Montag, 18. März 2024

Die kastrierte Hymne

Das musste ja kommen. Nachdem die Österreicher bereits vor einigen Jahren per Erlass den Text ihrer Nationalhymne verändert hatten, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschland jemand fordern würde, die dritte Strophe des „Liedes der Deutschen“ von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben zu ändern und von allen „Vätern“ und „Brüdern“ zu reinigen. Dieser Jemand – oder soll ich sagen: diese Jemandin – ist gefunden. Es ist die Gleichstellungsbeauftragte des Familienministeriums, Kristin Rose-Möhring. Wie heute in den Zeitungen zu lesen stand, will sie „Vaterland“ in „Heimatland“ abgeändert sehen und „brüderlich“ in „couragiert“.

Nun hat das Wort „brüderlich“ die Bedeutung „freundschaftlich“, „wie Geschwister verbunden“, wovon die Schwestern zu keinem Zeitpunkt ausgenommen waren. Auch Schwestern können brüderlich miteinander teilen. Und dass „Vaterland“ nur das Land der Väter, nicht aber auch der Mütter sei, steht nirgendwo geschrieben außer vielleicht in den Lehrbüchern der Gleichstellungsbeauftragtinnen. Ebenso wenig ist die Muttersprache eine Sprache, die nur von Frauen gesprochen würde. Und wo wir gerade dabei sind: „Einigkeit und Recht und Freiheit“ kann dann aber auch nicht stehen bleiben – das sind zwei weibliche Wörter und ein sächliches Wort. Da sind wir Männer doch völlig unterrepräsentiert!

Ich war stets ein Freund der Gleichberechtigung und der Frauenbewegung und bin es noch heute. Doch ich war nie ein Freund der sogenannten gendergerechten Sprache. Zunächst einmal wird dabei ignoriert, dass das grammatische Geschlecht und das biologische Geschlecht zwei verschiedene Paar Schuh sind. Nur weil „der Mensch“ grammatisch männlich ist, heißt das längst nicht, dass Frauen nicht dazugehörten. Umgekehrt ist „die Person“ grammatisch weiblich, was nicht ausschließt, dass auch Männer Personen sein können. Aus einem Missverständnis der Grammatik heraus ist die Sprache zu einem Nebenkriegsschauplatz der Emanzipation geworden, und je länger dieser Krieg wütet, desto mehr wird die Sprache dabei in Mitleidenschaft gezogen.

Im neuesten Vorstoß der Gleichstellungsbeauftragten soll ein 177 Jahre altes Kunstwerk (das „Lied der Deutschen“ entstand 1841 auf der Insel Helgoland) aus politischen Gründen verändert werden. So etwas sollte bei allen Freidenkern und Kulturschützern Großalarm auslösen. Denn über erzwungene Veränderungen in der Sprache Einfluss auf das Denken zu nehmen, ist ein Wesenszug von Fanatismus und Diktatur. Dazu gehört auch das Bestreben, Kunst im Allgemeinen zu verändern und so hinzubiegen, dass sie politisch genehm ist. Dafür gibt es in der Weltgeschichte (und speziell in der Geschichte Deutschlands) zahlreiche abschreckende Beispiele.

Die Nazis erklärten Malerei, die ihnen nicht genehm war, zu „entarteter Kunst“ und verbrannten Bücher. Die SED unterdrückte die Meinungsfreiheit über 40 Jahre lang. Und noch vor gar nicht langer Zeit entsetzte sich die Welt darüber, dass der Islamische Staat eine Tempelanlage in Syrien sprengte und eine 2000 Jahre alte Löwenstatue zerstörte, weil diese nicht in sein religiöses Weltbild passten.

Was ist so anders daran, wenn per Dekret beschlossen wird, an einer Hochschule in Berlin ein Fassadengedicht von Eugen Gomringer zu übermalen, weil es angeblich frauenfeindlich sei? Man muss „frauenfeindlich“ nur durch „entartet“ ersetzen, um zu erkennen, aus welcher Richtung ein solcher Wind weht.

Die Veränderung der Nationalhymne ist ein schwerwiegender Eingriff. Man kann sie abschaffen, wenn sich die Staatsform ändert – so wie mit der Hymne der DDR geschehen und mit der Streichung der ersten Strophen des Deutschlandliedes bei der Gründung der Bundesrepublik. Aber den einmal geschaffenen Text zu verändern, also in das Werk eines Dichters einzugreifen und es zu „verschlimmbessern“ – das widerspricht jeglichem Verständnis von Kunstfreiheit. Der Staat hat die Verpflichtung, Kunst zu bewahren. Er hat nicht die Aufgabe, sie je nach politischer Laune zu retuschieren, zu schwärzen oder zu übertünchen. Denn ehe man sich’s versieht, landet man dort, wo man vor 85 Jahren schon mal gewesen ist.


Zum Thema:

Österreich: Von großen Töchtern und Söhnen

Deutschland: Immer schön politisch korrekt bleiben

Schweiz: Die Entmannung unserer Sprache

 


TV-Tipp: Bastian Sick in „Brisant“, 5.3.2018, 17:15 Uhr

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Kein sprachliches Thema hat die Gemüter in den letzten Jahren so sehr bewegt und erhitzt …

38 Kommentare

  1. Schade, dass Sie die Materie nicht kennen, die Sie kritisieren.
    Die feministische Linguistik ignoriert die Genus-Sexus-Debatte mitnichten, sondern geht seit den späten 1960er Jahren wieder und wieder detailliert darauf ein. Wenn hier also jemand etwas ignoriert oder verwechselt, dann sind das die Kritiker, die Texte kritisieren, die sie nicht gelesen haben.

    • @Katharina:
      Wenn Sie das sagen, glaube ich Ihnen das gern. Dann sollten Sie uns aber auch verraten, welche stichhaltigen Argumente Sie von daher vorbringen können, um Herrn Sicks Ansicht zur Nationalhymne zu widersprechen, falls das, was nicht ganz klar wird, der Sinn Ihres Einwandes sein sollte.

    • Peter Heinrichs

      Ich warte ja nur drauf, dass die Engländer die Silbe „man“ im Wort „woman“ durch „woman“ ersetzen, und wünsche ihnen daraufhin den unausweichlichen Stress, der durch ein Gedicht von „Alleen, Blumen und schönen Frauen“ aber umgehend gemildert werden könnte.

      Ich dachte bisher immer, dass Extremismus eigentlich die Kernkompetenz von Männern sei.

  2. Von offizieller Seite (Sprecher des Ministeriums) wurde der Vorschlag als „persönlicher Beitrag“ der Gleichstellungsbeauftragten bezeichnet. Außerdem sieht lt. Regierungssprecher auch die Bundeskanzlerin keinen Bedarf an Änderungen der Nationalhymne.

  3. Ein ”schwerwiegender Eingriff”? Wenn zwei (!) Worte geändert werden, von dem eins lediglich ein Synonym ist? Kann mir diese Aufregung demnach nicht erklären. Und nein, bei ”brüderlich” und ”Vaterland” fühle ich mich nicht angesprochen. Bei ”couragiert” und ”Heimatland” schon. Insofern fände ich diese Änderungen sehr sinnvoll. Auch wenn sie natürlich nicht durchgeführt werden, der Aufruhr wäre viel zu groß. Es gibt ja schon Lawinen an Hasskommentaren (gern mal im Spiegel-Forum nachgucken!), wenn in einem Artikel Begriffe wie Gleichberechtigung, Emanzipation oder – schlimmer noch – FRAUENQUOTE auftauchen.

    • Kann es sein, dass diese „Hasstiraden“ die Reaktion auf die oben erwähnte „feministische Linguistik“ (man lasse sich diese Wortschöpfung mal auf der Zunge zergehen!) sind, die den Bogen einfach überspannt hat?

    • Ach ja, und beim Wort „Heimatland“, da kommt dann der nächste Vollpfosten (oder die nächste Vollpfostin) aus einer anderen sozialistisch-gleichmacherischen Ecke herbeigekrochen, und meckert darüber, daß ihm (oder ihr) das nun wieder zu „völkisch-national“ vorkommt. Laßt das Deutschlandlied mal schön so wie HvF es ursprünglich verfaßt hat!

      Und was „Frauenquoten“ angeht, so sind diese per se grundgesetzwidrig, weil aufgrund Artikel 3 Abs. 3 GG niemand wegen seines Geschlechtes bevorzugt werden darf. Diesen Umstand scheinen die gleichmacherischen Quoten-Fans absichtlich zu ignorieren. Ich warte nur noch drauf, daß mal ein Mann Klage bei Gericht einreicht, weil er eine Arbeitsstelle wegen einer „Frauenquote“ nicht bekommen hat, und dann Recht bekommt, wenn eine Frau nur aufgrund ihres Geschlechts bevorzugt wurde.

  4. Und wieder einmal: Einfach nur wunderbar. Bastian Sick erklärt das so genial und ohne Schnick-Schnack, dass es wirklich jeder verstehen kann. Hoffentlich liest es Frau Rose-Möhring auch. Anschließend kann sie sich ein bisschen schämen gehen und hoffen, dass es alle ganz schnell vergessen.

    • Werner Glanert

      Hallo Frau Imhof,

      Ihr Kommentar (und einige andere) zeigt glücklicherweise, dass es auch Frauen gibt, die den Vorschlag der Gleichstellungsbeauftragten absurd finden (ich habe dabei nicht übersehen, dass es auch Männer gibt, die offensichtlich von der Idee begeistert sind).

      Bastian Sick zeigt doch mit dem Beispiel „Muttersprache“ (es gibt natürlich noch andere), dass es auch den umgekehrten Fall gibt.

      Das ist genauso ein Schwachsinn wie das große „I“ mitten im Wort unter Umgehung so überflüssiger Dinge wie Rechtschreibregeln: „MitarbeiterInnen“ statt „Mitarbeiter(innen)“ oder „Mitarbeiter/innen“.

      Aber wie unten von Beate Ulrich schon gesagt: Solange die Gleichstellungsbeauftragte solche Probleme hat, muss sie sich wenigstens nicht mit solchen Nebensächlichkeiten wie gleichem Lohn für gleiche Arbeit abgeben.

      Mit freundlichen Grüßen

  5. „The purpose of Newspeak was not only to provide a medium of expression for the world-view and mental habits proper to the devotees of IngSoc, but to make all other modes of thought impossible.“ (George Orwell, 1984)

  6. Ich bekenne öffentlich, ich bin ein gewalttätiger Frauenquäler.

    Ich habe (versehentlich, aber das tut ja nichts zur Sache) eine Kugelschreiberin herunterfallen lassen, wobei sie zerbrochen ist.

    Hängt mich bitte hoch!

    Der Bleistift
    Der Füller
    Der Filzschreiber

    Ich habe ein Mitglied einer Minderheit ermordet!

    • Ich halte mich da lieber an die Wurst, die ist nämlich weiblich. Im Moselfränkischen, das ich mal gesprochen habe, ist sie allerdings männlich („der Wuascht“). Ganz klar, die Moselaner hinken hinter der Zeit her!

      • Wo soll das denn im Moselfränkischen so gesprochen worden sein? Das heißt von Luxemburg bis Koblenz und bis hoch auf den Hunsrück hinauf überall „die Wuascht“ oder die Woascht“. Wenn überhaupt, dann kann „der Wuascht“ allenfalls Eifeler-Basaltkopp-Platt sein, aber ganz bstimmt kein Moselfränkisch.

  7. Lieber Herr Sick,

    hier in Kanada, wo ich seit mehr als 20 Jahren eine deutschsprachige Zeitung herausgebe, gibt es eine ähnliche Entwicklung:

    http://www.cbc.ca/news/politics/anthem-bill-passes-senate-1.4513317

    Unser liberaler Premierminister Justin Trudeau bezeichnet sich ja als „Feminist“, und ich habe nichts dagegen, aber ich finde, dass „political correctness“ manchmal zu weit getrieben wird. Trudeau hat ja kürzlich sogar vorgeschlagen, das Wort „mankind“ durch „peoplekind“ zu erzetzen, und ist dafür von vielen ausgelacht worden. Ich habe auch gelesen, dass ein Schulbezirksvorstand in Ontario das Wort „chief“ ausmerzen wollte, weil es u.a. das englische Wort für „Häuptling“ ist und einige Ureinwohner (Indianer) sich beleidigt fühlen. Das hat dann dazu geführt, dass es jetzt in dem Bezirk keinen „Chief Executive Officer“ (CEO), „Chief Accountant“ usw. mehr gibt, sondern diese Leute werden jetzt Manager genannt.

    Ich finde das lächerlich, denn man (frau oder schwul oder transgender) kann doch nicht die Haltung der Menschen ändern, indem man die Sprache zensiert. Die Nazis haben das versucht, die Academie Française versucht es immer wieder, und nun haben wir die selbsternannte Sprachpolizei in Deutschland, Kanada und anderswo.

    Ich lese gern Ihre Beitrage und lerne jedesmal etwas Neues. Bitte machen Sie weiter so.

    Herzliche Grüße von Ihrem

    Arnim Joop

  8. Oh Herrin, schmeiß Hirn vom Himmel, aber triff bitte ein wenig besser als Dein männliches Gegenstück! Doch wenn schon gendern, dann richtig. Also zukünftig bitteschön auch:

    „Terroristinnen und Terroristen“
    „Faschistinnen und Faschisten“
    „Mörderinnen und Mörder“

    Jetzt gehe ich noch eine Runde Erpel füttern und bestelle anschließend in meiner Lieblinkskneipe bei der Oberin eine Radlerin. In diesem Sinne, liebe Herren und Damen, einen schönen Abend noch!

  9. Es stellt sich bei dieser Art von Sprachzensur ohnehin ganz prinzipiell die Frage, welche Konsequenzen sich im Ganzen ergeben würden, wenn nicht allein feministischer Fanatismus sich vollends linguistisch austoben dürfte. Dann wäre aus dem deutschen Wortschatz – bei genauerer Betrachtung des Etymologieaspektes beispielsweise – wahrscheinlich ein veritabler Teil der Wörter ersatzlos zu streichen. Der Duden schrumpfte zu einem Heftchen gar, aber allen Bedenkenträgern und vermeintlich Beleidigten bzw. selbstgefühlt Diffamierten wäre scheinbar recht getan…

    • Peter Heinrichs

      Ich habe auch schon in meiner Shakespeare-Ausgabe. Den Titel von „Othello“ mit Filzstift in „der maximal Pigmentierte von Venedig“ umgewandelt. Ich schlage vor, auch nachträglich das lateinische Wort „niger“ für „schwarz“ zu eleminieren, da es Quelle einer unerträglichen political incorrectness ist. Wir müssen Afrikaner nämlich als „Schwarze“ bezeichnen, weil die Reduzierung eines Menschen auf ein äußerliches Merkmal (wie z.B. „schwarz“) nicht zulässig ist.

      • Wie war das noch kürzlich in einem Internet-Beitrag, den ich gehört habe mit dem Witz bezüglich „Schwarze“ und „Farbige“?

        Sagt der sich durch das Wort „Farbiger“ beleidigt fühlende negroid-schwarze Neger zum Bleichgesicht: „Ihr Weißen lauft rot an, wenn ihr erregt seid, blau, wenn ihr friert, wenn ihr sterbt werdet ihr blaß-gelblich, und wenn ihr dann verfault dunkelbraun. Und IHR nennt UNS ‚Farbige‘?“

  10. Die alte Schweizer Nationalhymne (ca. 1840) hatte einen allzu martialischen Text („Rufst Du, mein Vaterland….hast noch der Söhne ja,….freudvoll zum Streit,…. Sieg oder Tod,….frei lebt, wer sterben kann…“). Diese Hymne – mit gleicher Melodie wie die britische – wurde 1961 ersetzt durch eine friedvollere, zwar auch nicht vaterlandfreie, aber melodischere Fassung („Betet, freie Schweizer, betet!….Eure fromme Seele ahnt… Gott, den Herrn, im hehren Vaterland“). Die Schweizerinnen haben auch da wohl nicht allesamt mit Freuden mitgesungen. Deshalb ist jetzt ein neuer Text (mit unveränderter Melodie) in Diskussion, der all diesen Problemen ausweicht und schliesst:
    „Frei, wer seine Freiheit nützt,
    stark ein Volk, das Schwache stützt.
    Weisses Kreuz auf rotem Grund,
    singen alle wie aus einem Mund.“

  11. Ich bin entsetzt über das polemische Niveau des Artikels und der meisten Kommentare … das ist doch nicht die Bildzeitung hier 😮

  12. Fritz Schulze

    Betr. die kastrierte Hymne
    Quo vadis, Germania? Wie weit geht das noch?
    Sogar die Kirche ueberlegt ob sie das Vaterunser gendergerecht ueberarbeiten soll! Alle Kirchenlieder?
    Vielleicht sollten alle Werke unserer grossen deutschen Dichter nach aenderungsbeduerftigen Woertern durchkaemmt werden.
    Wie sagt man: wenn’s dem Esel zu wohl wird, geht er auf’s Eis. Zuviele Leute haben nichts Wichtigeres zu tun als nach eingebildeten Beleidungen und Verletzungen zu suchen.
    Auch ich lebe in Kanada und verfolge die gegenwaertige Entwicklung der deutschen Sprache mit grossem Interesse.

  13. Den Vorschlag der Gleichstellungsbeauftragten in die Nähe von NS-Methoden zu rücken, finde ich ein starkes Stück und Ihrer nicht würdig, Herr Sick.

  14. Helga Burgmair

    Nicht jedem gefällt in seinem Land alles. Man sollte es aber wenn irgendmöglich bitte akzeptieren. Denn würde die Hymne jetzt geändert, kommt der nächste, dem z.B. Herz und Hand nicht gefällt und gerne das Hirn noch dabei hätte. Denn: „Allen Menschen Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann“

    Wer damit überhaupt nicht leben kann, der hat immer noch die Möglichkeit, in ein anderes Land auszuwandern, das seinen/ihren Ansprüchen gerecht wird.

    Saudi-Arabien z.B. würde sich freuen über eine Zuwanderin, die in Deutschland Erfahrung als Gleichstellungsbeauftragte hat. Gute Reise Frau Rose-Möhring.

  15. Die Gleichstellungsbeauftragte scheint ja viel Zeit übrig zu haben. Hat sie denn ihre Kernaufgaben bereits gelöst? Erhalten Frauen jetzt gleichen Lohn für gleiche Arbeit? Darf eine Frau jetzt – auch in Migrantenfamilien – selbst entscheiden, ob und wen sie heiraten und ob und was sie arbeiten möchte? Sind Frauen vor Gewalt in der Öffentlichkeit und im privaten Bereich geschützt? Hm.

  16. Eckhard Stengel

    Lieber Herr Sick! Bisher habe ich Ihre Bücher und Kolumnen sehr geschätzt. Ihre Kritik an der geschlechtergerechten Sprache schießt jedoch weit übers Ziel hinaus und ist unfair. Sie unterstellen, dass die Anhänger der gendergerechten Sprache den Unterschied zwischen grammatischem und biologischem Geschlecht ignorieren. Das ist aber nur bei einer kleinen Minderheit der Fall. Die große Mehrheit der Gender-Fans würde nie behaupten, dass „der Mensch“ Frauen ausgrenzt, nur weil dieses Wort zufällig grammatisch männlich ist. Im Gegenteil: „Der Mensch“ ist ein wunderbarer geschlechtsneutraler Oberbegriff für Männer und Frauen – ebenso wie „die Person“, die als Wort zufällig weiblich ist, aber natürlich beide Geschlechter meint.
    Die Verfechter/innen der geschlechtergerechten Sprache kritisieren lediglich, dass oft nur Männer erwähnt werden, wenn eigentlich auch Frauen gemeint sind („die Politiker“, „die Wissenschaftler“). Die Frauen sind dann angeblich mitgemeint, werden in Wirklichkeit aber oft weggedacht, wie zum Beispiel folgende Studie belegt: SPD-Mitglieder wurden befragt, wen sie sich als Bundeskanzler vorstellen könnten. Dabei nannten die Befragten nur Männer – nicht aber, wenn sie nach Kanzler oder Kanzlerin gefragt wurden.
    Natürlich muss man wegen solcher Erkenntnisse nicht gleich historische Liedtexte umformulieren. Aber dass Sie das Bemühen um mehr Geschlechtergerechtigkeit in die Nähe von Nazimethoden rücken, empfinde ich als maßlos und empörend.

    • Ohne eine längere Debatte nun hier auslösen zu wollen – erlauben Sie zwei, drei Bemerkungen zu Ihren Ausführungen, Herr Stengel, auch wenn ich freilich nicht der adressierte Herr Sick bin.
      Ob ein Begriff wie „Mensch“ scheinbar geschlechtsneutral anmuten mag, liegt nicht am Begriff an sich, sondern vielmehr am kontextlichen Umgang und dem von Nutzern zugewiesenen Gedankeninhalten. Eine „Menschin“ beispielsweise konnte ich schon einige Male hie und da lesen und schon ist’s irgendwie vorbei mit der wunderbaren Neutralität…
      Wenn z.B. bei Pluralanwendungen ein Sprachaspekt wie das generische Maskulinum nicht als Angriffsfläche für u.a. gender-begeisterte Personen geworden wäre, so würde heute niemand von Schülerinnen und Schülern schreiben und sprechen, nein, Schüler reichte vollkommen aus – wie in vielen Jahrzehnten-, hunderten zuvor bereits. Ein rigides, zügiges Zurechtbiegenwollen auf „Ohne Wenn und Aber“-Niveau dürfte steter, behutsamer Fortentwicklung über Generationen hinweg diametral entgegenstehen und birgt unweigerlich den unrühmlichen Schnellschuss-Charakter in sich und Letzterer ist gerade in der Sprache womöglich fatal.
      „Gender-Fans“ schön und gut; nur liegen zwischen Fan und Fanatismus nicht allein buchstäblich oft kurze Distanzen und derer sollte man sich gewahr sein. Damit meine ich mitnichten Sie, eher die von Ihnen zitierte „kleine Minderheit“.

  17. Jürgen Krause

    Mit großer Freude konnte ich heute lesen, dass als weiterer wesentlicher Schritt zur völligen Gleichstellung der Geschlechter unsere Nationalhymne umgetextet werden soll. Bravo – Nur, wollen wir weiter so kleinkariert Schrittchen für Schrittchen auf diesem bedeutenden Weg voranschreiten? Diskriminierung begegnet uns doch überall. Beispiel Ortsnamen: Mannsgereuth, Mannheim, Mansfeld oder Frauenwald, Frauenstein, Fraureuth. Dagegen hat man in Leutenbach, Leutersdorf und Leutenberg schon gelernt. (Ruhig, Tierschützer: Beschwerden dort lebender Hunde und Katzen sind noch nicht bekannt). Beschränken wir uns aber nicht auf die pure Geschlechtlichkeit. Wie fühlen sich farbige Migranten in Schwarzburg, Schwarza oder Schwärzdorf? Oder gar in Negernbötel? Andere wurden vielleicht in Weißenstadt, Weißenberg oder Weißenbrunn angesiedelt. Diskriminierung allüberall. Wie wachen Käte und Irene am Morgen in Marienberg, Marienborn oder Marienhagen auf? Sicher hat Paul in Paulsdorf eine höhere Lebenserwartung als Martin im gleichen Ort, der kann aber nach Martinroda oder Martinskirchen auswandern. Was geht in Muslimen vor, die in Kirchweidach, Kirchlauter oder Kirchroth leben? Apropos Rot – da brüskieren wir ja wieder alle Blondinen und CSU-Mitglieder. Wieso sagen wir eigentlich DIE Straße und DER Platz, DIE schöne Aussicht und DER Abgrund? Ist ersteres sexistisch? Schraube und Mutter sind es wert, eine gesonderte Kommission einzusetzen. Dürfen beide feminin sein? Die Gleichstellungsbeauftragte hat viel zu tun. Gut so, da bleibt ihr weniger Zeit, sich auf Nebenschauplätzen, wie der karriere- und entlohnungsmäßigen Gleichstellung abzukämpfen. Wie spricht der Professor in der „Feuerzangenbowle“? „Dat krije mer später“!

  18. Ist es wirklich ein so großer Eingriff in die Kunstfreiheit, ein „Kunstwerk“, von dem man bereits zwei Drittel weglassen musste, weil diese absolut nicht mehr zeitgemäß waren – es blieb ja nur die letzte von drei Strophen zur Verwendung übrig – geringfügig anzupassen?

  19. Natalie Birdwell

    Hallo Bastian,

    äääähm, diesen Artikel habe ich neulich schon beim Postillon gelesen. Kann es sein, daß Du einer Satire aufgesessen bist?

    Liebe Grüße
    Natalie

  20. So viele Zuschriften hatte wohl selten ein Thema, das ist gut so, weniger die Empörung und Aufgeregtheit, die manchmal durchscheint. Klar gibt es sozial völlig abgehängte Männer, die sich darüber aufregen, mit welchen Luxusproblemen sich privilegierte Frauen herumschlagen, das gilt aber genauso umgekehrt. Beate Ullrich (hier vom 07.03.18) hat mit Ihrer Beobachtung völlig recht: die Gleichstellungsbeauftragte soll sich um die harten Themen von Gleichstellung kümmern, das darf oder kann sie augenscheinlich nicht und deshalb werden solche Nebelkerzen geworfen. Darauf steigen dann viele Mitmensch(inn)en ein und vergessen darüber, worum es eigentlich geht: es geht um Gerechtigkeit, nicht nur in Deutschland, es geht um Würde, nicht nur für Frauen und Männer und es geht um Frieden überall auf der Welt. Ob mein Vaterland oder Heimatland blüht ist mir herzlich egal, solange es auf Kosten der Dürre anderswo blüht. Wenn keine Kugel mehr fliegt, keine Bombe mehr fällt, kein Kind mehr verhungert, kann man sich ja auch mit solchen Problemchen beschäftigen. Bis dahin ist die ganze Aufmerksamkeit, die dieses Thema erhält, einfach nur lächerlich. Nationalhymen sind ohnehin so was von vorgestern, man sollte sie alle durch eine Welthymne ersetzen, z. B. die inoffizielle Uno-Hymne in der es am Schluss heißt:

    Where fate is freedom grace and surprise

    Beste Grüße

    • „Nationalhymen sind ohnehin so was von vorgestern“…..

      Selbst Feministinnen werden daran scheitern, einer ganzen Nation Jungfernhäutchen zu verpassen!

    • Ach gar, jetzt auch noch eine „Welthymne“? Also noch mehr Gleichschaltung und Gleichmacherei, und dies auch noch auf globaler Ebene? Geht’s noch?

  21. Ich stimme Ihnen zu, dass es viele absurde Vorschläge gibt, was die Sprache und Gleichberechtigung angeht. Aber die Sprache bestimmt auch unser Denken (siehe 1984 von Orwell). Wenn Sie die folgenden Wörter lesen, was haben Sie dann vor Augen: Manager, Mörder, Autofahrer, Kunde. Eher einen Mann. Wenn Sie aber: Managerin, Mörderin, Autofahrerin, Kundin lesen, haben Sie eine Frau vor Augen. Sie befassen sich mit dem Gedanken, dass auch Frauen einbegriffen sind. Gerade bei Positionen wie Manager, Chef, usw verändert dies auch die Haltung. Dadurch wird es natürlich, dass Männer oder Frauen diese Position innehaben können. Insofern sollte man diese Diskussion nicht grundsätzlich als absurd abtun.

  22. Ich stimme dem Beitrag von Bastian Sick voll und ganz zu, er hat den Nagel genau auf den Kopf getroffen und mit einem Schlag versenkt!

    Am meisten an diesem ganzen Beitrag hat mich jedoch gefreut, daß mir hier zum ersten Mal überhaupt das korrekte Wort „grammatisch“ untergekommen ist. Das sonst immer gebrauchte „grammatikalisch“ gehört definitiv mit zum sprachlich größten Unfug aller Zeiten. Kein Mensch käme jemals auf die Idee „optikalisch“, „technikalisch“ oder „ethikalisch“ zu sagen, aber bei „Grammatik“ wird flächendeckend Adjektiv-Vergewaltigung betrieben. Schön, daß es endlich mal jemand richtig schreibt, natürlich ist es Bastian Sick. Wer soll es auch sonst sein? Vielen Dank!

  23. Christian Schmidt

    Jemandin? Das ist nun wirklich Sexismus…

  24. Hallo zusammen.
    Das ganze Gendergedöns artet meiner Meinung nach aus! Wenn die Frauen bei den guten Eigenschaften vorne stehen wollen, sollen sie das auch bei den miesen – ihre Frau stehen; Mörderin, Steuerhinterzieherin, Falschparkerin, Raserin, Gafferin, Einbrecherin usw. Hallo? Wo leben wir denn? Grammatikalisch richtig ist z. B. Frau Professor und nicht Frau Professorin, weil der Beruf hier das grammatikalische Geschlecht ausdrückt; der Zusatz Frau/Mann das Geschlecht der Person – laßt die Kirche im Dorf und kümmert Euch um wichtigere Dinge, als unsere Sprache zu verhunzen, liebe Poliker und Politikerinnen!

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