Mittwoch, 27. März 2024

Der Pabst ist tod, der Pabst ist tod!

Zu den bewegendsten Begebenheiten des Jahres 2005 zählen zweifellos das Sterben und der Tod des Papstes Johannes Paul II. Millionen haben ihn geliebt und verehrt, auch bei uns in Deutschland. Als er starb, war die Trauer groß. Ob der allgemeinen Bestürzung schien die deutsche Sprache zeitweise völlig durcheinanderzugeraten.

Lange hat es gedauert, das Pontifikat Johannes Pauls II. Und lange währte auch das Siechtum dieses Papstes. Am 3. April 2005, einem Samstag, starb er, der von so vielen Menschen in aller Welt verehrte Mann. Manche nannten ihn respektvoll den „Jahrhundert-Papst“. Für die meisten war er aber einfach „der Papst“. Abgesehen von denjenigen, für die er immer „der Pabst“ war.

Nicht nur Millionen Gläubige haben sein Sterben mit großer Anteilnahme begleitet, auch die Medien waren rund um die Uhr dabei. Immer wieder gab es Unterbrechungen laufender Sendungen und Live-Schaltungen nach Rom mit der bangen Frage: „Lebt er noch, oder ist er …?“ Viele Reporter hatten Scheu, das Wort „tot“ in den Mund zu nehmen, solange der Tod des Papstes noch nicht offiziell feststand. Das ist durchaus verständlich, man wollte ja nichts beschreien. Also warteten die Reporter gespannt auf die Verkündung, auf die amtliche Bekanntmachung. Einige warteten auch auf die „Verkündigung“. So nennt man – vor allem im theologischen Zusammenhang – eine feierliche Bekanntmachung – wie zum Beispiel die Verkündigung der Auferstehung Christi.

Kaum war der Papst tot, war die Scheu vor dem t-Wort wie weggeblasen, und „tot“ war in aller Munde. Nun wurde der Papst sogar für jene Zeit zum Toten erklärt, in der er noch quicklebendig war. Ein Redakteur erinnerte sich an die „vielen Länder, die der tote Papst bereist hat“. Doch ein toter Papst reist höchstens im Sarg. Die nachgereichte Korrektur „die der tote Papst zu Lebzeiten bereist hat“ machte es nicht besser. Der Papst hat gelebt, aber „der tote Papst“ ist nur eines: tot. Auf der Internetseite newsroom.de war der Papst allerdings fünf Stunden lang „tod“, bevor er endlich „tot“ sein durfte. Dafür war er zuvor auch von anderen immer wieder als „totkrank“ geschildert worden – wiewohl „todkrank“ zweifellos zutreffender gewesen wäre (Siehe Tabelle am Ende dieses Kapitels). Ein Blick in den Duden kann sich selbst im Angesichte des Todes noch als nützlich erweisen. Zumindest sollte man nicht davor zurückschrecken, wenn man über den Tod eines Menschen schreibt. Auch ein prüfender Blick auf nebeneinander gestellte Begriffe kann nicht schaden. In den letzten Tagen vor seinem Tod wurde der Papst häufig als „stark geschwächt“ beschrieben. Ein unfreiwillig komisches Paradoxon, wenn man’s genau nimmt. Demnach wäre jemand, dem es nach schwerer Krankheit wieder etwas besser geht, „schwach gestärkt“.

Prompt las man von „Pilgerern“, die zu Tausenden nach Rom strömten, um von Papst Johannes Paul II. Abschied zu nehmen. Ein Fehler, der übrigens immer wieder auftaucht und selbst renommierten Tageszeitungen unterläuft, wie die folgenden Beispiele zeigen:

„Mit Heiligenschein und segnend ausgebreiteten Armen steht er auf einer Weltkugel und begrüßt die Pilgerer.“ („Die Welt“, 6.12.2003)

„Auch Altbischof Hubert Luthe, der Begründer dieser Tradition, ließ es sich nicht nehmen, die Pilgerer zu begleiten.“ („WAZ“, 10.4.2004)

„Aus dem Bub in der Kapelle wird ein Paris-Pilgerer, ein unermüdlicher Reisender in der Weltliteratur.“ („Süddeutsche Zeitung“, 16.4.2004)

Es heißt „die Wanderer“, aber nicht „die Pilgerer“. Ein schlichtes „Pilger“ genügt uns, sowohl im Singular als auch im Plural. Allein die weibliche Form hat – wie so oft – eine Silbe mehr und lautet „Pilgerin“. Wie die Pilger, so führen auch die Gläubigen in die sprachliche Verwirrung. Ein Radioreporter berichtete, „dass Zehntausende Gläubiger auf dem Petersplatz zusammengekommen sind“. Das ist zwar nicht falsch, aber missverständlich, denn im Genitiv fallen die Gläubigen mit den Gläubigern zusammen, und wer nicht rechtzeitig schaltete, konnte glauben, der Papst sei hoch verschuldet gestorben. Der Duden empfiehlt in diesem Fall, auf eine Konstruktion mit „von“ auszuweichen: „Zehntausende von Gläubigen“.

Sie kämen, um dem Papst „die letzte Referenz zu erweisen“, sagte ein Sprecher des Fernsehsenders Phoenix. Er meinte aber bestimmt nicht die Empfehlung, sondern die Ehrerbietung. Die schreibt sich „Reverenz“ und wird mit weichem W-Laut in der Mitte gesprochen.

„Alle wollen dem Papst kondolieren“, verkündete das Internetportal GMX in seiner Nachrichtenspalte. Kondolieren kann man aber schwerlich einem Toten. Das Wort „kondolieren“ geht auf die lateinischen Wörter „con“ (= mit) und „dolor“ (= Schmerz, Leid) zurück. Kondolieren bedeutet also „mit jemandem leiden, den Schmerz mit jemandem teilen“. Man kondoliert in der Regel den Hinterbliebenen: der Witwe oder dem Witwer, den Kindern, den Angehörigen. Dem Verstorbenen selbst aber „erweist man die letzte Ehre“.

Nicht nur „kondolieren“ hat es in sich, auch das Wort „Konklave“ macht vielen zu schaffen. Die Kardinalsversammlung, die zur Wahl eines neuen Papstes zusammentritt, wird das Konklave genannt. Nicht etwa die Konklave, und auch nicht der Konklave. Es mag zwar die Enklave und die Exklave heißen, aber das Wort „Konklave“ ist sächlich. Was sich reimt oder ähnlich auslautet, muss nicht unbedingt gleichen Geschlechts sein. Zwar gehen Exklave und Konklave auf dasselbe lateinische Wort (clavis = Schlüssel) zurück, doch haben sie sich, zumindest hinsichtlich ihres Geschlechtes, unterschiedlich entwickelt.

An anderer Stelle war zu lesen, die Gläubigen würden in kilometerlangen Schlangen vor dem Petersdom ausharren, „in dem der Leichnam des Papstes aufbewahrt ist“. Nun ja, für die Tage bis zur Beisetzung mag das Verb „aufbewahren“ zutreffend sein, obwohl dann doch „verwahren“ vorzuziehen wäre, denn „aufbewahren“ klingt allzu dinglich. Briefe kann man aufbewahren oder einen Gutschein, aber einen Leichnam? Im tiefsten Inneren seines Herzens wollte uns der Schreiber sicherlich etwas anderes mitteilen. Er wollte von der Aufbahrung berichten, nicht von der Aufbewahrung.

Ein herausragendes Beispiel mangelnder Pietät lieferte die „Bild“-Zeitung am 5. April. „Wer kriegt das Herz vom toten Papst?“, fragte sie sich laut auf der Titelseite. Das ist nicht nur geschmacklos in der Aussage, sondern auch noch grammatisch unsauber: Vom Papst hat man, solange er noch lebte, einen Eindruck „kriegen“ (besser: erhalten oder bekommen) können, vielleicht auch die Vergebung der Sünden, einen gut gemeinten Ratschlag oder einfach einen Händedruck. Dass aber ein Papst, noch dazu ein toter, Herzen unters Volk geworfen hätte, ist in keiner noch so wüsten Sage überliefert. Befürchtete man bei der „Bild“-Zeitung, mit der grammatisch korrekten Formulierung „das Herz des toten Papstes“ die Leser womöglich zu überfordern? Leider ist dies kein Einzelfall, der sich auf den Boulevard beschränkt. Gerade im Angesicht „vom Tod von Papst Johannes Paul II.“ muss der Genitivus possessivus, der besitzanzeigende Wes-Fall, in fast allen Nachrichtenmedien ums Überleben kämpfen.

Johannes Paul II. ist tot. Doch er hat Spuren hinterlassen. Ob nun als Papst oder als Pabst. Möge er in Frieden ruhen.

 
„Tod“ und „tot“ in Zusammensetzungen
als Adjektiv als Verb
mundtot totarbeiten
todblass, totenblass totkriegen
todbringend totlachen
todlangweilig totlaufen
tödlich totsagen
todmüde totschießen
todkrank totschlagen
todtraurig totschweigen
todunglücklich totstellen (auch: tot stellen)
tot tottrampeln
totgeboren (auch: tot geboren) tottreten

 

(c) Bastian Sick 2005

 


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2“ erschienen.

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