„Dann bekomme ich einmal 2,40 Euro!“, sagt die Kassiererin, und ich frage mich: Warum sagt sie „einmal“? Denkt sie, ich wollte ihr das Geld womöglich zweimal geben? Ein paar Gedanken über ganz alltägliche Seltsamkeiten im Verkäuferdeutsch.
Über zwei Wörter stolpere ich in letzter Zeit immer wieder: Das eine lautet „einmal“ und das andere „gerne“. Das sind zwei ganz gewöhnliche, unspektakuläre Adverbien, die jeder kennt und gern hat und daher nicht nur einmal, sondern womöglich mehrmals täglich gebraucht. Im Dienstleistungsbereich lässt sich der Gebrauch allerdings nicht mehr quantifizieren. „Einmal“ ist dort zu einer festen Größe geworden, die zum Verkaufen gehört wie das Kassieren und Verpacken.
„Dann bekomme ich bitte einmal 2,40 Euro von Ihnen!“, sagt die Verkäuferin in der Bäckerei, als sie mir die Tüte mit den Brötchen reicht. Warum tut sie das? Warum sagt sie „einmal“? Denkt sie, ich wollte ihr das Geld womöglich zweimal geben? „Einmal die Fahrscheine bitte“, brummt der Schaffner im Zug. Streng genommen genügte es, wenn einer der Fahrgäste dem Schaffner zwei Fahrscheine zeigte, denn dann hätte der Schaffner genau einmal mehr als einen Fahrschein zu sehen bekommen, und nichts anderes hat er schließlich verlangt.
Ich gebe zu, dass ich gelegentlich den Überblick verliere. Aber noch merke ich, wenn man mir einen Betrag zweimal in Rechnung stellen will. Wenn die Servierkraft im Café zu mir sagt: „Das wären dann einmal 2,40 Euro für den Milchkaffee und dann noch einmal 3,80 für den Mandelkuchen“, dann frage ich mich, warum es wohl „noch einmal“ 3,80 Euro sind? Ich bin mir absolut sicher, dass ich davor nichts konsumiert habe, was schon einmal 3,80 Euro gekostet hätte. Es sei denn, die Servierkraft erinnert sich noch an meinen letzten Besuch, aber der liegt bereits einige Wochen zurück. Ihrer Logik zufolge müsste ich insgesamt 10 Euro zahlen: 3,80 plus 2,40 plus „noch einmal“ 3,80. Ich bin einigermaßen erleichtert, als es dann doch nur 6,20 Euro sind.
Einmal ist keinmal, wie jeder weiß, darum könnte man das „einmal“ getrost weglassen. Für Dienstleister allerdings scheint der Verzicht auf „einmal“ undenkbar. Sie lieben dieses Wort nun einmal. Besonders drollig wird’s, wenn „einmal“ noch verdoppelt wird: „Wollen Sie einmal mal probieren?“ oder „Da müsste ich einmal kurz mal im Lager nachschauen.“ Als ich an der Kinokasse drei Karten für meine Neffen und mich löse, schiebt mir der Verkäufer die Billets mit den Worten zu: „Einmal dreimal.“ In der Schule lernen wir das Einmaleins; angehende Verkäufer lernen später offenbar noch das Einmalmal hinzu. Ich will damit nicht sagen, dass das Wort „einmal“ im Verkäuferjargon unangemessen wäre. Der verschwenderische Gebrauch ist es schon.
Auch Henry ist er aufgefallen. Als wir unsere Rechnung im „Meyers“ begleichen wollten und der Kellner zusammenfasste: „Da hätten wir einmal einen Cappuccino und einmal einen doppelten Espresso, das wären dann bei Ihnen einmal 1,90 Euro, und bei dem anderen Herrn einmal 2,60 Euro“, da raunte Henry mir zu: „Wenn man alle ,einmal‘ zusammenzählt, kommt man sogar auf viermal!“
Nicht weniger bemerkenswert als das Einmaleins der Servicekräfte ist die inflationäre Ausbreitung des Wörtchens „gerne“ — wahlweise auch „gern“ oder „sehr gerne“ bis hin zu „aber gerne“. Man findet es heute überall dort, wo es früher noch „bitte“ oder „nichts zu danken“ hieß. Wenn ich mich im Bäckerladen für die Brötchen bedanke, dann erwidert die Verkäuferin neuerdings: „Gerne!“ Und selbst der Schaffner führt dieses Wort bereits: Mein automatisch gemurmeltes „Danke“ nach dem Abstempeln meiner Karte kontert er mit einem „Gerne!“. So gerne wie heute wurde in diesem Land noch nie gedient; vermutlich ist dies die Folge eines neuen Service-Denkens.
Früher hieß es noch „Der Kunde ist König“, da war der Verkäufer ein Diener, der die Wünsche des Königs erfüllte, höflich und akkurat, ohne persönliche Regung zu zeigen. Heute ist der Kunde nicht mehr König, sondern zahlender Gast im Ferienclub, und der Verkäufer ist der Animateur, der so tun muss, als sei ihm jede Dienstleistung, jede noch so alltägliche Routine ein persönliches Vergnügen. Denn die Parole lautet: Service ist Spaß! Fast scheint es, als würden sich alle Verkäufer morgens den Mund mit „Gern“-Seife putzen. Im allzu gernen Gebrauch von „gerne“ liegt jedoch auch eine Gefahr; denn immer häufiger kommt den Menschen das „gerne“ über die Lippen, wenn eher etwas wie „in Ordnung“ oder „ganz wie Sie wünschen“ gemeint ist. Einige Dialoge auf Gernseifenbasis erinnern daher an absurdes Theater:
Verkäufer: „Kann ich Ihnen helfen?“
Kunde: „Nein danke, ich finde mich schon zurecht.“
Verkäufer: „Sehr gerne!“
oder:
Verkäufer: „Einen schönen Tag noch!“
Kunde: „Danke, ebenfalls!“
Verkäufer: „Gern!“
Ist das logisch? Ohne „einmal“ und „gerne“ käme unsere Sprache nicht aus, man könnte nicht einmal mehr ein Märchen erzählen. Ich stelle mir aber gerade vor, wie es sich wohl anhört, wenn die Verkäuferin aus der Bäckerei ihren Kindern eine Gutenachtgeschichte erzählt: „Da hätten wir dann einmal eine wunderschöne Prinzessin, und dazu noch einmal einen edlen Prinzen, das macht dann einmal zusammen ein Traumpaar. So, und jetzt wird bitte einmal geschlafen!“ — „Gute Nacht, Mami!“ — „Sehr gerne!“
(c) Bastian Sick 2006
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 4“ erschienen.
Eine kleine Anmerkung zu Ihrem (sehr amüsanten) Beitrag:
In Österreich ist es keineswegs üblich, so häufig „einmal“ in Sätze zu verbauen; „bei uns“ wird es eigentlich hauptsächlich für „früher einmal“ (z.B. „Das habe ich dir einmal gezeigt!“) verwendet.