreich noch sehr geläufige Wort „kampieren“ wird in Deutschland fast nur noch im militärischen Sinne gebraucht. Wenn Truppen irgendwo ihr Lager aufschlagen, dann kampieren sie. Doch wenn Familie Laumann ihr Zelt einpackt, dann fährt sie zum Campen, dann wird auf gut Deutsch gecampt und nicht kampiert. In der Schweiz kennt man übrigens auch noch die entzückenden Verben „parkieren“ für „parken“ und „grillieren“ für „grillen“. In Philipps Zeitung findet man das Wort „grillen“ gelegentlich auch in der übertragenen Bedeutung „streng verhören“, so wie man es aus amerikanischen Nachrichten kennt: „JBK grillt Hoyzer“, lautete die Überschrift zu einem Bericht, in dem beschrieben wurde, wie Johannes B. Kerner den in einen Wettskandal verwickelten Fußballschiedsrichter Robert Hoyzer in die Mangel nahm. Bedauerlicherweise gibt es von Philipps Zeitung keine Ausgabe für die Schweiz. Ich hätte gern gewusst, ob die Überschrift für die Schweizer Leser in „JBK grilliert Hoyzer“ geändert worden wäre.

Oft besteht zwischen der längeren Form auf „ieren“ und der kürzen Form auf „en“ ein Bedeutungsunterschied. Fixieren zum Beispiel ist etwas anderes als fixen. Und firmieren ist etwas anderes als firmen. Auch zwischen flankieren und flanken besteht ein Bedeutungsunterschied. Aber bis heute habe ich noch nicht begriffen, worin der Unterschied zwischen „schockieren“ und „schocken“ liegen soll. Philipp behauptet steif und fest, „geschockt“ sei etwas anderes als „schockiert“. „Die Queen war geschockt“ höre sich für ihn „irgendwie dramatischer“ an als „schockiert“. Möglicherweise hört sich „schockiert“ für Philipp etwas altmodisch an, aber umso besser passt es dann zur Queen. „Geschockt“ ist auf jeden Fall umgangssprachlich, und wenn es in der Zeitung auftaucht, sind viele Leser schockiert. Früher sagte man übrigens mal „Das schockt total“. Das bedeutete ungefähr so viel wie das heutige „voll krass“.

Während des Dreißigjährigen Krieges, als viele deutsche Städte unter heftigem Artilleriebeschuss standen, wurde das Wort „bombardieren“ eingeführt, das man sich von den Franzosen (bombarder) abgeguckt hatte, die es wiederum von den Italienern übernommen hatten.
Mit dem Sieg der Briten und Amerikaner im Zweiten Weltkrieg wurde auch das englische „to bomb“ bei uns bekannt, zunächst in Zusammensetzungen wie „zerbombt“ und „ausgebombt“. Das Werfen von Bomben wurde weiterhin „bombardieren“ genannt. Erst in den letzten Jahren schreiben immer mehr Menschen Sätze wie „Bush bombt“, „Die USA bomben wieder“ und „Stoppt das Bomben!“. Es scheint, als wolle man das Verb „bombardieren“ mit aller Macht aus unserem Wortschatz bomben.
„Die USA bombardieren Bagdad“ höre sich für ihn zu sehr nach Wochenschau an, meint Philipp. Er findet „Bush bombt Bagdad platt“ zeitgemäßer. Philipp ist in zeitgemäße Vokabeln vernarrt, vor allem, wenn sie englisch klingen. Mögen Kulturkritiker für besseres Deutsch votieren, Philipp votet für Denglisch. Und während mein Rechner unerwünschte Werbung noch blockiert, wird sie von Philipps Computer längst geblockt.

„Wenn es dich interessiert, kann ich ja dafür sorgen, dass mein Chefredakteur dich mal kontaktet“, sagt Philipp. „Ich ziehe es offen gestanden vor, kontaktiert zu werden“, erwidere ich höflich, „aber an Gesprächen über die reformte Rechtschreibung bin ich ohnehin nicht sonderlich interestet.“ Philipp blickt mich verständnislos an. Henry klopft ihm auf die Schulter: „Nimm’s ihm nicht übel, unser Freund ist momentan etwas stressiert.“ Dann schaut er auf die Uhr und ruft: „So, Jungs, lange genug quatschiert, höchste Zeit, nach Hause zu marschen!“

(c) Bastian Sick 2006


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 3“ erschienen.

Lesen Sie auch:

Das Wunder des Genderns

Kein sprachliches Thema hat die Gemüter in den letzten Jahren so sehr bewegt und erhitzt …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert