Mittwoch, 27. März 2024

Es macht immer Tuut-Tuut!

Manches tut weh, anderes tut gut, dieses tut Not, und jenes tut tut. Autos zum Beispiel, und Schlepper im Hafen. Und meine Tante Olga. Die macht auch immer tut. Sie tut zum Beispiel gern verreisen. Die meisten täten das sicherlich anders sagen. Aber einige können vom Tun einfach nicht lassen.

Hamburg tut gut! Und U-Bahn-Fahren tut Not! Vor allem, weil Henry seit Wochen ohne Führerschein ist. Er kann ihn einfach nicht finden, sagt er. So fahren wir also mit der Bahn zum Stadion. An den Landungsbrücken steigt ein älteres Ehepaar mit einem kleinen Jungen zu: zwei Rentner, die mit ihrem Enkel eine Hafenrundfahrt gemacht haben. Der Junge hat ein Bilderbuch dabei, auf dessen Vorderseite eine quirlige Hafenszene mit vielen Schiffen und Kränen zu erkennen ist. „Die Abenteuer des kleinen Schleppers Tuut-Tuut“ lautet der Titel. Immer wieder streckt der Kleine seiner Großmutter das Buch entgegen. Doch die winkt ab und sagt: „Oma tut dir nachher vorlesen, wenn wir zuhause sind!“ Im nächsten Moment schaut der Kleine aus dem Fenster und ruft begeistert: „Da, da, ein Schiff!“ – „Das ist die Cap San Diego“, erklärt Oma, „ein alter Bananenfrachter. Der tut aber schon lange nicht mehr fahren.“ – „Tut, tut!“, ruft der Kleine. „Ja“, sagt die Oma, „früher hat das Schiff auch getutet. Heute ist es ein Museum. Wenn du größer bist, tut der Opa das mal mit dir besichtigen!“ Der Kleine strahlt und ruft wieder: „Tut, tut!“ Die Oma lächelt glücklich zurück. Ich stoße Henry sanft in die Seite und sage: „Sag mal, erinnerst du dich noch an das Lied ,Mein Tuut-Tuut, es macht immer Tuut-Tuut‘ von der Gruppe Leinemann?“ Henry sieht mich an: „Das hatte ich erfolgreich verdrängt! Und nun kommst du, und schon tut sich wieder ein kultureller Abgrund auf! Schäm dich!“ Ich versuche, mich ein bisschen zu schämen, kann aber nichts mehr daran ändern, dass uns „Mein Tuut-Tuut“ für den Rest des Tages nicht mehr aus dem Kopf geht.

Vielen anderen Menschen geht es nicht aus der Grammatik – so wie der Oma in der U-Bahn. Und meiner Tante Olga. Die „tut“ hin und wieder gern ins Theater gehen, aber nur „wenn’s was Leichtes geben tut“.Das kleine Verb „tun“ ist eines der faszinierendsten Verben überhaupt. Was täten wir nur, wenn es „tun“ nicht geben täte! „Tun“, das früher einmal „tuen“ geschrieben wurde, weshalb man heute noch neben der üblichen Form „ich tu“ auch „ich tue“ schreiben darf, erfüllt in unserer Sprache viele verschiedene Aufgaben:

Mal bedeutet es dasselbe wie „machen“

„Das kannst du auch alleine tun“
„Tut mehr für eure Gesundheit!“

mal steht es für „zufügen“

„Der tut nichts, der will bloß spielen“
„Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu“

dann wieder für „platzieren“, „unterbringen“ oder „hinzufügen“

„Du musst mehr Salz in die Suppe tun“
„Ich weiß nicht, wo ich das hintun soll“

sodann für „sich verhalten“ oder „ein bestimmtes Verhalten vortäuschen“

„Nun tu doch nicht so!“
„Er tat, als ob er schlief“

Und schließlich kann „tun“ auch „geschehen“ bedeuten:

„Was tut sich bei dir so?“
„Hier tut sich einiges.“

Und wer viel „zu tun hat“, der hat jede Menge Arbeit.

Wenn man die englische Begrüßungsformel „How do you do?“ Wort für Wort übersetzt, kommt „Wie tun Sie tun?“ dabei heraus. Die Verwandtschaft zwischen unserem „tun“ und dem englischen „to do“ ist unbestreitbar. Im Englischen dient „do“ vor allem als Hilfsverb bei der Verneinung (I don’t understand) und bei der Fragestellung (Do you love me?). Außerdem wird es zur Betonung gebraucht (Yes, I do like broccoli = Doch, ich mag Brokkoli!) und bei der Antwort auf Ja/Nein-Fragen: „Do you know him?“ – „No, I don’t“; „Do you love me?“ – „Yes, honey, I do“. Es ist dem sicheren Sprachgefühl des Textdichters Michael Kunze zu verdanken, dass der Abba-Titel „I do, I do, I do, I do, I do“ in der deutschen Version von „Mamma Mia“ mit fünfmaligem „Ich will“ wiedergegeben wurde – und nicht mit „Ich tu, ich tu, ich tu, ich tu, ich tu“. Das hätte dem Musical nicht gutgetan.

Im Rheinischen passt „tun“ fast immer. Es hat dort gewissermaßen die Funktion des Universalverbs übernommen. Je nach Situation kann es auch „kaufen“, „spendieren“, „servieren“, „einpacken“ und „zapfen“ bedeuten: „Tust du uns bitte noch zwei Kölsch?“

Auf einem Kölner Wochenmarkt bittet ein kleines Mädchen seine Mutter um ein Eis: „Mama, tust du mich ein Eis?“ Die Mutter blickt ihre Tochter streng an und sagt: „Wie heißt das richtig, Gina-Marie?“ Das Kind ruft: „Tust du mich BITTE ein Eis!“ Die Mutter nickt zufrieden: „So ist’s recht!“ und erfüllt ihrem Töchterchen den Wunsch. Nicht weit davon entfernt hört man auf einem Fußballplatz die Spieler rufen: „Tu mich mal die Ball!“

Die Verwendung des Wortes „tun“ als Hilfsverb ist in bestimmten Fällen zulässig; zum Beispiel, um das eigentliche Verb zu betonen: „Rauchen tu ich schon lange nicht mehr“, „Sterben tut jeder irgendwann einmal.“ In diesen Fällen wird das Verb in seiner Grundform an den Satzanfang gestellt, beugen tut sich dann dafür das Verb „tun“.

Auch bei der Umgehung des Konjunktivs erweist sich „tun“ als praktisch: „Ich tät dir ja helfen“, „Das tät dir so passen!“, „Wir täten gern noch was essen.“ Statt „ich würde“ also „ich tät“. Vor allem in süddeutschen Dialekten wird diese Hilfskonstruktion gepflegt. So sagt man im Schwäbischen zum Beispiel: „I dät gärn a Eis schlotza!“ („Ich würde gern ein Eis schlecken!“)

Wenn aber nichts betont und kein Konjunktiv umschrieben werden soll und „tun“ dennoch als Hilfsverb verwendet wird, dann haben wir es mit einem umgangssprachlichen Phänomen zu tun: „Ich tu ja von Beeren am liebsten Gelee machen“, „Was tust du auch immer so spät noch Musik hören!“, „Und wo tut ihr nächstes Jahr Urlaub machen?“ Diese Masche hat zugegebenermaßen einen Vorteil: Man braucht sich nur noch die Konjugationsformen eines einzigen Verbs zu merken, nämlich die von „tun“ (ich tu, du tust, er tut usw.), und spart sich das Kopfzerbrechen beispielsweise darüber, ob es nun „Der Bäcker buk das Brot“ oder „Der Bäcker backte das Brot“ heißen muss. Man tut ganz einfach sagen: „Der Bäcker tat das Brot backen“, und damit ist es dann getan.

Die Neigung zur Simplifizierung der Grammatik manifestiert sich hier erstaunlicherweise nicht im Lassen, sondern im Tun. Genauer gesagt in der unsachgemäßen Verwendung des Wortes „tun“ als Hilfsverb, ein in Deutschland zwar weit verbreiteter, aber nicht gerade eleganter Vorgang. Die Deutschen lieben die Tuterei und das Täterä, das war schon immer so, und wer eben gern so sprechen tut, der möge es in Gottes Namen tun, ich tät es zwar anders machen, aber das tut hier nichts zur Sache.

Das Spiel endet in einer schmerzlichen Niederlage. Wir wollen so schnell wie möglich nach Hause und teilen uns ein Taxi. Der Fahrer ist schlecht gelaunt, flucht an jeder roten Ampel und drückt ständig auf die Hupe: „Tut der Kerl pennen, oder was?“, schimpft er laut. Und: „Ich fass es ja wohl nicht, jetzt tut der auch noch falsch abbiegen!“ Ich drehe mich zu Henry und fange leise an zu singen: „Es macht immer Tuut-Tuut“. Henry blickt mich finster an: „Tu mir einen Gefallen und halt den Mund!“ – „Okay, schon gut“, sage ich, „ich tu einfach so, als tät ich gar nichts tun!“

(c) Bastian Sick 2006 / ILLUSTRATION: „Hamburger Hafen mit Dampfer und Schleppern“ (1910), Ölgemälde von Willy Tiedjen (1881 – 1950)


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 3“ erschienen.

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9 Kommentare

  1. Gefällt mir!

  2. Gerhard Hergesell

    Da fällt mir eine Parodie auf Peter Maffay ein (ich weiß nicht mehr genau, von wem, evtl. Ingolf Lück oder Jürgen von der Lippe):
    „Ich singe jetzt das Lied von der Tute:
    Wozu ist die Tute gut, dafür, dass sie tuten tut.“

    • Aber das ist doch eigentlich nur logisch!
      Denn täte die Tute nicht tuten, also tutete sie nicht, dann täte es ja auch keine Tute sein. Vielleicht eine Tüte oder so, wobei ja wiederum eine Tüte nicht tütet – irgendwie paradox …

  3. HÜBSCH! Schreiben Sie doch mal was über Nebensätze mit „weil“, die neuerdings immer so gebildet werden: „weil ich habe Bauschmerzen.“
    Mich tut das schwer nerven!

    • Danke! Ihr Wunsch wurde bereits erfüllt: In meinem Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod – Folge 2“ befindet sich eine Geschichte mit dem Titel „Weil das ist ein Nebensatz“. Dieser 2. Band aus der „Dativ“-Reihe ist 2005 erschienen und selbstverständlich immer noch im Handel erhältlich.

  4. Michael Wienecke

    Hallo Herr Sick,

    köstlicher Beitrag!

    Ich meine, die Beobachtung gemacht zu haben, dass, zumindest hier im Hessischen/Rheinhessischen, „tun“ als Hilfsverb besonders bei trennbaren Verben benutzt wird. „Tu mal anfangen“, oder „Tu nicht weglaufen!“

    Außerdem bleibt der Hnweis, dass dieses Phänomen es inzwischen in die Bestseller-Liste geschafft hat: „SCHANTALL, TU MA DIE
    OMMA WINKEN!“ von Kai Twilfer

    Beste Grüße

    Michael Wienecke

  5. Verehrter Bastian! Sie tun hier so, als täte unser „tun“ der deutschen Sprache nichts tun. Tut es aber doch! Sie tun das alles viel zu unernst darstellen, was manche nicht nur ärgern tut, sondern auch vielen Schülern nicht gut tun tut. Die sollten doch tunlichst dazu tun, dass ihre eigene Ausdrucksweise in Wort und Schrift immer gut aussehen tut, die Lehrer erfreuen tut und das täte doch viel besser ankommen, als es manch anderer Krampf tut. Es täte ja nichts schaden, wenn man hier mehr aufpassen täte. Die Frage ist doch auch, warum tun wir immer schlampiger reden?
    Wenn der Engländer am Fahrkartenschalter „Two twos to Toulouse“ bestellt, dann tun wir doch nur lachen, oder?
    Na ja, tun Sie’s vergessen ….

    Lutz Hessen
    (Täter)

    PS: Folge 5 vom Genitiv sein Tod tut mir super gefallen. Tät ich allen empfehlen!

  6. Ist die richtige Konjugation in der 1. Person nicht „ich tue“? Ich habe Deutsch als Fremdsprache studiert und jahrelang unterrichtet. Wenn man die Endung vom Infinitiv sprich: „n oder en“ entfernt und die dazugehörige Endung fürs Pronomen hinzufügt, dann hätte man doch „ich tue“.

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