Samstag, 26. Oktober 2024

Warum ein Mund-Nase-Schutz nicht ausreichend ist

Eine Leserin wollte kürzlich von mir wissen, wieso es »Mund-Nasen-Schutz« heiße. Jeder Mensch habe doch nur eine Nase. Müsse es daher nicht eigentlich »Mund-Nase-Schutz« heißen?

Eine interessante Frage, die mir nicht zum ersten Mal gestellt wurde. So wurde ich früher schon von einem anderen Leser gefragt, warum der HNO-Arzt eigentlich »Hals-Nasen-Ohren-Arzt« genannt werde. Bei Ohren sei der Plural klar, denn davon habe jeder Mensch zwei. Aber Nasen doch nur eine. Sei daher nicht die Bezeichnung »Hals-Nase-Ohren-Arzt« zutreffender? Und wenn man schon alles in den Plural setze, warum dann nicht auch den Hals? Ein »Hälse-Nasen-Ohren-Arzt« klingt natürlich drollig, doch in Wahrheit geht es gar nicht um Einzahl oder Mehrzahl, sondern um die Regeln der Zusammensetzung. 

Für die Grammatik spielt es nämlich keine Rolle, wie viele Nasen der Arzt vor sich hat. Er ist ein Spezialist für den Hals, die Nase und die Ohren, und das wird in der Zusammensetzung zum »Hals-Nasen-Ohren-Arzt«, weil zweisilbige Hauptwörter, die auf ein unbetontes »e« enden, bei Zusammensetzungen immer ein »n« erhalten. 

Das sieht man zum Beispiel bei der Mühle, die in Zusammensetzungen immer zu »Mühlen-« wird, ob nun beim Mühlenflügel, beim Mühlenbach oder beim Mühlendamm. Und es dreht sich dabei immer nur um eine Mühle, eine Mehrzahl wird durch das »n« also nicht ausgedrückt. 

Ein anderes Beispiel liefert die Sonne. In unserem System gibt es nur eine Sonne, daher kann bei Zusammensetzungen wie Sonnenlicht und Sonnenschein nicht von mehreren Sonnen die Rede sein. Gerade deshalb behauptete mal ein Leser, dass es eigentlich doch »Sonnebrille« und »Sonneschirm« heißen müssen, da man sich auf der Erde doch nicht gegen mehren Sonnen bebrillen und beschirmen müsse. Und streng genommen sei unser System auch kein Sonnensystem, sondern nur ein Sonnesystem. 

Doch auch hier lautet die Erklärung: Es hat nichts mit Einzahl oder Mehrzahl zu tun, sondern mit den Regeln der Zusammensetzung, und die Sonne erhält genau wie die Mühle und die Nase bei Zusammensetzungen ein »n«, weil (fast) alle zweisilbigen Hauptwörter, die auf auf ein unbetontes »-e« enden, ein solches »n« bekommen. Man nennt es auch ein Fugen-n, so wie es bei anderen Wörtern ein Fugen-s gibt: Aus »Arbeit« und »Platz« wird der »Arbeitsplatz«, aus »Regierung« und »Chef« wird »Regierungschef«. Es geht der Grammatik also nur darum, eine Fuge zu füllen, damit man’s besser sprechen kann. So wird das Fest der Freude zum »Freudenfest« und der Becher für die Asche zum »Aschenbecher«, auch wenn man das »n« nicht überall mitspricht und ein Hesse vielleicht nur »Aschebäscha« sagt. Freilich gibt es Ausnahmen, wie die Wörter »Säge« und »Ehe«, die bei Zusammensetzungen kein Fugenzeichen bekommen. Das Sägebrett ist kein Sägenbrett und das Ehebett kein Ehenbett. Auch nicht nach der zweiten oder dritten Hochzeit. 

In Köln habe ich mal mal ein Graffito gesehen, das mich zum Lachen brachte. Dort stand: » … geht ’n Zyklop zum Augearzt.« Klar, der Zyklop hat nur ein Auge, und dennoch gelten für ihn dieselben grammatischen Regeln wie für alle anderen, sodass auch er nur zum Augenarzt gehen kann.

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10 Kommentare

  1. Heißt Sägemehl vielleicht deshalb Sägemehl, weil es von dem Verb sägen abgeleitet ist und nicht von dem Substantiv Säge?

    • Käme es vom Verb, würde man aber nur den Verbstamm nehmen. So wie beim »Trinkbecher« (von trink-en) und beim »Gehsteig« (von geh-en) und beim »Singspiel« (von sing-en). Nach dieser Logik müsste es Sägmehl heißen.

      • Felix-Bastian Sprung

        Ich glaube eher Arnds Verb-Annahme als Ihrer Behauptung „spricht sich nicht gut“.
        Denn mit dem Bestimmungswort „Säge-“ gibt es Dutzende Komposita ohne Fugen-n von „Sägeautomat“ bis „Sägezahn“, aber nur wenige mit Fugen-n; ich fand diese sechs: Sägenbanksia, Sägenegreniermaschine, Sägengewinde (neben Sägegewinde), Sägengin, Sägensatz, Sägenschraubstock.
        Und wir sagen nicht:
        Badmantel, Gurrlieder, Hebbühne, Haltschlaufe, Hüthund, Klebband, Klagmauer, Kosform, Lebmann, Leghenne, Möchtgern, Nagtier, Pustkuchen, Redbeitrag, Sühnzeichen, Taugnichts, Wagmut, Zeigstock – sondern eben Bademantel usw.
        In der Tat finden sich daneben viele Komposita mit einsilbigen Bestimmungswörtern aus Verben.
        Man hüte sich vor dem Erfinden von Regeln, wo es keine gibt, sondern einfach ein Nebeneinander. Einst sagte mein Ausbildungsunteroffizier: „Es heißt ‚Essenmarke‘ und nicht ‚Essensmarke‘! Schließlich sagt ihr ja auch nicht ‚Spiegelseier‘ und ‚Puffsmutter‘.“

  2. Die Sache mit dem Fugen-s bei Zusammensetzungen mit „Arbeit-“ ist allerdings nicht so eindeutig, oder? Da gibt es ja auch die Gegenbeispiele „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“.
    Wissen Sie, woher das kommt?

    • Eine interessante Frage, liebe Frau Lehmann. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind auf jeden Fall Wortschöpfungen der jüngeren Zeit, und möglicherweise wurden sie von Juristen geprägt, die gern das Fugen-s weglassen wie bei der Einkommenssteuer und dem Schadensersatz, die im Juristendeutsch »Einkommensteuer« und »Schadenersatz« heißen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind jedenfalls die einzigen Zusammensetzungen mit Arbeit-, die ohne Fugen-S auskommen. Der Arbeitsvermittler und der Arbeitslose haben wiederum ein Fugen-s.

      • Hallo Herr Sick,
        Sie schrieben, dass Juristen gern das Fugen-s weglassen. Das ist wohl so. Aber mitunter fügen sie auch eines ein. Haben nicht auch Sie mal in einem anwaltlich verfassten Text von einer „Terminsankündigung“ (hier zurecht von der Rechtschreibprüfung bemängelt) statt „Terminankündigung“ gelesen? M. E. ist das völlig verquer, aber jede „Fakultät“ hat wohl so ihre sprachlichen Eigenheiten.
        Beste Grüße
        Rolf-J. Koll

      • Bin Jurist und halte mich ans BGB, das den Schadensersatz kennt.

  3. Das Fugen-s wird oft mit dem Genitiv verwechselt, z.B. beim Wort Ganztagsschule; viele sagen (falsch) GanztagEsschule, wobei sie unterschwellig wohl der Ansicht sind, es handele sich um einen Genitiv, der wahlweise mit oder ohne e gebildet werden kann.

  4. Lieber Herr Sick!

    Das Juristendeutsch ist in der Tat mitunter seltsam. Zu Ihren zwei Beispielen möchte ich anmerken:

    1. Es geht bei jener Steuerart um die Besteuerung aller möglichen Arten von Einkommen; also zum Beispiel die eines Steuerpflichtigen aus selbständiger Arbeit, unselbständiger Arbeit, Vermietung und Verpachtung. Es geht um die Besteuerung der Einkommen (Mehrzahl) und nicht des Einkommens.

    2. Ansonsten steht das Fugen-s bei vielen Juristen wohl eher zur beliebigen Verfügung. Dies gilt aber auch für die „Rechtschreibungsprüfung“. Oftmals erinnert mich diese an das Zufallsprinzip.

    Viele Grüße

    Jörg Hufer

  5. Warum „Speisekarte“?

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