Sonntag, 27. Oktober 2024

Von Tacheles, Schlamassel, Zockern und Ganoven

Die deutsche Sprache hat aus vielen Quellen geschöpft. Eine davon war das Jiddische, die Sprache der europäischen Juden. Darum geht es in der folgenden Geschichte.

Es waren einmal drei Männer, die hießen Kies, Moos und Reibach. Kies hatte seinen Namen vom jiddischen Wort „kis“, das „Beute“ bedeutet. Moos hatte seinen Namen vom „moo“, dem jiddischen Wort für den Pfennig. Die Mehrzahl „moos“ stand für viele Pfennige, also Geld. Der dritte, Reibach, verdankte seinen Namen dem jiddischen Wort rewach, das „Nutzen“, „Vorteil“ und „Gewinn“ bedeutet.

Kies und Moos waren Ganeffen, ein jiddisches Wort, das wir heute eher in der Form „Ganoven“ kennen. Sie liebten es, andere zu verkohlen und gründlich einzuseifen. Dabei waren jedoch weder Kohle noch Seife im Spiel, sondern die jiddischen Wörter „kol“ und „seiwel“. „Kol“ ist das „Gerücht“, „verkohlen“ bedeutete also ursprünglich, jemandem ein Gerücht unter die Nase reiben. „Seiwel“ ist das jiddische Wort für „Mist“ und „Kot“. Wer „eingeseiwelt“ oder „eingeseift“ wird, der wird im wörtlichen Sinne mit Kot beschmiert, im übertragenen Sinne beschwatzt, betrogen.

Reibach lebte vom Sachern, das heißt vom Handeln, auch bekannt als Schachern. Seine Ware war jedoch meistens Tinnef – das jiddische Wort für Schmutz. Sein Handel war also Schmu, jiddisch für Betrug. Doch Reibach besaß reichlich Chuzpe – das bedeutet „Frechheit“, und Frechheit siegt, wie es so schön heißt. Mit der Zeit wurde er zu einem betuchten Mann – nicht weil er sich in teure Tücher kleidete, sondern weil er betuch war, was so viel wie „sicher“, „verlässlich“ und somit „wohlhabend“ bedeutet. Reibach nahm sich eine Ische, das heißt eine Frau, und natürlich keine Schickse, denn das wäre eine Unreine, eine Christin gewesen. Sein Weib stammte aus einer angesehenen Mischpoche (das heißt „Familie“, „Sippe“) und war ebenso taff wie kess. „Taff“ bedeutet „wunderbar“, „großartig“ und wurde im Deutschen über „tafte“ zu „töfte“ und „dufte“. Das jiddische Wort „kessbedeutet „flott“, „schneidig“ und „vorwitzig“.

Reibach war also ein richtiger Großkotz. Das klingt derber, als es ist. Das jiddische Wort großkozen war ursprünglich die Bezeichnung für einen schwerreichen Mann;  erst später wurde daraus der Angeber, Prahler und Wichtigtuer.

Kies und Moos hingegen waren Nebbichs. Nebbich ist jiddisch und bedeutet „niemand“. Sie stammten aus einem armseligen kefar, jiddisch für „Dorf“, was im Deutschen zu „Kaff“ wurde. Sie hielten nicht viel von mĕlākā, dem hebräischen Wort für Arbeit, das im Deutschen zu „Maloche“ wurde. Denn vom Malochen wurde man nur schlacha, das heißt „zu Boden geworfen“ – woraus im Deutschen der Ausdruck „geschlaucht“ entstand. Lieber verbrachten sie ihre Zeit mit zocken, jiddisch für Kartenspielen. Dabei kam es immer wieder vor, dass sie wie Ionier spielten. Ionier sind Griechen, die sich nach ihrer Vertreibung durch die Türken im 15. Jahrhundert dem fahrenden Volk anschlossen und dort bald im Ruf standen, beim Kartenspiel nicht immer ganz ehrlich zu sein, weshalb das Wort „Ionier“ im Jiddischen zu „Jonier“ und schließlich zu „Jauner“ und „Gauner“ wurde. Das weiß zum Glück heute keiner mehr, sonst hätte Griechenland schon längst einen Antrag gestellt, um das Wort Gauner aus dem Duden entfernen zu lassen.

Zurück zu unseren Ganoven. Kies und Moos planten, Reibach auszurauben. Kies war der „Baldower“, der Auskundschafter, eine Zusammensetzung aus dem hebräischen „baal“ (das „Herr“ bedeutet) und „dowor“ = die Sache, also der „Herr der Sache“, der Anführer des Unternehmens. Er verbrachte viel Zeit damit, sich gut zu kochenem, das heißt sich vorzubereiten. Am Ende war er ausgekocht, was aber nicht heißt, dass er stundenlang in einem Kochtopf geschmort hätte, sondern sich einfach nur „gut vorbereitet“ hatte.

Und um nicht auf frischer Tat ertappt zu werden, brauchten sie noch jemanden, der Schmiere stand. Diese Schmiere hat nichts mit Öl oder Fett zu tun. „Schmiere“ kommt vom hebräischen Wort „shmíra“, das schlicht und einfach „Wache“ bedeutet. Sie hatten Massel (das heißt „Glück“) und fanden einen Kaffer (das heißt einen Dummkopf), der bereit war, mitzumachen. Er sagte ihnen allerdings gleich, dass es meschugge sei (das heißt verrückt), den größten Schofel (das heißt Unmensch) der Gegend bestehlen zu wollen. Kies sagte nur: „Red keinen Stuss!“, womit er „Unfug“ meinte. Und Moos pflichtete ihm bei: „Genau! Schluss mit dem Geseier!“ Das ist jiddisch für Gejammer.

Doch so gründlich sie auch alles ausbaldowert und ausgekocht hatten – die Sache wurde zu einem gründlichen Schlamassel. Schla-massel ist das Gegenteil von Massel, also Unglück, Pech. Denn in Reibachs Geldschrank befand sich nicht ein einziger Moo – von Moos, also Geld, ganz zu schweigen. Der Mann war pleite! Das jiddische Wort pletja bedeutet Flucht, denn dass jemand zahlungsunfähig war, erkannte man meistens daran, dass er vor seinen Gläubigern auf der Flucht war. Folglich fehlte nicht nur von seinem Vermögen jede Spur, sondern auch von ihm selbst. Reibach war auf und davon geflattert, einem Vogel gleich, allerdings keinem Adler oder Falken, sondern einem etwas weniger edlem, denn aus dem jiddischen plejte gehjer, also dem, der pleitegeht, wurde im Deutschen durch eine Umdeutung der Pleitegeier.

Zu allem Unglück wurden sie auch noch verraten, denn der Kaffer, der Schmiere stehen sollte, hatte gemosert. Mosern kennt man heute als nörgeln, maulen – ursprünglich bedeutete es anschwärzen, verraten. Vom eigenen Komplizen verraten – das war natürlich mies! Und „mies“ ist ebenfalls jiddisch und bedeutet „gemein“, „bösartig“ und „schlecht“.

Kies und Moos wurden gefasst und kamen in den Knast. Das jiddische Wort knas leitet sich vom hebräischen gĕnạs her, das eigentlich nur Geldbuße bedeutet, aber wie das mit Geldbußen so ist: Wenn man sie nicht begleichen kann, wandert man eben ins Gefängnis. Dort trafen die beiden – na, wen wohl? – genau: Reibach! Nun hatten sie alle Zeit der Welt, um mit diesem Schmock Tacheles zu reden. Das jiddische Wort tachlis bedeutet Endzweck, Vollkommenheit und erlangte im Deutschen die Bedeutung „Klartext“. Und damit ist diese Geschichte am Zoff angelangt. Zoff bedeutete ursprünglich nämlich nichts anderes als Ende. Da man es aber allzu oft erlebte, dass der Zoff mies ausging, eine Sache also ein schlechtes Ende nahm, erlangte Zoff die Bedeutung Ärger, Zank und Streit.

Was am Ende aus Kies, Moos und Reibach geworden ist, darüber weiß der Chronist nichts zu sagen. Sicher ist, sie haben Spuren hinterlassen, denn die vielen jiddischen Wörter bereichern unsere Sprache noch heute.


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2 Kommentare

  1. Ich kenne die Bedeutung von Schlamassel genau so, wie Herr Sick sie beschrieben hat, als eine Situation. Hier in den USA wird der Ausdruck aber für eine Person verwendet, eben eine, die oft Pech hat. In englischen Erklärungen jiddischer Ausdrücke (verfasst von jüdischen Autoren!) wird der Schlamassel oft dem Schlemiel gegenübergestellt, der nun wirklich eine Person ist. Mich würde interessieren, wie es zu diesen Unterschieden in der Bedeutung gekommen ist.

    Nebenbei: Ich kenne Ausdrücke wie Tacheles, Zores und Mischpoche (in der Form Mischpoke) von meinen Großeltern und hatte das Gefühl, dass sie aus dem deutschen Sprachgebrauch seit den Nazis verschwunden sind. Es scheint mir aber, dass sie wieder zunehmend gebraucht werden (auch wenn ich das aus der Ferne vielleicht falsch sehe) und das freut mich, falls es stimmt: Sie haben so was schön Drastisches an sich.

  2. Zu diesem Artikel kann man nur eines sagen: Hervorragend. Bitte mehr davon.

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