Meine sehr verehrten Damen und Herren,
den Mann, den wir heute Abend für sein Lebenswerk ehren wollen, kenne ich persönlich zwar erst seit Kurzem. Aber seinen Namen kenne ich schon mein ganzes Leben lang. Wann immer mir ein deutschsprachiges Lied aufgrund seiner klugen Reime, seiner gut durchdachten Geschichte und seiner poetischen Bilder besonders gefiel und ich neugierig auf der Plattenhülle nachsah, wer es geschrieben hatte, dann war dort sein Name zu lesen.
Dass er Autor, Textdichter und Librettist wurde, war eine Entscheidung aus Leidenschaft.
Als promovierten Juristen hätte ihn eine glänzende Karriere als Staatsanwalt oder Richter erwartet, doch er glaubte nicht daran, der Gesellschaft einen Dienst zu erweisen, indem er ihre Sünder anklagte oder verurteilte. Lieber wollte er die Menschen im Herzen berühren.
Seine Devise lautete „Talent verpflichtet“, und davon besaß und besitzt er reichlich, genauso wie Fleiß. Unfassbar viel Fleiß. Er interessierte sich sehr für Literatur, befasste sich mit Geschichte und philosophischen Theorien, aber am lautesten schlug sein Herz für die Musik – in ihrer poetischsten Form.
Sein großes Vorbild war Bob Dylan. Und sein allererstes Lied, für das er den Text und die Musik geschrieben hatte, klang auch so, als wäre es für Bob Dylan geschrieben. Tatsächlich aber hat‘s ein anderer aufgenommen, ein damals noch völlig unbekannter Schwede mit seiner Band, den „Hootenanny Singers“. Das Lied mit dem Titel „Wenn alle Ströme versiegen“ wurde zwar kein Hit, aber es war trotzdem der Beginn einer großartigen Karriere. Genauer gesagt: zweier Karrieren. Die Wege des schwedischen Sängers und unseres Preisträgers sollten sich Jahre später übrigens erneut kreuzen und in eine fruchtbare Zusammenarbeit münden. Aus den „Hootenanny Singers“ war nämlich inzwischen ABBA geworden, und unser Preisträger schuf die deutschen Texte für das überaus erfolgreiche Musical „Mamma Mia“.
Dazwischen fand noch einiges anderes statt, da wurde Musikgeschichte geschrieben. Da wurde in einem Münchner Lokal ein Peter Maffy entdeckt und mit einem sehr gefühlvollen „Du“ in die Charts komplimentiert, da wurde für Jürgen Drews „ein Bett im Kornfeld“ aufgeschlagen und für Udo Jürgens „Griechischer Wein“ eingeschenkt. Der nächste große Coup folgte mit der von ihm selbst produzierten Formation „Silver Convention“, die mit „Fly, Robin, Fly“ tatsächlich zu einem Höhenflug ansetzen und es damit auf Platz 1 der amerikanischen Charts schafften. Für unseren Preisträger war das ein unfassbares Gefühl, das er folgendermaßen beschrieb: „Es war, als hätten wir den Amerikanern Coca Cola verkauft!“
Doch es ging ihm nie um den bloßen kommerziellen Erfolg. Er wollte auch immer etwas bewegen. Neben Talent und Fleiß besaß er noch eine dritte besondere Eigenschaft: einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Dieser spricht zum Beispiel aus seinem Buch „Straße ins Feuer“, in welchem er das Schicksal einer verfolgten Familie im Zeitalter des Hexenwahns beschreibt. Und er spricht aus zahlreichen seiner Lieder.
Denn bei allem Erfolg blieb unser Preisträger stets der Anwalt des kleinen Mannes, egal ob in der moralischen Entrüstung über ein sogenanntes „ehrenwertes Haus“, ob in der „kleinen Kneipe in unserer Straße“ oder in der sehnsuchtsvollen Feststellung „Ich war noch niemals in New York“. Er schuf eine neue Form der Poesie, die man bis dahin in der deutschen Unterhaltungsmusik nicht kannte: Schlager mit sozialem Engagement.
Und er wurde zu einem Anwalt der Emanzipation. Aufgrund von Textaussagen wie „Ich will alles, und zwar sofort“, „Ich bin stark“ oder „Gerade jetzt und jetzt erst recht“ nahm die von ihm produzierte Sängerin Gitte Haenning für viele andere Frauen eine Vorbildfunktion ein. Kurioserweise war Gitte Heanning selbst nie die emanzipierte Frau, für die sie aufgrund der Texte gehalten wurde. Dasselbe trifft auch auf unseren Preisträger zu. Ich darf an dieser Stelle seine Ehefrau Roswita zitieren, die mir anvertraute: „Eigentlich ist mein Mann gar nicht so eine emanzipierte Frau.“
In der Zusammenarbeit mit Gitte Haenning waren mehrere sogenannte Konzeptalben entstanden, ein Novum im deutschsprachigen Schlager. Für unseren Textdichter waren sie die Brücke zu einem neuen Medium, das zu erobern er entschlossen war: dem Musical.
Bis hierhin hatte er bereits unzählige Lieder geschrieben und zahlreiche große Hits produziert. Und er hatte sich in diesen Liedern nicht allein Wohlklänge zusammengereimt, sondern Geschichten erzählt, Geschichten mit Tiefgang und mit Pfiff, die dafür sorgten, dass viele der Songs im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft hängenblieben.
Irgendwann genügten ihm ein Din-A4-Blatt, zwei Strophen und ein Refrain nicht mehr, er wollte längere Geschichten erzählten, Geschichten mit einer richtigen Dramaturgie und mit abwechslungsreicher Musik.
Eine erste Gelegenheit dazu bot ihm die Zusammenarbeit mit Andrew Lloyd Webber, für den er sechs Musicals ins Deutsche übertrug. Alle deutschen Adaptionen waren große Erfolge. Als ich 1986 zum Studium nach Hamburg zog, hielt das Musical „Cats“ gerade seinen Einzug ins Operettenhaus. Nach zwölf Jahren war ich zum fünften Mal innerhalb Hamburgs umgezogen, und „Cats“ lief immer noch an derselben Stelle – im Unterschied zu unserem Dichter, der nie lange auf derselben Stelle trat, sondern sich ständig weiterentwickelte. Es blieb nämlich nicht bei Übersetzungen amerikanischer Stücke. In den 90er-Jahren begann er, eigene Musicals zu schreiben.
Mit „Elisabeth“, das 1992 uraufgeführt und über vier Jahre lang in Wien gespielt wurde, hat unser Autor das Drama-Musical als neue Gattung im deutsprachigen Raum etabliert. Bei den Drama-Musicals steht die Erzählung im Mittelpunkt – im Unterschied zu den amerikanischen Tanz-Musicals, bei denen es vor allem ums Hüte-Schwenken geht.
Das französische Wort für Musical lautet übrigens „Comédie musciale“, was sehr klar verdeutlicht, in welche Unterhaltungsschublade das Musical traditionell gesteckt wurde. Unser Preisträger hat neue Wege beschritten und die musikalische Komödie zu einem musikalischen Drama reifen lassen. Mit überwältigendem Erfolg, denn seine Stücke werden inzwischen längst nicht mehr nur hierzulande gespielt, sondern auch im Ausland, in Tschechien, in Schweden, und sogar in Japan.
Dort weilte er kürzlich zur Premiere seines Stückes „Rebecca“ – auf japanisch. Faszinierend: Er, der so vieles ins Deutsche übertragen und einem Millionenpublikum zugänglich gemacht hat, wird nun selbst in fremde Sprachen übersetzt! Zur selben Zeit saß ich bei ihm daheim auf dem Sofa und ließ mir von seiner Frau Roswitha aus seinem Leben erzählen. „Mein Gott!“, rief ich aus, „das ist so viel, das kann man doch nie und nimmer alles in eine Rede packen!“ Seine Frau beruhigte mich: „Je mehr du weißt, umso mehr kannst du weglassen.“
Doch es schmerzt mich fast, so vieles weglassen zu müssen, denn dieser Mann hat einfach Unglaubliches geleistet. Er hat Gott und der Welt seine Texte in den Mund gelegt (wobei Sie Gott gerne menschlich auffassen und an Karel denken dürfen). Gilbert Bécaud muss ich weglassen, Nana Mouskouri, Mireille Mathieu, Katja Ebstein und Julio Iglesias, die Münchner Freiheit, „Evita“ muss ich weglassen, „das Phantom der Oper“, den „König der Löwen“, „Hexen, Hexen“, den „Tanz der Vampire“, „Mozart!“ und „Marie Antoinette“. Und die vielen Preise muss ich weglassen, die es vor diesem Preis schon für ihn gegeben hat.
Eines aber darf ich unter keinen Umständen auslassen, nämlich die Gelegenheit, ihm heute und hier meinen Dank auszusprechen. Danke für all die Lieder, für die Verse und Geschichten, mit denen Sie uns zum Nachdenken, zum lauten Mitsingen oder zum verstohlenen Schniefen gebracht haben. Danke für Ihre Poesie, mit der Sie unsere Herzen berührt haben!
Meine Damen und Herren, den Musikautorenpreis für sein Lebenswerk erhält: Michael Kunze!