Dienstag, 12. März 2024

Durch und durch alles hindurch

Die „Titanic“ wurde durch einen Eisberg versenkt. Nordkorea bestreitet den Kauf von Atomwaffen durch Pakistan. Bücher werden durch Autoren geschrieben und durch Übersetzer übersetzt. Städte werden durch Bomben getroffen, Politiker durch das Volk gewählt. Ist die Durch-Wucherung der Sprache durch nichts mehr aufzuhalten?

Im Blumengarten der deutschen Sprache wuchert ein Unkraut, schlimmer als Quecke, hartnäckiger als Giersch. Es handelt sich um ein Gewächs aus der Familie der Präpositionen, klein und unscheinbar, doch es ist praktisch nicht zu besiegen. Der fleißige Stilgärtner hat alle Hände voll damit zu tun, es herauszureißen. Doch so viel er auch rupft und zupft – die Präposition dringt immer wieder durch. Sie wuchert und windet sich durch alles hindurch.

Gemeint ist die Präposition „durch“, ein ausgesprochen vielseitiger Vertreter seiner Gattung. Sie lässt sich zunächst einmal räumlich einsetzen: durch den Dschungel, durch die Hintertür, durchs wilde Kurdistan. Sodann auch zeitlich: durch den Winter, durchs ganze Jahr. Damit aber gibt sie sich längst nicht zufrieden; sie will noch viel mehr!

Denn sie versteht sich auch als eine mediale Präposition. Genau wie das Wort „mittels“ zeigt sie an, dass etwas mit Hilfe von etwas oder jemand geschieht: Statt „per Kurier“ kann man ein Paket auch „durch Boten“ zustellen lassen, und ein Kranker kann ebenso gut „mittels neuer Medikamente“ als auch „durch neue Medikamente“ geheilt werden. So weit, so richtig.

Weil ihr aber auch das nicht genügt, führt die Präposition „durch“ seit geraumer Zeit einen zähen, unerbittlichen Kampf gegen ihren schlimmsten Rivalen, das noch kleinere Wörtchen „von“. Wo immer sich eine Gelegenheit bietet, versucht sie, „von“ zu verdrängen, oftmals mit Erfolg, aber selten mit stilistisch überzeugendem Ergebnis:

„1943 wurde die Stadt durch Bomben eines Flugzeuges der Alliierten getroffen“, heißt es in einer Broschüre über eine deutsche Stadt. Der Verfasser die Broschüre muss seinerseits von der Präposition „durch“ getroffen worden sein, und zwar direkt am Kopf, sonst hätte er den Satz besser zu formulieren gewusst.

Natürlich wurde die Stadt nicht „durch“ Bomben getroffen, sondern von denselben. Ersetzt man „durch“ nämlich durch „mittels“ oder „mit Hilfe von“, dann sieht man, wie unsinnig die Verwendung von „durch“ hier ist: „Die Stadt wurde mit Hilfe von Bomben getroffen.“ Lautete das Verb „zerstört“, dann wäre es etwas anderes: „Die Stadt wurde durch (= mit Hilfe von) Bomben zerstört.“ Diese Aussage ergibt einen Sinn.

Dasselbe haben wir hier: „Der Soldat wurde durch eine Kugel getötet.“ Gegen diese Aussage gibt es stilistisch keine Einwände, denn getötet hat den Soldaten der Schütze, die Kugel war nur das Werkzeug. Falsch hingegen ist dieser Satz: „Der Soldat wurde durch eine Kugel in den Bauch getroffen.“ Den Eintritt in den Bauch hat die Kugel sch(l)ießlich selbst geleistet. Richtig ist demnach: „Der Soldat wurde von einer Kugel getroffen.“

Eine Schreckensmeldung aus den Rocky Mountains: „Der 42-jährige Mann wurde durch den Angriff eines Bären getötet.“ Das liest sich so, als hätte jemand einen Bären dazu benutzt, um den Mann aus dem Weg zu räumen. Denkbar zwar, aber wohl kaum so gemeint. Die Gegenprobe mit „mittels“ oder „mit Hilfe von“ zeigt auch in diesem Fall, dass „durch“ fehl am Platz ist.

„Wir drucken den Text in der deutschen Übersetzung durch Harry Rowohlt“, kündigt eine Zeitung ihren Lesern an. Bei einem solchen Satz hätte sich dem wortgewandten Übersetzer selbst wohl die Feder gesträubt. Schließlich ist Harry Rowohlt weitaus mehr als nur ein Medium, durch den die Übersetzung mal eben so hindurchgeflossen ist.

Im Zusammenhang mit „schreiben“ und „übersetzen“ ist vom Gebrauch der Präposition „durch“ durchweg abzuraten. Wann immer Personen, Personengruppen oder Institutionen im Spiel sind, taucht „durch“ die Agierenden ins trübe Licht der Mittelbarkeit.

Bei der Frachtsendung, die „durch Boten“ zugestellt wird, mag dies noch angehen, da der Bote tatsächlich nur als Mittelsmann zwischen Sender und Empfänger fungiert. Doch bei der Herstellung und dem Verkauf von Waren zum Beispiel ist es etwas anderes. Ehe man sich versieht, werden aus Erzeugern, Händlern und Käufern Mittelsmänner, die an dem Geschäft nur indirekt beteiligt sind:

„Nordkorea bestreitet den Erwerb von Nuklearwaffen durch Pakistan.“ Welche Rolle spielt Pakistan in diesem rätselhaften Spiel? Haben pakistanische Waffenhändler nur als Vermittler fungiert, die für Nordkorea Nuklearwaffen beschafften – von woher auch immer? War Pakistan das Durchgangsland, durch das die Waffen nach Nordkorea transportiert wurden? Oder benutzt Nordkorea die pakistanische Regierung als Sprachrohr, um den Erwerb von verbotenem Waffenmaterial abzustreiten?

Der Urheber dieser Zeile war offenbar bemüht, ein zweimaliges Auftauchen der Präposition „von“ zu vermeiden: „… von Nuklearwaffen von Pakistan“. Das hätte er aber auch auf andere Weise erreichen können: „Nordkorea bestreitet den Erwerb von Nuklearwaffen aus Pakistan“ oder „Nordkorea bestreitet den Erwerb pakistanischer Nuklearwaffen.“ So einfach kann es sein.

Sprache lebt durch Veränderung und Vielfalt. Oder lebt sie von Veränderung und Vielfalt? Eines steht fest: Sie sieht besser aus, wenn sie aufgelockert, von Unkraut befreit und geharkt wird. Nicht alles, was zwischen Substantiven und Verben empor keimt, trägt zur Verschönerung bei. Eine Faustregel der Stilkunde besagt daher: Man lese nach dem Schreiben seinen Text gründlich von Anfang bis zum Ende und prüfe, ob sich die darin enthaltenen „durchs“ nicht durch andere Präpositionen ersetzen lassen, zum Beispiel durch „von“ oder „mit“ – oder durch etwas anderes, so wie in diesem letzten Beispiel:

„Cheney hat ein Glaubwürdigkeitsproblem durch die fehlenden Massenvernichtungswaffen im Irak, von deren Existenz er felsenfest überzeugt war.“ Wie wäre es hier mal mit „aufgrund“ oder „auf Grund“? Angst vorm Genitiv? Zur Dann ginge es auch mit „aufgrund von“.

Mancher Stilblütenzüchter meint vielleicht, er sei dadurch nicht betroffen. Doch es sind weitaus mehr davon betroffen, als man glaubt. In den Blumenbeeten der deutschen Sprache sprießt  „durch“ mittlerweile so ungeniert, dass es einem durch und durch geht. Greifen auch Sie zur Hacke, jäten Sie mit, lassen Sie „durch“ nicht überall durchgehen!

(c) Bastian Sick 2004


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.

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