Donnerrrwetterrr! Die Augsburger Puppenkiste wird 60! Bastian hat das Maunzerle, Ping Pinguin und die Opodeldoks besucht, um ganz herzlich zu gratulieren. Und er hat sich ein paar Gedanken über die Sprache der berühmten Marionetten gemacht.
In meiner Kindheit war ich ein Wurm, wie er im Buche steht. Will sagen, ein Wurm, der auf Bücher steht. Ein Bücherwurm, eine waschechte Leseratte. Ich habe alles verschlungen, was unsere kleine Stadtbücherei an Märchen und Abenteuergeschichten hergab. Die Werke von Autoren wie Otfried Preußler, Ellis Kaut, Michael Ende und Max Kruse haben mich gefesselt und inspiriert, sie haben in mir die Leidenschaft für das Lesen und Geschichtenerzählen entfacht. An ihrer schier unerschöpflichen Fantasie habe ich mich als junger Bub berauscht, wie ich mich heute nur noch an einem guten Rotwein berauschen kann.
Dank der Bücher dieser Autoren war meine Kindheit eine Zeit voller Magie. Doch die allermagischsten Momente, die habe ich vor dem Fernseher erlebt, am Sonntagnachmittag im Advent, wenn ich wie gebannt vor dem Apparat hockte und es kaum erwarten konnte, dass der Deckel der Puppenkiste aufsprang und der samtene Vorhang auseinanderglitt, um den Blick auf eine andere Welt freizugeben.
Denn jene Welt hinter diesem Deckel und hinter diesem Vorhang — nun, das war eine Welt, die jedes Kind sofort in ihren Bann schlägt. Da gab es Berge aus Pappmaché, Wasser aus durchschimmernder Plastikfolie, Inseln mit und ohne Eisenbahnverkehr, feuerspeiende Vulkane, Jahrmärkte, fliegende Teppiche, Blechbüchsenarmeen, Piraten und Roboter — all das ließ mein Herz höher schlagen. Und ich schaute nicht nur wie gebannt, ich hörte auch ganz genau hin.
Denn die Sprache spielt in den Inszenierungen der Augsburger Puppenkiste immer eine große Rolle. Um Worte ist man nie verlegen, ob gesprochen oder gesungen. Allerdings steht die Sprache längst nicht immer auf sicheren Füßen. Manchmal können es nämlich auch Pfoten sein. Oder Tatzen. Schon der Kater Mikesch hat schließlich vorgemacht, dass das Reden nicht allein den Menschen vorbehalten ist. Auch seine Freunde, das Schwein Paschik und der Ziegenbock Bobesch, lernten das Sprechen. Und zwar fehlerfrei. Nur das kleine Kätzchen Maunzerle tat sich etwas schwer. Es hatte nämlich einen Sprachfehler: Statt „s“ sagte es immer „sch“; ein Satz wie „Im Keller ist ’ne Maus“ wurde bei ihm zu „Im Keller ischt ’ne Mausch“. Vielleicht handelte es sich aber auch gar nicht um einen Sprachfehler, vielleicht war das Maunzerle einfach nur ein schwäbisches Kätzchen. Womöglich kam’s sogar aus Augschburg!
Auf jeden Fall ist Maunzerle nicht der einzige Bühnenstar mit einer sprachlichen Auffälligkeit. Und gerade deshalb ist es im Ensemble der Augsburger Puppenkiste gut aufgehoben, denn Spracherziehung ist der Puppenkiste von jeher eine Herzensangelegenheit. Den besten Beweis liefert Professor Habakuk Tibatongs Tiersprechschule. Dort wird vorgemacht, dass Sprachunterricht viel Spaß machen kann.
Allerdings ist auch in der Tiersprechschule auf der Insel Titiwu — genauso wie in den Schulen hierzulande — immer wieder ein gewisser Unterrichtsausfall zu verzeichnen. Schuld daran ist Wutz, die putzwütige Haushälterin des Professors, die sich nicht davon abhalten lässt, die Schule regelmäßig einem Großreinemachen zu unterziehen. So kommt es, dass der kleine Ping Pinguin auch am Ende der letzten Folge noch nicht gelernt hat, das „sch“ zu sprechen. Es kommt nach wie vor nur ein „pf“ heraus. Folglich ist die schöne geschäumte Muschel, in die sich Ping Pinguin so gerne zum Träumen zurückzieht, bis heute eine pföne gepfäumte Mupfel geblieben.
Von der Augsburger Puppenkiste lernte ich auch manches geflügelte Wort, das mir in meinem späteren Leben noch von Nutzen sein sollte. Unvergesslich zum Beispiel die Worte der Schweinedame Wutz: „Oh, du saftige Rübe, öff öff“. Ebenso der Satz des Kamels aus den „Löwe“-Filmen: „Ich bin errrschütterrrt!“
Und nicht zu vergessen der Ausspruch des Großvaters in den „Opodeldoks“. Der sagte immer: „Früher war alles schlechter!“, was mir als Kind schon zu denken gab, da ich es von den Alten stets anders gewohnt war. Die behaupteten doch immer, dass früher alles besser gewesen sei, was ich nie glauben konnte, denn früher, da hatte es Krieg gegeben und Inflation und Massenarbeitslosigkeit, was sollte daran besser gewesen sein? So erschien mir der Großvater der Opodeldoks schon damals weiser und vernünftiger als die meisten anderen Erwachsenen zu sein.
Mit Hilfe der Puppenkiste habe ich schließlich sogar erste Fremdsprachenkenntnisse erworben. „Orrr rrreddi rrraks!“ — so lauten die ersten Worte aus „Schlupp vom grünen Stern“ — gesprochen von Herrn Ritschwumm, einem Bewohner des Planeten Baldasiebenstrichdrei. Welch ein Klang, welch eine kraftvolle Sprache! Da sich die Macher der Serie jedoch mit Rücksicht auf das deutsche Publikum dazu entschlossen hatten, die Dialoge der Bewohner von Baldasiebenstrichdrei in deutsch-synchronisierter Fassung wiederzugeben, blieben meine Kenntnisse des Baldaischen bedauerlicherweise nur rrrudimentärrr.
Und mit einer weiteren Fremdsprache brachte mich die Augsburger Puppenkiste in Berührung: dem Schwäbischen. Sehr kompliziert, das kann ich Ihnen sagen! Und voller äußerst merkwürdiger Ausdrücke! In einer Episode der „Löwe“-Trilogie sieht man den Zoowärter, der Löwe bewachen soll, über ein Buch gebeugt an seinem Schreibtisch sitzen und Hochdeutsch üben: „Servus, alte Hütten = guten Tag, lieber Freund … Sauviech mischtigs = dummes Tier, du.“ Kopfschüttelnd stellt der Zoowärter fest: „Also, Ausdrücke haben die im Hochdeutschen …“
Von der Puppenkiste habe ich auch gelernt, die Sprache sehr genau zu nehmen. Als der Großwildjäger Pumponell auf der Jagd nach dem Urmel von Wawa in eine Höhle gelockt wird und dort durch einen unvorsichtigen Schuss einen Stalaktitenhagel auslöst, muss er feststellen, dass er in der Falle sitzt. „Der Eingang, er ist verschüttet“, ruft er entgeistert aus. Wawa stellt richtig: „Von uns aus gesehen ist es der Ausgang!“ Das ist klug beobachtet, auch wenn es an der Lage der Verschütteten herzlich wenig ändert.
Aber es ist immer eine Sache des Standpunkts und der Perspektive des Sprechers, das habe ich auch einmal in einer Geschichte geschrieben, in welcher ich den Unterschied zwischen „hinab“ und „herab“ zu erklären versuchte. Sollte die Augsburger Puppenkiste am Ende gar den Grundstein zu meiner Tätigkeit als Sprachbeobachter und Sprachratgeber gelegt haben? Donnerrrwetterrr, das wäre nicht auszuschließen!
Da fällt mir noch ein Beispiel ein: Mit Hilfe des freundlichen Riesen Tur Tur lernt man den Unterschied zwischen „anscheinend“ und „scheinbar“ kennen — denn Herr Tur Tur, dem Jim Knopf und Lukas auf ihrer Reise nach China in der Wüste begegnen, ist nur scheinbar ein Riese. Ein Scheinriese, der immer größer wird, je weiter er sich entfernt, und immer kleiner, je näher er kommt. Was, wie die „Zeit“ einmal bemerkte, bis heute ein verbreitetes Phänomen bei vielen prominenten Riesen sei.
Im Museum der Augsburger Puppenkiste kann man erfahren, dass der Schein im Falle des scheinbaren Riesens sogar doppelt trog, denn in den vier Einstellungen, die Tur Tur in verschiedener Entfernung zeigten, blieb die Figur jedesmal gleich groß, während der Sandhügel im Hintergrund kleiner wurde.
Mein Freund Henry bemerkte einmal: „Weißt du, woran man erkennt, dass die Kindheit vorbei ist? Die Kindheit ist vorbei, wenn man bei den Figuren der Augsburger Puppenkiste die Fäden sieht!“
(c) Bastian Sick 2008
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 4“ erschienen.