Dienstag, 16. April 2024

Tüten Suppe aus der Suppen Tüte

Ist eine „Tomatencreme Suppe“ eine Suppe aus Tomatencreme? Und was verbirgt sich hinter der Aufschrift „Kartoffel Steinpilz-Creme Suppe“? Ein Drei-Gänge-Menü? Tütensuppen enthalten jede Menge Bindemittel, auf der Packung fehlt aber nicht selten die nötige Bindung.

In der Zeit der christstollen- und lebkuchenüberfrachteten Adventskaffeekränze und der Weihnachtsfeiern mit Martinsgans-Gelage droht der gemeine Mittvierziger bereits vor den eigentlichen Festtagen aus dem Leim zu gehen. Wie soll man sich am Heiligabend noch einen Wanst anfuttern, wenn man bereits einen hat?

Folglich ist für meinen Freund Henry bis zu den Festtagen erst einmal strenges Maßhalten angesagt. Aus diesem Grund lotse ich ihn im Supermarkt vor das Regal mit den Tütensuppen: „Hier finden wir bestimmt etwas, das lecker ist und keine Kalorienexplosion verursacht.“ Henry ist skeptisch. Als Erstes greife ich nach einer Tüte mit Zwiebelsuppe. „Wie wäre es hiermit?“, frage ich. Henry erwidert: „Mir knorrt bereits der Magen!“ Mir fällt auf, dass die vermeintliche Zwiebelsuppe gar keine wirkliche Zwiebelsuppe ist, sondern – so steht es nämlich auf der Verpackung – eine „Zwiebel Suppe“. „Zusammenschreibung war gestern“, bemerkt Henry, „der Trend geht zur Getrennt Schreibung.“

Mein Blick wandert zur nächsten Tüte: „Tomaten Suppe mit Eierrosetten“ steht darauf zu lesen. „Wie wäre es damit?“, frage ich, „du magst doch Tomatensuppe?“ – „Ich mache mir aber nichts aus Eierrosetten“, schnaubt Henry. Mich wundert es, dass die Eierrosetten so beherzt in einem Wort geschrieben wurden. Weiter oben auf derselben Packung prangt nämlich noch das Prädikat „Kaiser Teller“.

Was mag den Hersteller dazu bewogen haben, seine korrekten Tütensuppen unkorrekt als „Tüten Suppen“ anzubieten? Hält er die Zweiwortschreibung für schöner? Oder für lesbarer? Hätte er dann nicht wenigstens einen Bindestrich einziehen können? Die Schreibung „Tomaten-Suppe“ ist zwar keine Duden-Empfehlung (der Duden kennt nur zusammengeschriebene Tomatensuppe), sie ließe aber wenigstens noch ein gewisses Verständnis für die Zusammengehörigkeit der beiden Wörter erkennen.

„Nun sieh dir das an!“, ruft Henry aus und greift eine weitere Tüte aus dem Regal. „Es geht also doch!“ Die Packungsaufschrift verheißt: „Tomatensuppe mit Reis“. Seltsam. An welcher Regel mag man sich hierbei orientiert haben? Gibt es eine Regel, die besagt, dass Tomatensuppe zusammengeschrieben wird, solange sie „mit Reis“ angeboten wird, aber in zwei Wörtern, wenn es sie „mit Eierrosetten“ gibt? Ist die Beilage ausschlaggebend für die Rechtschreibung? In welchen Büchern wird so etwas behauptet? In Koch Büchern? An welchen Schulen wird so etwas gelehrt? An Grafik Schulen?

Die nächste Tüte macht die Verwirrung komplett: „Tomatencreme Suppe“. Was soll das sein: eine Suppe aus Tomatencreme? Es ist doch wohl eher eine Cremesuppe mit Tomaten gemeint. Hier wurde nicht nur das Wort auseinandergerissen, sondern obendrein auch noch der Sinn.

Das gilt auch für die „Blumenkohl Broccolicreme Suppe“, die vermutlich eine Blumenkohl-Broccoli-Cremesuppe sein soll. Immerhin scheint dem Hersteller die Existenz des Bindestrichs nicht gänzlich unbekannt zu sein, wie sein „Lachs-Sahne Gratin“ erkennen lässt, der in dieser Schreibweise allerdings wie ein Auflauf aus Lachssahne daherkommt. Dass die Bindestriche möglicherweise aus grafischen, keinesfalls aber aus orthografischen Gründen eingestreut wurden, beweist die Panade für ein „knuspriges Wiener-Schnitzel“. Das Wiener Schnitzel kommt normalerweise ohne Bindestrich aus, so wie Frankfurter Würstchen und Lübecker Marzipan. Denn „Wiener“ ist eine Ableitung von „Wien“. „Wiener“ kann aber auch für „Wiener Würstchen“ stehen, und wenn man diese Wiener mit dem Wort Schnitzel koppelt (Wiener-Schnitzel), dann erhält man kein Schnitzel nach Wiener Art, sondern eine Kombination aus Schnitzel und Würstchen.

Der halbwegs geschulte Verbraucher mag zwar ahnen, dass so eine kulinarisch fragwürdige Variante hier nicht gemeint ist. Er wird auch wissen, dass es sich bei der „Spargelcreme Suppe“ nicht um eine Suppe aus Spargelcreme handelt. Und er kann sich ausrechnen, dass die „Kartoffel Steinpilz-Creme Suppe“ kein Drei-Gänge-Menü ist, bei dem es neben einer Suppe und einer Kartoffel auch noch eine leckere Creme aus Steinpilzen gibt. Vor allem aber erkennt er, dass das Design der Tüten in orthografischer Hinsicht völlig willkürlich ist. Das Tohuwabohu aus Zusammenschreibung, Getrenntschreibung, Bindestrichsetzung und Bindestrichverzicht hinterlässt beim Verbraucher einen bedauernswert hilflosen Eindruck.

Es stellt sich die Frage: Darf sich die Industrie aus grafischen Gründen über die gängige Rechtschreibung hinwegsetzen? Die Antwort ist ernüchternd: Sie darf es. Zwiebelsuppe in zwei Wörtern zu schreiben, ist zwar falsch, aber gesetzlich nicht verboten. Es steht jedem frei, seine ganz eigene Rechtschreibung zu kreieren, solange er dies nicht im öffentlichen Dienst tut. Wer wirtschaftlich auf eigene Rechnung arbeitet, darf auch orthografisch sein eigenes Süppchen kochen. Wenn der Hersteller allerdings glaubte, die Suppe durch das Auseinanderreißen ihrer Bestandteile appetitlicher erscheinen zu lassen, ging – zumindest was Henry und mich betrifft – der Schuss nach hinten los. Wir stellen die Tüten ins Regal zurück und schieben unseren Einkaufswagen in Richtung Feinschmeckerabteilung. Tütensuppen, die sich als Tüten Suppen ausgeben, kommen uns heute nicht in die Tüte.

Henry steuert auf das Tiefkühlregal zu und greift nach kurzem Suchen eine Packung mit Lachs heraus. „Basilikum Lachs“ steht darauf in großer Schrift. Und etwas kleiner darunter: „mit Senf-Honig Sauce in Scheiben“. „Das grenzt an ein Kunststück!“, bemerkt Henry. „Was soll daran ein Kunststück sein?“, frage ich ungläubig. Henry erklärt es mir: „Ich kenne niemanden, dem es jemals gelungen ist, eine Soße aus Senf-Honig in Scheiben zu schneiden!“

(c) Bastian Sick 2009

Weitere unglaubliche Beispiele im Foto Album

Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.

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2 Kommentare

  1. Auch, wenn der Duden sich noch so sehr wehrt: Es gibt einen inhaltlichen Unterschied zwischen „zusammen schreiben“ und „zusammenschreiben“. (Beispiel: „Sie haben das Buch zusammen geschrieben“: Beide waren beteiligt; „Sie haben das Buch zusammengeschrieben“: Sie haben sich von überall her Versatzstücke geholt und wenig sinnvoll zusammengesetzt.
    Auch der Sinn einer Aussage bestimmt die Rechtschreibung!

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