Sonntag, 20. Oktober 2024

Ich hab den Hals voll!

Löwe brüllt (drawingforkids.org)_7aGbjrKw_f.jpg

Ein Leser aus Berlin möchte wissen, ob die Redewendung „den Hals voll haben“ richtig ist oder eher auf einer Verwechslung beruht. Zwiebelfisch-Praktikantin Lisa Kienle hat die Nase ins Wörterbuch gesteckt, bis es ihr zu den Ohren rauskam, und gibt nun aus vollem Halse Auskunft.

Frage eines Lesers aus Berlin: Lieber Zwiebelfisch, gestern erzählte ein Arbeitskollege, er habe ja eigentlich keine Vorurteile, aber ihm sei bei einem Besuch in Polen schon nach drei Stunden sämtliches Gepäck geklaut worden, er habe dann schon gleich zu Beginn seines Urlaubs „den Hals voll gehabt“. Darauf ich: „Das ist ja bedauerlich, aber du hattest doch wohl eher die Nase voll oder hattest vielleicht einen Hals, aber den Hals voll hat allenfalls der Dieb nicht gekriegt. Du vertauschst hier Redewendungen.“ Er wollte mir partout nicht glauben und beharrte darauf: „Das sagt man so und das habe ich immer so gesagt.“ Hat er immer schon geirrt?
Viele herzliche Grüße, Christoph Oertel

Antwort des Zwiebelfischs: Lieber Herr Oertel! Redewendungen liefern täglich Grund zum Schmunzeln: Entweder weil damit die Erzählung lebhafter wird und das Gesagte charmant überspitzt wird, oder weil das Gegenüber Schwierigkeiten mit der korrekten Verwendung geläufiger Redewendungen hat und dies zu verstohlenem Grinsen oder schallendem Gelächter führen kann. Ihr Kollege hat mit Sicherheit „einen dicken Hals bekommen“, als man ihn um sein Gepäck gebracht hat. Höchstwahrscheinlich wollte er den Dieben „den Hals umdrehen“, auch wenn er dabei „seinen eigenen Hals riskiert“ hätte. Vielleicht hätte er „aus vollem Hals“ um Hilfe rufen sollen. Die Diebe hätten dann alsbald die Polizei „am Hals“ gehabt und wären so lange gehetzt worden, bis man sich die Sache mit dem geklauten Gepäck endgültig „vom Hals geschafft hätte“.

Dies war nur ein kleiner Auszug aus der illustren Sammlung an Redewendungen mit „Hals“, die uns die Wörterbücher (z.B. Duden Band 11 „Redewendungen“ und Lutz Röhrich: „Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten“) anbieten. Die Version „den Hals voll haben“ ist darin jedoch nicht enthalten. Sie können es Ihrem Kollegen also – mit Recht – „unter die Nase reiben“ und ihm den naseweisen Rat erteilen, anstelle seiner Eigenkreation besser „die Nase gestrichen voll zu haben“ (in jedem Falle eher zu empfehlen als die sprichwörtliche „Schnauze“). Sie hatten in Ihrer Diskussion eindeutig „die Nase vorn“, was hoffentlich nicht dazu führt, ihm „nun eine lange Nase zu drehen“, schließlich sollte sich jeder „an die eigene Nase fassen“ und sich angewöhnen, im Zweifelsfall die „Nase ins Wörterbuch zu stecken“.

Naseweis grüßt
Lisa Kienle
Zwiebelfisch-Praktikantin

Für alle, denen das Thema Redewendungen noch nicht zum Hals heraushängt, gibts hier noch ein paar Hinweise auf mehr:

Zwiebelfisch: Licht am Ende des sturmverhangenen Horizonts
Zwiebelfisch: Was man nicht in den Beinen hat …
Zwiebelfisch: Sprichwörtlich in die Goldschale gelegt

Lesen Sie auch:

Steht vor „bis“ ein Komma?

Frage einer Freundin aus Münster: Lieber Bastian, es gibt eine interessante Frage, die selbst die geballte Münsteraner …

10 Kommentare

  1. Der Vollständigkeit halber sollte man ergänzen, dass man auch „den Hals nicht voll kriegen“ kann. Diese Redewendung wurde hier wohl mit „die Nase voll haben“ vermischt.

    • Christoph Oertel

      Richtig erkannt, allerdings ist das hier gar nicht zu ergänzen, da beide Redewendungen bereits im Text erwähnt sind, sogar bereits in der Leseranfrage, die natürlich keine Frage war, sondern ein süffisanter Beitrag zum bekannten Thema „falsch“ angewendeter Redewendungen.

  2. Sehr schön formuliert, Frau Kienle. Da macht das Lesen doch Spaß.

  3. Unter den vertauschten Redewendungen kenne ich von meinem ehemaligen Chef: „die Rosinen aus dem Feuer holen“, „die hören ja das Gras husten“ und „die braten ihr eigenes Süppchen“
    Viele Grüße,
    Ortwin Trapp

  4. Ich bin in Freiburg im Breisgau aufgewachsen, wo beide Redensarten gebraucht wurden. Man konnte sowohl die Nase als auch den Hals voll haben. Meist hatte man den Hals voll. Ich nehme an, es gibt hier regionale umgangssprachliche Unterschiede, die der Zwiebelfisch kennen und anerkennen sollte. Herzlichen Gruß, Anita Johnson

  5. „Den Hals nicht voll kriegen können“ ist eine Redewendung, die man oft hört, wenn jemand gierig ist und nie genug kriegen kann.

  6. Und letzten Freitagnachmittag auf WDR 5: „Vorsicht ist der Elefant in der Porzellankiste“.
    Toll!

  7. Es gibt aber auch noch die Redewendung „den Hals nicht voll genug kriegen können“. Die trifft aber in diesem Fall wohl eher auf die Diebe zu…
    Herzliche Grüsse an die Zwiebelfische

  8. „Den Hals voll haben“ gibt es sicher nicht. Aber es gibt genug Leute, die „den Hals nicht voll bekommen können“ 🙂

  9. „Ick heb de Hals full“ hört man in Ostfriesland immer wieder.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert