Dienstag, 16. Juli 2024

Steht vor „bis“ ein Komma?

Frage einer Freundin aus Münster: Lieber Bastian, es gibt eine interessante Frage, die selbst die geballte Münsteraner Intelligenzia nicht zufriedenstellend zu lösen vermag. Es handelt sich um das rot markierte Komma in obigem Auszug aus Wikipedia, hinter „Tätowierungen und Ziernarben“. Also habe ich kühn versprochen, ich würde dich fragen. Was ich hiermit einlöse. Ich wär definitiv für das fragliche Komma, kann‘s aber nicht begründen.

Antwort des Zwiebelfischs: Meine Liebe, das ist mal wieder eine schön knifflige Frage! Noch dazu zur Zeichensetzung, bekanntlich des Deutschen liebstes Thema 😉

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Konjunktionsreihe „von … über … bis (hin) zu“ grundsätzlich ohne Komma auskommt.

Nehmen wir einmal dieses Beispiel:

Die Musikstücke des Abends spannten einen Bogen vom Barock über Klassik und Romantik bis zum Jazz.

Die Konjunktionen „über“ und „bis“ haben die gleiche grammatische Funktion wie „und“ oder „oder“: Sie verbinden Satzteile miteinander. Kommas sind daher nicht vonnöten.

Freilich sieht die Sache anders aus, wenn den Konjunktionen ein Nebensatz oder ein Einschub (eine Apposition) vorausgeht. Dann sind Kommas erforderlich:

Beispiel mit Nebensätzen:

Die Musikstücke des Abends spannten einen Bogen vom Barock, der mit Werken von Bach und Händel vertreten war, über Klassik und Romantik, die von Beethoven und Schubert abgedeckt wurden, bis zum Jazz.

Beispiel mit Einschüben:

Die Musikstücke des Abends spannten einen Bogen vom Barock, vertreten durch Händel und Bach, über Klassik und Romantik, vertreten durch Beethoven und Schubert, bis zum Jazz.

In dem (zugegebenermaßen recht komplexen) Satz aus Wikipedia sind „Tätowierungen und Ziernarben“ aber weder Teile eines Nebensatzes, noch bilden sie einen Einschub. Sie sind reguläre Glieder einer Aufzählung, die mit „wie Kleidung und Accessoires“ beginnt. Daher folgt ihnen kein Komma.

Selbst wenn man die Aufzählung komplett in Klammern setzte, brauchte ihr kein Komma zu folgen:

Beispiele hierfür sind das Erröten als Kommunikation von Verlegenheit oder schlechtem Gewissen, Gestaltungen des Erscheinungsbilds (wie Kleidung und Accessoires, die Frisur, Tätowierungen und Ziernarben) bis hin zur Wohnungseinrichtung und gestalterischen Maßnahmen in der Architektur, die eine Gruppenzugehörigkeit oder ein bestimmtes Lebensgefühl zum Ausdruck bringen sollen.

Zwar fehlen im Wikipedia-Beispiel sowohl das einleitende „von“ als auch das weiterführende „über“, doch das ändert nichts an der verbindenden Rolle des Wörtchens „bis“. Man könnte den Satz nämlich auch so formulieren:

Die Beispiele hierfür reichen vom Erröten als Kommunikation von Verlegenheit oder schlechtem Gewissen über Gestaltungen des Erscheinungsbilds wie Kleidung und Accessoires, die Frisur, Tätowierungen und Ziernarben bis hin zur Wohnungseinrichtung und gestalterischen Maßnahmen in der Architektur, die eine Gruppenzugehörigkeit oder ein bestimmtes Lebensgefühl zum Ausdruck bringen sollen.

Das Komma kam dir vermutlich richtig vor, weil sonst der Eindruck entstehen könnte, die „Wohnungseinrichtung“ gehöre noch mit zu den „Gestaltungen des Erscheinungsbildes“ (wie Frisur, Tätowierungen und Ziernarben), obwohl sie doch zur dritten Gruppe der Beispiele gehören soll. Vielleicht hätte ich es in einem ähnlich Fall sogar selbst gesetzt. Aber mein gestrenger Korrektor bei Kiepenheuer & Witsch, der alle meine Texte liest, bevor sie in Buchform erscheinen, hätte es garantiert wieder rausgestrichen – mit der Begründung, dass gemäß § 72 der amtlichen Regeln bei einer Verbindung gleichrangiger Teilsätze, Wortgruppen oder Wörter kein Komma steht, wenn diese durch Konjunktionen wie „und“, „oder“, „sowie“, „beziehungsweise“, „sowohl … als auch“, „entweder … oder“ oder „weder … noch“ verbunden sind. Und dazu gehört auch „von … über … bis zu“.

Viele liebe Grüße aus Korntal, wo ich heute Abend zum ersten Mal in der Stadthalle auftrete. In den kommenden Tagen geht es weiter von Korntal-Münchingen (das liegt übrigens bei Stuttgart) über Düsseldorf am Rhein bis in die Heide nach Lüneburg. Hoffentlich ohne Stau. In jedem Fall aber ohne Komma.


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