Beim Frühstück haben wir heute Glück: Auf Anhieb finden wir einen freien Tisch, und das auch noch draußen in der Sonne! Kein Rumstehen und Warten, keine Drängelei am Büfett. Das liegt daran, dass heute ein sogenannter Seetag ist und der Frühstückssalon eine halbe Stunde länger geöffnet hat. Dadurch entzerrt sich alles. Von mir aus sollte man das immer so handhaben, auch an den Landtagen.
Auf dem Bordprogramm stehen heute ein Vortrag über Hamburg und Gruppenaktivitäten wie Pilates, Aquafit und Bingo. Mein Bedarf an Gruppenaktivitäten ist in der Regel schon mit Fahrstuhlfahren gedeckt. Also beschließe ich, lieber ganz individuell einen Besuch beim Schiffsarzt zu machen, denn in meinem Gepäck scheint sich ein freches Bazillus mit an Bord geschlichen zu haben, das seit gestern offenbar glaubt, von mir Besitz ergreifen zu können. Ich frage an der Rezeption, wo der Schiffsarzt zu finden sei. Ein junger Mann weist mir den Weg. Zur Sicherheit frage ich noch, ob der Arzt denn jetzt auch zu sprechen sei. Der junge Mann blickt auf seinen Plan und sagt: „Sprechstunde war heute bis 10 Uhr und dann wieder ab 20 Uhr.“ Donnerwetter, denke ich, das ist ja mal eine zünftige Siesta! „Wenn man sich mittags beim Pilates die Schulter auskugelt, muss man dann bis zum Abend warten, ehe einem geholfen wird?“, frage ich ungläubig. „Das wäre ein Notfall“, erklärt der junge Mann, „da gibt es selbstverständlich sofort Hilfe.“ Da mein mitreisender Bazillus inzwischen die Körperheizung auf volle Leistung aufgedreht hat, beschließe ich spontan, mich als Notfall einzustufen. Eine Minute später ist der Schiffsarzt da, und es hat nicht den Anschein, als sei er aus einer Siesta gerissen worden. Im Gegenteil: Er ist hellwach, topfit und weiß nach dreimal klopfen und horchen sofort, was mir fehlt. Ein paar Augenblicke später stehe ich mit einem Antibiotikum in der Hand wieder im Gang.
Den Kampf Pharmazeutikum vs. Bazillus will ich in Ruhe genießen. Da in meine Kabine gerade ein mit Staubsauger und Putztüchern bewaffnetes Frauenkommando eingedrungen ist, beschließe ich, es mir solange in einem Liegestuhl auf dem Oberdeck bequem zu machen. Ich finde auch einen einigermaßen geeigneten Platz, und von Kopf bis Fuß in wärmende Wolldecken gewickelt, bin ich kurz darauf bereit, mich der heilsamen Erschöpfung zu ergeben. Derweil findet ein Deck tiefer gerade eine öffentliche Kochvorführung statt. Ein Starkoch zerlegt vor den Augen einer staunenden Menge gegrillten Lachs und verteilt ihn unter den Hungrigen. Statt mit frischer Seeluft füllen sich meine Lungen mit Bratfischgeruch, und mit der Ruhe ist es auch erst mal nichts, weil der Koch jeden seiner Handgriffe kommentiert und seine Worte dabei selbstverständlich über Lautsprecher übertragen werden. Zum Glück habe ich immer Ohropax dabei, aber auch das kann nicht verhindern, dass Wortfetzen wie „mache hier einen Schnitt“, „gerade von der Gräte weg“ und „Haut immer zu Haut, nie zu Fleisch“ in mein Delirium dringen.
Das lässt mich wieder an meine Fahrt auf der „Queen Mary 2“ im vergangenen Jahr denken. Bei aller Schönheit und Imposanz hat die „QM2“ doch einen ärgerlichen Konstruktionsfehler: Alle Sonnendecks liegen im Rücken des Schornsteins, und da dieser Schornstein nicht hoch genug ist, wird der Qualm vom Fahrtwind auf die Sonnendecks heruntergedrückt. So wird man bei einem Sonnenbad auf der „QM2“ buchstäblich eingedieselt. Die „Columbus 2“ hat dieses Problem zum Glück nicht, denn die Sonnendecks liegen in Fahrtrichtung vor dem Schornstein. Gepriesen sei der Ingenieur, der das bedacht hat! Eine halbe Stunde später ist auch der Bratfischgeruch verflogen, und man kann endlich wieder das Meer riechen.
(c) Bastian Sick 2012
FOTOALBUM: Unterwegs mit der Columbus 2