Sonntag, 20. Oktober 2024

ICH HERZ LA

ICH HERZ LA

Einige technische Neuerungen machen uns das Leben leichter. Andere bringen uns auf die Palme. So wie Pop-up-Werbungen, herrische Sprachbefehle der Navi-Tante und ungefragt eingeblendete Übersetzungen in Spielfilmen. Erst recht, wenn sie falsch sind.

Da hat man sich nun monatelang eingeredet, dass wir die schlimmste Wirtschaftskrise seit 40 Jahren durchleiden, dann kommt das Weihnachtsgeschäft und macht die ganze schöne Depression zunichte. Bei Saturn und Media Markt jedenfalls standen die Menschen Schlange, als gäbe es keine finanziellen Sorgen und kein Morgen. Stapelweise trugen sie DVDs zur Kasse: Kinderfilme, romantische Komödien, Hollywood-Blockbuster, Horrorstreifen, Comedy-Programme und ganze Serienstaffeln. Ich gebe zu, dass auch ich die eine oder andere DVD verschenkt habe, und ich habe auch DVDs geschenkt bekommen (teilweise die gleichen, die ich selbst verschenkt habe), und ich habe mich darüber gefreut; denn was gibt es in der Zeit zwischen Weihnachten und Silvester Schöneres, als sich nach einem Schneespaziergang gemütlich aufs Sofa zu fläzen und DVDs zu gucken?

So eine DVD ist ja auch ein tolles Produkt. Im Vergleich zur Videokassette ist sie ein enormer technischer Fortschritt. Wenn man den spannenden Aufklärungsfilm zum Thema „Kopieren ist Diebstahl“ sowie die diversen Vorschauen auf Filme, die man entweder nicht sehen will oder schon gesehen hat, überstanden (oder erfolgreich übersprungen) hat und die markerschütternde Dolby-Surround-Warnung sowie die mindestens zweimal erklingende Fanfare der 20th-Century-Fox über sich hat ergehen lassen, wenn also nach ca. 10 bis 15 Minuten der Film tatsächlich losgeht, dann kann man sich wunderbar entspannen und viel Vergnügen an so einer DVD haben.

Vorausgesetzt, man hat von Anfang an die richtige Sprache ausgewählt. Sonst muss man den Film unterbrechen, zurück ins Menü schalten, neue Sprache wählen, wieder ins Hauptmenü, Film erneut starten – und wenn man Pech hat, beginnen dann die Vorschauen und die Dolby-Surround-Bedrohung und die Studio-Fanfaren und all das Gedöns noch mal von vorne.

Ich sehe Filme grundsätzlich lieber in Deutsch als in der Originalsprache, denn ich will schließlich verstehen, worum es geht. Meistens klingen die deutschen Stimmen auch schöner als die quiekenden oder nuschelnden amerikanischen Originale. Aber das ist Geschmackssache. Wenn es allerdings eines gibt, was mich fassungslos macht, dann sind es die unaufgefordert eingeblendeten deutschen Übersetzungen von englischen Wörtern, die irgendwo im Hintergrund zu lesen sind.

Da schwenkt die Kamera in einem Western über einen Steckbrief, auf dem das Wort „WANTED“ steht, und wie aus dem Nichts erscheint auf meinem Bildschirm plötzlich der Schriftzug „GESUCHT“. Dabei habe ich vor dem Filmstart extra noch „deutsche Untertitel: AUS“ gewählt. Aber diese Dienstleistung lässt sich offenbar nicht abwählen. Die Übersetzung von im Bild gezeigten Wörtern aus einer anderen Sprache wird bei jeder DVD mitgeliefert, ob man sie nun will oder nicht. Dabei ist sie in den meisten Fällen so überflüssig wie ein Kropf. Außerdem stellt sie eine Beeinträchtigung des Filmgenusses dar, denn die Schrifteinblendung ist alles andere als dezent, sie ist irritierend und hässlich.

Es braucht nur ein Fahrzeug mit der Aufschrift „Police“ ins Bild zu kommen, schon wird in gleißend weißen Großbuchstaben das deutsche Wort POLIZEI eingeblendet. Für wie beschränkt halten die DVD-Produzenten ihre deutschen Kunden eigentlich? Gelten wir in Hinblick auf Fremdsprachen als derart untalentiert und eindimensional, dass man uns nicht zutraut, von selbst darauf zu kommen, was das Wort „Police“ wohl bedeuten könnte? Zumal uns der Regisseur in der Regel doch durch flackerndes Blaulicht, Sirenengeheul und uniformierte Schauspieler noch den einen oder anderen nützlichen Hinweis gibt.

Am Neujahrstag sah ich mir auf dem heimischen Sofa die Teenager-Komödie „Wild Child“ an. In einer Szene taucht ein Feuerzeug mit dem Aufdruck „I ♥ LA“ auf. Zwar wird niemand mit dem Wissen geboren, dass die Buchstaben LA für die Stadt Los Angeles stehen. Aber man kann darauf kommen, zumal viele Menschen statt Los Angeles „El Eh“ sagen. Die Übersetzung des Symbols in Herzform scheint hingegen größere Schwierigkeiten zu bereiten. Ich war bislang davon ausgegangen, die Verbreitung infantiler „I ♥ NY“-Aufkleber sei groß genug, um bei der überwältigenden Mehrheit der Deutschen das Wissen um die Bedeutung „I love New York“ (inklusive der deutschen Übersetzung „Ich liebe New York“) voraussetzen zu können.

Dem Hersteller der „Wild Child“-DVD schien dies offenbar weniger selbstverständlich. Er lieferte dem deutschen Zuschauer zur Sicherheit auch in diesem Falle eine Übersetzung mit. Ungefragt – und unqualifiziert. So erschien zu meinem grenzenlosen Erstaunen am unteren Bildrand gleich einem biblischen Menetekel der deutsche Schriftzug „ICH HERZ LA“. „Wie herzig!“, dachte ich da und wollte spontan zurücktexten: „DU HIRN NO!“

Ein paar Tage später sah ich Alfred Hitchcocks „Über den Dächern von Nizza“ auf DVD. Eine Szene spielt auf dem Polizeikommissariat. Hinter einer Tür mit der Aufschrift „Commissaire de Police“ sitzt ein Mann, den der Zuschauer auch ohne Französischkenntnisse als Kommissar identifizieren kann. Trotzdem wird in grellen Buchstaben das Wort „Polizeikommissar“ eingeblendet. Dafür bleiben ganze Passagen, in denen Französisch gesprochen wird, unübersetzt. Da ich Französisch spreche, macht mir das nichts aus, aber ich frage mich: Warum glaubt man, den Zuschauern bei Wörtern, deren Bedeutung sich aus dem Zusammenhang erschließt, eine Übersetzung vorsetzen zu müssen, und überlässt sie dafür in den auf Französisch geführten Dialogen ihrer Intuition? (Übrigens haben die deutschen Synchronsprecher in diesem Film auch die französischen Sätze gesprochen, und zwar sehr flüssig. Ob heutige Synchronsprecher so etwas wohl noch könnten?)

Die eingeblendeten Untertitel gehören leider zum Standard bei fast allen Kauf-DVDs. Selten sind sie wirklich hilfreich. Meistnes sind sie lästig. Und manchmal sogar irreführend. In einer Folge der „Simpsons“ explodiert ein Gebäude, auf dessen Eingangstor „House of Usher“ steht. Prompt erscheint im Bild die Übersetzung: „Haus der Diener“. In Wahrheit handelt es sich um eine Anspielung auf Edgar Allen Poes Geschichte „Der Untergang des Hauses Usher“, und „Usher“ ist dabei ein Familienname, der keiner Übersetzung bedarf. Dieser Fehler entwertet die gesamte DVD – wie ein hässlicher Kratzer oder ein Schmierfleck.

Auch die sechste Staffel der beliebten Serie „Desperate Housewives“ ist mit deutschen Zwangseinblendungen verunstaltet worden. Wenn auf einem Transparent „Happy Birthday“ steht, braucht niemand in Deutschland ein dazu eingeblendetes „Alles Gute zum Geburtstag“! Zumal für diese Serie ohnehin eine Altersbeschränkung bis 12 Jahre gilt. Wer mit 12 noch nicht weiß, was „Happy Birthday“ bedeutet, der wird auch mit „Desperate Housewives“ nichts anfangen können.

Liebe DVD-Hersteller: Erspart uns diese unerbetenen Einblendungen! Wir brauchen angesichts einer öffentlichen amerikanischen Toilette keine deutschen „HERREN“-und-„DAMEN“-Brandzeichen im Bild. Wenn sich ein Laden als „Bakery & Cafe“ ausweist, kommen wir auch ohne die Einblendung „Bäckerei & Café“ zurecht. Verkauft eure Kunden nicht für dumm. Für wie beschränkt haltet ihr uns? Richtet eure Energie lieber auf andere Dinge, wie zum Beispiel das Korrekturlesen der Inhaltsbeschreibung auf der Rückseite der DVD-Hülle. Die kann ein bisschen Fürsorge oft besser gebrauchen.

The End (ENDE)

(c) Bastian Sick 2010

Zur Fotostrecke: Ungebetene Untertitel – hässlich, lästig, falsch

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Ein Kommentar

  1. Natalie Birdwell

    Natürlich heißt „I <3 LA" ausgeschrieben eigentlich "I love LA". Allerdings – so hat mir ein usamerikanischer Cousin bereits Mitte der 80er Jahre erklärt – war es zumindest damals wohl Mode, den Satz "I heart LA" zu lesen.

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