Sonntag, 20. Oktober 2024

Safran, öffne dich!

P1000053.JPG_011rlGW7_f.jpg

Sofa, Matratze, Kaffee und Zucker – ohne das Arabische wäre die deutsche Gemütlichkeit nur halb so gemütlich. Auch im Gewürzregal sähe es ziemlich trostlos aus. Ohne das Arabische hätten wir nicht mal Alkohol! Und keine Null. Und schon gar nicht alle Tassen im Schrank!

Dass mich meine deutschen Zwiebelfisch-Kolumnen einmal um die ganze Welt führen würden, hätte ich noch vor wenigen Jahren nicht mal zu träumen gewagt. Im Juni dieses Jahres bin ich nun auf Einladung einer deutschen Schule zu einer Lesung nach Ägypten geflogen. Den amerikanischen Präsidenten Barack Obama habe ich dabei nur um wenige Tage verpasst. Er hatte sich in Kairo mit einer bewegenden Rede an die arabische Welt gewandt. „Salam Alaikum“, hatte er da gesagt, „Friede sei mit euch“. Zuvor war er bereits in Riad gewesen, wo er sich für den freundlichen Empfang mit „Schukran“ bedankte, dem arabischen Wort für Danke. Obama hatte sich auf diese Reise gut vorbereitet und sogar ein paar Brocken Arabisch gelernt.

Das hätte ich vielleicht auch tun sollen. Wer Fremdsprachen kann, ist immer im Vorteil. Doch beim Arabischen hätte ich garantiert Schiffbruch erlitten. Oder Havarie. Das bedeutet dasselbe, ist aber arabischen Ursprungs: Das arabische Wort awārīya bezeichnet beschädigte Ware. Erstaunlich viele Wörter, die seit Jahrhunderten fester Bestandteil unserer Sprache sind, haben ihren Ursprung im Arabischen. Und dabei handelt es sich längst nicht nur um so offensichtlich orientalische Wörter wie Sultan und Harem, Kadi und Koran, Minarett und Moschee und Arabeske und Scheich. Vielen Begriffen sieht — genauer: hört man ihre arabische Herkunft nicht an.

Nehmen wir nur das Lautenspiel. Das berühmte Saiteninstrument des Mittelalters hieß nicht etwa deshalb so, weil es besondere Laute von sich gegeben hätte oder besonders laut gewesen wäre, sondern weil es aus Holz ist. Die Laute geht auf das arabische Wort für Holz, al-ūd, zurück. Lange bevor sich die Minnesänger hierzulande auf der Laute begleiteten, erklang sie bereits am Hofe Harun al-Raschids, des sagenumwobenen Kalifen von Bagdad.

Und nicht nur Dichter und Sänger ließen sich von orientalischen Künsten und Bräuchen inspirieren. Auch die Wissenschaft bediente sich kräftig aus Ali Babas Sprachschatzhöhle. Schon die Alchimie setzt sich aus arabischem Artikel (al) und dem ägyptischen Wort für schwarz (kême oder chême) zusammen. Viele denken bei Alchimie natürlich sofort an Hokuspokus, dabei wurde jener (und wird es zum Teil noch heute) mit allerhöchstem Segen in der Kirche veranstaltet; denn beim „Hokuspokus“ handelt es sich um nichts anderes als eine Verballhornung der lateinischen Abendmahlsformel „Hoc est enim corpus meum“ (Dies nämlich ist mein Leib).

Die Magier sorgten frühzeitig für eine Gleichstellung der Religionen, indem sie dem christlichen Hokuspokus ein islamisches Simsalabim hinzufügten. Letzteres ist die Verballhornung der arabischen Worte Bismi llâhi r-rahmani r-rahim, mit denen jede Koransure beginnt. Übersetzt bedeuten sie: „Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes!“ Diese Formel, in islamischen Ländern auch oft in Begleitung eines Stoßseufzers zu hören — ähnlich unserem Ausruf „Allmächtiger!“ — wurde durch Verkürzung und Verdrehung zum magischen „Simsalabim“.

Mein ehemaliger Deutschlehrer schenkte mir zur Vorbereitung meiner Reise ein aufschlussreiches Büchlein mit dem Titel „Von Algebra bis Zucker — Arabische Wörter im Deutschen“. Dass das Wort Algebra arabischen Ursprungs ist, fand ich nicht verwunderlich, schließlich gehen unsere Zahlen auf arabische Ziffern zurück. Wie übrigens das Wort Ziffer selbst, auch das ist arabischen Ursprungs. Das arabische Wort sifr bedeutet „Null“. Erstaunlicher war für mich hingegen die Tatsache, dass etwas so Alltägliches wie Zucker über das Arabische in unseren Kulturraum gerieselt sein soll. Tatsächlich haben die Araber die Technik der Zuckergewinnung aus Zuckerrohr von den Persern übernommen, die es ihrerseits von den Indern abgeguckt hatten. So gelangte das indische Wort sakkhara über das Arabische, wo es zu sukkar wurde, nach Europa, wo es schließlich zu zucchero, sucre, sugar und Zucker verarbeitet wurde.

Weitere Wörter arabischen Ursprungs sind Admiral und Arsenal, Baldachin (abgeleitet vom Namen der Stadt Bagdad, die im frühen Mittelalter bei uns noch Baldach genannt wurde), Elixir, Estragon, Giraffe, Jasmin, Magazin, Matratze (welches ursprünglich „das auf den Boden Geworfene“ bedeutete), Safran, Schach (vom persischen Wort „Schah“ für „König“) und natürlich Sofa. Immer, wenn etwas besonders bequem und plüschig oder wohlriechend und schmackhaft ist, besteht eine große Chance, dass es aus dem Orient stammt.

Und nicht zu vergessen das Wort Alkohol. Auch das stammt aus dem Arabischen. Ausgerechnet Alkohol, werden Sie denken, der im Islam doch gar nicht erlaubt ist. Ursprünglich aber hatte das Wort eine ganz andere Bedeutung. Es bezeichnete ein Pulver für die Augen, das als Medizin zur Behandlung von Augenkrankheiten und später auch zum Schminken verwendet wurde — ähnlich dem indischen Kayal. Im Laufe der Jahrhunderte wandelte sich die Bedeutung von „feines Pulver“ über „feine Essenz“ bis hin zum „Feinsten des Weines“, zum Weingeist also, der durch Destillation gewonnenen Essenz aus dem edlen Rebensaft. Erst in dieser veränderten Bedeutung erlangte das Wort Alkohol, das bis dahin nur Alchimisten, Quacksalbern und Ärzten bekannt war, weltweite Berühmtheit.

Ohne Bakschisch kein Haschisch — ohne Geld kein Gras — ist eine Erkenntnis, die sich seit den 70er-Jahren zunehmend auch in Deutschland durchgesetzt hat. Wie ich besagtem Büchlein entnehmen konnte, ist das dazu passende Wort „kiffen“ gleichfalls arabischer Herkunft. Schau an! Und ich dachte immer, das wäre Holländisch!

Und noch ein weiteres Genussmittel stammt aus dem Orient, und zwar ein ganz wichtiges, ohne das die Welt schon lange aufgehört hätte, sich zu drehen. Und ohne das keine meiner Kolumnen je fertig geworden wäre: der Kaffee. Die Araber kannten ihn schon lange vor den Türken und nannten ihn qahwa. Wenn man Kaffee in einer Tasse serviert, hat man gleich zwei arabische Wunder vor sich; denn auch das Wort Tasse haben wir aus dem Arabischen übernommen.

Ich weiß nicht, ob Barack Obama bei seinem Besuch in Kairo Zeit hatte für eine Tasse guten Kaffees — vielleicht haben seine Leute auch nur kurz bei Starbucks angehalten und ihm einen Caramel Macchiato im Pappbecher „to go“ besorgt. Die Deutschen in meiner Reisegruppe beschäftigte indessen eine andere Frage viel mehr, und zwar wie man wohl in die Pyramiden hineingelangt. Der Einstieg war für uns nämlich zunächst nicht sichtbar.  Ein Fotograf aus Wuppertal hob beschwörend die Hände und rief: „Safran, öffne dich!“ Sogleich wurde er von einer Frau aus Franken berichtigte: „Es heißt Sesam, nicht Safran!“ — „Tatsächlich?“, gab der Fotograf zurück, „dann versuchen Sie es mit Sesam. Vielleicht haben Sie ja mehr Glück!“ Ehe sie etwas erwidern konnte, kam der ägyptische Reiseleiter um die Ecke und winkte uns heran: „Kommen Sie! Hier geht’s zum Eingang!“ Der Fotograf zuckte nur die Schultern und sagte zur Fränkin: „Na bitte, da sehen Sie’s, es funktioniert auch mit Safran!“

(c) Bastian Sick 2009


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 4“ erschienen.

Lesen Sie auch:

Das Wunder des Genderns

Kein sprachliches Thema hat die Gemüter in den letzten Jahren so sehr bewegt und erhitzt …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert