Freitag, 4. Oktober 2024

Verwirrender Vonitiv

Grammatik ist nicht jedermanns Sache, das Deklinieren schon gar nicht. Darum wird ein Fall immer beliebter: der Vonitiv. Der Name sagt Ihnen nichts? Sie kennen ihn bestimmt! Der Vonitiv ist der Tod von dem Genitiv.

Solche Schlagzeilen können einem den ganzen Tag verderben:

Das ist doch wirklich nicht zu fassen: Die Jugend wird wirklich immer brutaler! Vier Kinder rotten sich zusammen und erschlagen eine Mutter. Was um alles in der Welt hat sie nur dazu getrieben? Wessen Mutter war diese Mutter überhaupt? Und was geschieht mit den vier Mörder-Kids? Fragen über Fragen.
Fragen, die man sich nicht zu stellen brauchte, wenn die Schlagzeile anders lautete, zum Beispiel: „Mutter vierer Kinder erschlagen“. Das setzte beim Verfasser der Zeile allerdings Kenntnisse über den Gebrauch des Genitivs voraus.

Schon folgt der nächste Schock: „Außenminister von Japan ausgeladen“. Wie denn, wo denn, was denn, welcher Außenminister? Doch nicht etwa unser Bundesaußenminister? Die japanische Regierung hat unseren Außenminister ausgeladen? Was haben wir denn falsch gemacht? Waren wir nicht nett genug zu den Japanern? Liegt es daran, dass wir uns immer noch weigern, Walfleisch zu essen? Erst beim Lesen der Unterzeile erfährt man, dass es der japanische Außenminister ist, der ausgeladen worden ist, und zwar von der chinesischen Regierung. Darauf hätte man natürlich auch gleich kommen können, wenn dort gestanden hätte: „Japans Außenminister ausgeladen“ oder „Japanischer Außenminister ausgeladen“.

Grundsätzlich ist gegen die Umschreibung des Genitivs mithilfe des Wörtchens „von“ nichts einzuwenden. Unsere praktisch veranlagten Nachbarn, die Niederländer, haben den Genitiv schon vor Jahrhunderten abgeschafft, was dazu führte, dass „van“ zum berühmtesten Wort der niederländischen Sprache geworden ist, gleich nach „kaas“ und noch vor „strottehoofdontsteking“
(Kehlkopfentzündung).

Doch Umschreibungen mit „von“ können zu Missverständnissen führen. So wie in diesem Beispiel vom November 2005: „Zwei Minenräumer von Schweizer Organisation im Sudan getötet“. Nicht genug damit, dass sich die Sudanesen untereinander bekriegen, nun machen auch noch Schweizer Organisationen das Land unsicher und jagen tapfere Minenräumer in die Luft! Ausgerechnet die Schweizer: Erfinder der Neutralität und des Roten Kreuzes – von denen hätte man so etwas am wenigsten erwartet.

Nicht weniger irritierend war jene Meldung vom Mai 2005, in der es hieß: „In Pakistan ist ein ranghohes Mitglied der Al Qaida von Osama Bin Ladin gefaßt worden.“ So mancher Leser dürfte sich gefragt haben, ob Osama Bin Ladin die Seiten gewechselt habe und jetzt Jagd auf seine ehemaligen Verbündeten mache.

Bevor man sich für eine Konstruktion mit „von“ entscheidet, sollte man sich vergewissern, dass sie nicht falsch interpretiert werden kann. Das Wort „von“ stellt eine Beziehung zwischen zwei Wörtern her, aber nicht immer ist von vornherein klar, wie diese Beziehung aussieht. Und kompliziert – da doppeldeutig – wird es schnell, wenn ein Perfektpartizip ins Spiel kommt. Nehmen wir nur mal die Überschrift „Mörder von Susanne verurteilt“. Die wirft doch ein recht seltsames Licht auf unseren Rechtsstaat. Wenigstens aber auf die Methoden der Presse. Selbst wenn bei diesem Mordprozess alles mit rechten Dingen zuging, so ist es doch unüblich, die Richterin nur mit ihrem Vornamen zu nennen. Die Feststellung, dass in Deutschland „immer weniger Autos von Polen gestohlen“ werden, ist hingegen beruhigend – vor allem für die Polen, die nicht mehr um ihre Autos fürchten müssen, wenn sie die Grenze nach Deutschland überqueren.

An der Formulierung „Wenn ich König von Deutschland wär“ ist nichts auszusetzen, es muss nicht „Wenn ich Deutschlands König wär“ heißen. Zumal die grammatische und inhaltliche Beziehung zwischen Deutschland und König unmissverständlich ist. Aber bei der Frage „Wurde Entführung von Patrick in Italien geplant?“ ist der Zusammenhang zwischen der Entführung und Patrick alles andere als eindeutig. Eindeutig wäre er im Falle von „Patricks Entführung“ – im Falle des zweiten Falles also. Vielen mag der Genitiv heute altmodisch und gespreizt erscheinen. Er hat aber einen Vorzug, den man ihm nicht so leicht absprechen kann: Er sorgt für Klarheit und Unmissverständlichkeit. Ein weiteres mehrdeutiges Fundstück: „Bis heute ist noch niemand für die Ermordung von Präsident Ndadaye zur Verantwortung gezogen worden.“ – Kein Wunder, wie soll der Präsident jemanden zur Verantwortung ziehen können, wenn er doch gar nicht mehr lebt?

Große Freude schließlich beim Lesen der letzten Schlagzeile des Tages: „Käfighaltung von Hühnern verboten“. Da haben die fleißigen Eierlegerinnen und Körnerpickerinnen ihr Schicksal offenbar selbst in die Hand genommen und mutig ein Käfigverbot erlassen. George Orwells „Farm der Tiere“ lässt grüßen. Heute würde man wohl sagen: „Die Farm von den Tieren“.

(c) Bastian Sick 2006


Bildersammlung: Weitere Beispiele für den verwirrenden Vonitiv


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 3“ erschienen.

Lesen Sie auch:

Das Wunder des Genderns

Kein sprachliches Thema hat die Gemüter in den letzten Jahren so sehr bewegt und erhitzt …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert