Mittwoch, 27. März 2024

Licht am Ende des sturmverhangenen Horizonts

Redewendungen sind das Salz in der Buchstabensuppe, in der Journalisten Tag für Tag herumrühren. Mit bildhaften Vergleichen und lockeren Sprüchen lassen sich selbst staubtrockene Sachverhalte noch würzen und dem Leser schmackhaft machen. Im Überschwang passiert es bisweilen, dass der Salzstreuer in den Kochtopf fällt.

Vom „Licht am Ende des sturmverhangenen Horizonts“ schrieb mal ein junger Redakteur eines Hamburger Stadtmagazins in einem Text, ohne zu ahnen, was er sich damit einhandelte. Denn seine Schöpfung wurde zum geflügelten Wort in der Redaktion und immer gern zitiert, wenn es galt, ein Beispiel für außer Kontrolle geratene Idiome zu nennen. Heute hat der Kollege neben dem Duden Band 11 („Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten“) auch Georg Büchmanns klassischen Zitatenschatz auf dem Schreibtisch stehen und schaut lieber erst mal nach, ehe er sich erneut zu sturmverhangenen Horizonten aufmacht.

Aber nicht nur bei Jungredakteuren, auch bei erfahrenen Journalisten kommt es bisweilen vor, dass die Metaphorik-Dampflok übermütig wird und plötzlich aus den Gleisen hüpft. „Geschickt fährt er zurzeit zweigleisig auf der Medienschiene“, stand in einem renommierten Online-Magazin über Gerhard Schröder zu lesen. Dem Kanzler ist ja manches zuzutrauen, aber dass er auf einer Schiene zweigleisig fährt – das soll er den Bahnfahrern dieser Republik erst mal vormachen!

Redewendungen sind populär, doch auch tückisch. Wie Sirenen säuseln sie dem nach Worten Ringenden ins Ohr, locken ihn an, um sein Boot im nächsten Moment am Felsen von Kalau zerschellen zu lassen. Die Gefahr, mit ihnen Schiffbruch zu erleiden, ist umso größer, je weiter sich die ursprüngliche Bedeutung eines geflügelten Wortes im Nebel der Sprachgeschichte verliert.

So ist zum Beispiel kaum noch bekannt, woher der Ausdruck „jemanden am Schlafittchen packen“ stammt. Es hat jedenfalls nichts mit „Schneewittchen“ zu tun, wie man auf Grund einer Sportmeldung von letzter Woche fast glauben wollte, in welcher ein Trainer aufs Spielfeld stürmte und „den Nachwuchskicker am Schlawittchen“ packte. Das Schlafittchen kommt von den Schlagfittichen, den Schwungfedern des Vogels.

„Die von dir benutzte Redewendung etwas aufs Tablett bringen gibt es nicht“, musste sich im letzten Jahr ein gestandener Kollege enttäuschen lassen, der sich gerade sehr wortgewaltig und kompetent über die Bonner Afghanistan-Konferenz ausgelassen hatte. „Sicherlich meintest du etwas aufs Tapet bringen.Tapet ist Französisch und bezeichnet den Stoffüberzug eines Konferenztisches.“ Das kommt davon, wenn bei heutigen Runden Tischen am Stoff gespart wird. Ersatzweise heißt es daher auch schon mal etwas aufs Trapez bringen – schwungvoll wird die Diplomatie zur akrobatischen Übung umgedeutet.

Ob dieser Aufklärung bedankte sich der Betroffene höflich und lieferte eine Woche später in einem anderen Text die vermeintliche Erklärung dafür, „dass Lafontaine wieder Oberwasser wittert“. Man darf davon ausgehen, dass „Oberwasser“ im Allgemeinen geruchlos ist, folglich gibt es auch nicht viel zu wittern. Es sei denn, man vermutete Lafontaine in der Kanalisation. Tatsächlich lautet die Redewendung „Oberwasser bekommen/kriegen“. Wittern tut man (bei Shakespeare) die berühmte Morgenluft. Und auch die wird meistens falsch gedeutet, nämlich als Chance für ein Comeback, dabei bedeutet sie im „Hamlet“ genau das Gegenteil, nämlich dass es höchste Zeit ist zu verschwinden.

Der Irrungen, Verwechslungen und Entgleisungen gibt es unzählige, die Suche danach ist die Suche nach dem buchstäblichen Balken im Heuhaufen, und der Kampf dagegen ein Kampf gegen Windkrafträder.

 (c) Bastian Sick 2003


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.

 

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