Sonntag, 20. Oktober 2024

Stop making sense!

Screenshot eingesandt von Sara Brenner

Seit einiger Zeit hat sich im deutschen Sprachraum eine Phrase breit gemacht, die auf die alte Frage nach dem Sinn eine neue Antwort zu geben scheint. Mit ihr feiert die Minderheitensprache Denglisch ungeahnte Triumphe, grammatischer Unsinn „macht“ plötzlich Sinn.

„Früher war alles besser“, sagen ältere Menschen gern. „Früher war alles schlechter“, pflegt der Großvater der Opodeldoks zu sagen. Wie auch immer man die Vergangenheit bewertet, sicher ist: Früher war einiges anders. Früher sagte man zum Beispiel noch: „Das ist sinnvoll.“ Dieser Ausdruck scheint inzwischen vollständig verschwunden. Neuerdings hört man nur noch „Das macht Sinn“, in der Negation „Das macht keinen Sinn“ oder, im besten Kauderdeutsch: „Das macht nicht wirklich Sinn…“

Herkunftsland dieser Sprachmutation ist wieder einmal „Marlboro Country“, das Land, wo angeblich alles möglich ist, solange der Strom nicht ausfällt. „That makes sense“ mag völlig korrektes Englisch sein, aber „Das macht Sinn“ ist alles andere als gutes Deutsch. Irgendwer hat es irgendwann zum ersten Mal verkehrt ins Deutsche übersetzt, vielleicht war es sogar derselbe, dem wir die unaussprechlichen „Frühstückszerealien“ zu verdanken haben und das schulterklopfende „Er hat einen guten Job gemacht“ („He did a good job“), welches die bis dahin gültige Feststellung „Er hat seine Sache gut gemacht“ abgelöst zu haben scheint. Wie auch immer, jedenfalls hat der Erfinder damit einen grandiosen Hit gelandet, um den ihn jede Plattenfirma beneiden würde. Denn „macht Sinn“ läuft auf allen Kanälen, dudelt aus sämtlichen Radios, schillert durch Hunderte Illustrierte, hallt aus den Schluchten des Zeitgeistmassivs und verliert sich in den tiefsten Niederungen unserer Spaßgesellschaft.

Es gibt Menschen, die finden die Phrase „schick“, weil „irgendwie total easy und aktuell mega angesagt“. Diese Menschen haben ihr Sprachgefühl vor vielen Jahren im Babyhort irgendeiner Shopping-Mall abgegeben und „voll im Endstress“ vergessen, es hinterher wieder abzuholen.

Es gibt andere, denen kommt die Phrase wie gerufen, weil sie modern und hemdsärmelig-zupackend zugleich klingt: „Das macht Sinn“ ist prima geeignet, um über ein mangelndes Profil oder fehlende Sachkompetenz hinwegzutäuschen und von politischen Missständen abzulenken. Da wird von „machen“ gesprochen und gleichzeitig Sinn gestiftet! Das ist der Stoff, aus dem große politische Reden geschrieben werden: „Ich sag mal, das macht Sinn, das ist so in Ordnung…“

Die breite Masse der „macht Sinn“-Sager denkt sich nichts dabei, vielleicht hält sie die Redewendung sogar für korrektes Deutsch. Schließlich hört man es doch täglich im Fernsehen; da kommt einem das „macht Sinn“ irgendwann wie von selbst über die Lippen. Es ist ja auch so schön kurz, prägnant und praktisch. Ob nun richtig oder falsch, was „macht“ das schon, solange es jeder versteht?

Es macht vielleicht wirklich nicht viel, nicht mehr als ein Fettfleck auf dem Hemd, als Petersilie zwischen den Zähnen, als ein kleines bisschen Mundgeruch. Doch schon der Kolumnist und Satiriker Max Goldt geißelte den „primitiven Übersetzungsanglizismus“ und warnte davor, dass Menschen, die „macht Sinn“ sagen, von anderen weniger ernst genommen würden. Das Wort „machen“, so Goldt, komme ohnehin schon häufig genug vor in der deutschen Sprache.

Womit er allerdings Recht hat. Deutsch ist die Sprache der Macher und des Machens. Das fängt bei der Geburt an (den ersten Schrei machen) und endet mit dem Tod (den Abgang machen). Dazwischen kann man das Frühstück machen und die Wäsche, einen Schritt nach vorn und zwei zurück; man kann Pause machen, Urlaub oder blau, eine Reise ins Ungewisse und plötzlich Halt; man kann eine gute Figur machen und trotzdem einen schlechten Eindruck; man kann den Anfang machen, seinen Abschluss machen, Karriere machen; man kann drei Kreuze machen, Handstand oder Männchen; man kann die Nacht durchmachen, ein Opfer kalt machen, Mäuse, Kies und Kohle und sich ins Hemd machen; man kann andere zur Schnecke machen und sich selbst zum Affen; man kann sogar Unsinn machen – aber Sinn?

„Sinn“ und „machen“ passen einfach nicht zusammen. Das Verb „machen“ hat die Bedeutung von fertigen, herstellen, tun, bewirken; es geht zurück auf die indogermanische Wurzel mag-, die für „kneten“ steht. Das erste, was „gemacht“ wurde, war demnach Teig. Etwas Abstraktes wie Sinn lässt sich jedoch nicht kneten oder formen. Er ist entweder da oder nicht. Man kann den Sinn suchen, finden, erkennen, verstehen, aber er lässt sich nicht im Hauruck-Verfahren erschaffen.

Die deutsche Sprache bietet viele Möglichkeiten, den vorhandenen oder unvorhandenen Sinn auszudrücken. Neben „Das ist sinnvoll“ ist ebenso richtig: „Das ergibt einen Sinn“, „Das hat einen Sinn“, „Ich sehe einen Sinn darin.“ Um nur eine Ahnung der vielfältigen Möglichkeiten zu geben, sei hier ein Auszug aus dem monumentalen Lamento-Monolog des sagenumrankten Sinnfried Sinnstifter zitiert, der die Aufforderung, einen sinnvollen Satz ohne „machen“ zu formulieren, empört mit folgenden Worten zurückwies: „Warum sollte das sinnvoll sein? Ich sehe keinen Sinn darin! Welcher Sinn sollte sich dahinter verbergen? Das ist vollkommen unsinnig! Ich kann keinen Sinn darin erkennen. Das ist absolut ohne Sinn, es ergibt nicht den geringsten Sinn. Ich frage Sie, wo bleibt da der Sinn? Liegt denn überhaupt ein Sinn darin? Der Sinn des Ganzen ist unergründbar! Mir vermag sich der Sinn nicht zu erschließen, und je länger ich den Sinn zu ergründen, zu erhaschen, zu begreifen suche, desto deutlicher sehe ich, dass es keinen Sinn hat!“

In ein paar Jahren steht „macht Sinn“ vermutlich im Duden-Band 9 („Richtiges und gutes Deutsch“), dann haben es die Freunde falscher Anglizismen mal wieder geschafft. So wie mit „realisieren“, das auf Deutsch lange Zeit nur „verwirklichen“ hieß und neuerdings laut Duden auch die im Englischen übliche Bedeutung „begreifen“, „sich einer Sache bewusst werden“ haben kann. Dass an der Börse Gewinne realisiert werden, ist lange bekannt, denn die Wirtschaft kennt „realisieren“ als Fachterminus für „in Geld verwandeln“; aber neu ist, wenn der Sieger eines Radio-Quiz‘ gefragt wird, ob er seinen Gewinn von 18.000 Euro denn schon realisiert habe? Oder wenn Schwimmweltmeisterin Hannah Stockbauer nach ihrem dreifachen Triumph in Barcelona im Fernsehen verkündet, sie könne ihre Siege noch gar nicht realisieren, obwohl ihr die Medaillen bereits um den Hals hingen. Und dann dieser tragische Fall aus Vorarlberg, im Juli auf ORF.at vermeldet: Da war von einer geistig verwirrten Frau die Rede, die neben ihrem toten Mann im Bett lag und die „aufgrund ihrer Krankheit nicht in der Lage“ war, „den Tod zu realisieren“. Wohin das noch führen soll? Womöglich zu neudeutschen Drehbuchtexten wie diesem: „Wie bitte, dein Mann betrügt dich mit deiner besten Freundin? Das realisier ich einfach nicht! Das macht doch total keinen Sinn!“ Mit solchem Deutsch lässt sich vermutlich mancher Trend-Award gewinnen, aber bestimmt kein Blumentopf.

 (c) Bastian Sick 2003


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.

 

Lesen Sie auch:

Das Wunder des Genderns

Kein sprachliches Thema hat die Gemüter in den letzten Jahren so sehr bewegt und erhitzt …

2 Kommentare

  1. Ach ja! Es ist ein Jammer mit dieser Ausdrucksweise. Ich lebe seit 17 Jahren in der Schweiz und fast niemand sagt mehr: „das ist sinnvoll“ oder „etwas hat Sinn“. Im Gegenteil. Mir tun auch nach so langer Zeit immer noch die Ohren weh, wenn sogar Freunde und Bekannte aus dem Ausland, die noch nicht so lange Deutsch können, diese falsche Ausdrucksweise verwenden. Und das Schlimmste ist: Man kann sich nicht dagegen wehren, weil es den Sprachraum völlig überschwemmt hat. Auch die Lehrer in den Schulen, der Schweizer Ehemann und bald auch die Kinder! *mirdiehaarerauf*

  2. Waldemar Behrendt

    Guten Tag, Herr Sick,

    Sie erklären die Aussage „Das ergibt einen Sinn“ für richtig. Doch sinnvoll und sinnlos sind, meiner Meinung nach, bereits Ergebnisse. Entweder ist etwas sinnvoll oder sinnlos, dazwischen gibt es nichts, d. h. es gibt hier keinen Prozess des Werdens. Ergebnis ist die substantievierte Form des Verbs ergeben. In diesem Fall ist die Aussage „Das ergibt einen Sinn“ eine Tautologie, d. h. unzulässig. Denn in dem Begriff Sinn steckt schon ergibt.

    Gruß

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert