Sonntag, 20. Oktober 2024

Schrittweise Zunahme der Adjektivierung

Mit wachsender Besorgnis registrieren deutsche Sprachwächter ein Phänomen, das als illegale Adjektivierung von Umstandswörtern bezeichnet werden kann. Ausgehend von der Wirtschaft, hat es inzwischen auch Politik und Journalismus erfasst. Selbst der Bundeskanzler trägt zu seiner Verbreitung bei.

Da sitzt man nichts Böses ahnend beim Frühstück, schlürft seinen Kaffee, blättert noch ein wenig schläfrig in der Zeitung, und dann auf einmal das: „EZB-Präsident Wim Duisenberg sagte auf der Pressekonferenz vorsichtig, dass eine schrittweise Zunahme des Wachstums in Richtung Potenzialwachstum das Hauptszenario der EZB darstelle.“

Eine schrittweise Zunahme? Klingelt da nicht was? Aber hallo! In der Zentrale der deutschen Sprachpolizei schrillen in diesem Moment sämtliche Alarmglocken. Wörter, die auf -weise enden, gehören zur Familie der modalen Adverbien, auch Umstandswörter der Art und Weise genannt. Die Daseinsberechtigung von Adverbien besteht darin, Verben zu beschreiben – und keine Nomen. Dafür gibt es die so genannten Adjektive, eine mit den Adverbien zwar unbestreitbar verwandte, aber dennoch andere Wortart. Adjektive haben den Adverbien vor allem eines voraus: Sie können als Attribute gebraucht werden, das heißt unmittelbar vor einem Hauptwort platziert werden. Der Roman ist mehrteilig – also ist er „ein mehrteiliger Roman“, und „mehrteilig“ ist das Attribut. Die Zunahme erfolgt schrittweise, also handelt es sich um eine allmähliche, langsame, stetige Zunahme, aber nicht um eine schrittweise Zunahme.

Würde es sich um einen Einzelfall handeln, wäre es ja nicht weiter schlimm. Duisenberg würde von der Sprachpolizei eine gebührenpflichtige Verwarnung erhalten und dürfte in seinem Vortrag fortfahren. Doch leider finden sich derartige Adverbialattacken zuhauf. Manager wie Politiker lieben gleichermaßen die großzügige Streuung von Wörtern der Art und der Weise, wo sie nicht hingehören.

Ein unablässig sprudelnder Quell sind die Berichte von Vorstandsvorsitzenden auf Hauptversammlungen; da plätschert „die teilweise Zunahme“ von Gewinnen in einem fort; da schäumt die „zeitweise Steigerung“ des Kurses, dass einem ganz blümerant wird.

Allen voran marschiert wieder einmal der Bundeskanzler: „Der schrittweise Abbau der unverantwortlich hohen Verschuldung, angehäuft von der Regierung Kohl, ist eine der großen Leistungen der Koalition“, sagte Schröder in einem Interview mit der „Freien Presse“, als erhöhte Neuverschuldung noch kein Thema war. Und „neue Modelle für einestufenweise Ausbildung, um auch theorieschwachen Jugendlichen eine Berufsausbildung zu ermöglichen“, versprach der nordrhein-westfälische Wirtschafts- und Arbeitsminister Schartau unlängst vor Schülerpublikum. Da wurde der schiefe Turm von PISA doch gleich noch ein bisschen schiefer.

Längst haben auch die Journalisten die illegale Adjektivierung des Adverbs als fragwürdiges Mittel zur Verschönerung ihrer Texte entdeckt.

„Bestandteil des von Koch und Steinbrück verabredeten Konzeptes ist der schrittweise Abbau von Subventionen um zehn Prozent binnen der nächsten drei Jahre“, berichtete „Die Welt“ im Zuge der Steuerreformdebatte.

Der falsche Umgang mit dem Umstandswort wird auch nicht besser, wenn man das deplatzierte Adverb dekliniert: „UN-Generalsekretär Kofi Annan hat einen ,klaren Zeitplan‘ für einen schrittweisen Abzug der US-amerikanischen und britischen Besatzungstruppen aus Irak gefordert.“ („Frankfurter Rundschau“)

Denn bis auf wenige Ausnahmen sind Adverbien unflektierbar, das bedeutet, sie können nicht gebeugt werden. Doch so unflektierbar die Adverbien, so flexibel die Masse der Schreiber und Redner, die es nicht lassen können, das Unbeugsame zu beugen:

„Ben Artzi, der 16 Monate im Gefängnis verbracht hat, bezeichnete das Urteil als teilweisen Sieg.“ (AP) Wie wäre es mit „Teilsieg“? Das ist nicht nur kürzer, sondern hört sich auch noch besser an.

„Zahlreiche Unternehmen nutzten den zeitweisenRückgang der Zinsen auf ein 45-Jahres-Tief, um günstig Geld am Kapitalmarkt einzusammeln.“ („Handelsblatt“)

Den Grammaticus befällt ob solchen Stilbruchs ein zeitweiliges (!) Unbehagen. Zur partiellen (!) Beruhigung für alle Deutschen gereicht die Feststellung, dass es auch die Schweizer nicht immer besser machen. Die renommierte „Neue Zürcher Zeitung“ schreibt zum Beispiel: „Die Städte fordern auch eine teilweise Abgeltung der einmaligen Umstellungskosten durch den Bund.“ Ein Schweizer Immobilenexperte schießt den Vogel ab, beziehungsweise den Apfel vom Kopf, indem er sich mit den Worten zitieren lässt: „Die privaten Veräusserer machen es sich schwer, den stellenweisen Minderwert ihres Besitzes zu realisieren.“

Schuld ist wiederum der fatale Hang zur Substantivierung. Statt „Wir wollen einen schrittweisen Abbau der Schulden“ könnte man zum Beispiel sagen: „Wir wollen die Schulden schrittweise abbauen.“ Das wäre nicht nur bessere Grammatik, sondern auch besserer Stil.

Es wird die Zeit kommen, wo man sich vor haufenweisen Fehlern dieser Art nicht mehr retten kann, ebenso wenig wie vor stapelweisem Leergut im Keller und schachtelweiser Preiserhöhung für Zigaretten. Gepflegte Sprache ist nicht immer nur eine Frage des Stils, sondern manchmal auch eine der korrekten Art und -weise.

 (c) Bastian Sick 2003


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.

 

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