Ist unsere Sprache sexistisch? Werden Frauen durch Wörter wie „Studenten“, „Besucher“ und „Fußgänger“ diskriminiert? Müssen wir das Deutsche einer Geschlechtsumwandlung unterziehen? Einige Bürokraten verlangen dies tatsächlich, vor allem in der Schweiz.
Als ich an einem ganz gewöhnlichen Freitag in der Zeitung blätterte, blieb ich an einem Artikel über Amtsdeutsch hängen, der so unglaublich war, dass ich mich prompt an meinem Kaffee verschluckte. Darin wurde über die Arbeit einer Schweizer Nationalrätin berichtet, die sich seit Jahren energisch dafür einsetzt, die Amtssprache so geschlechtsneutral wie möglich zu gestalten.
Mit Erfolg, wie sich zeigte. Denn im Sommer 2010 brachte die Stadt Bern einen „Sprachleitfaden für die Stadtverwaltung“ heraus, der die Vermeidung geschlechtsspezifischer Wörter empfiehlt. Anstelle von männlichen Personen- und Berufsbezeichnungen wie „Arbeiter“, „Kunde“, „Fußgänger“ und „Besucher“ solle man neutrale Begriffe wie „Arbeitende“, „Kundschaft“, „Passanten“ und „Gäste“ verwenden.
Ähnliche Bestrebungen kennt man ja bereits von unseren Universitäten, an denen es laut offizieller Sprachregelung keine Studenten mehr gibt, sondern nur noch Studierende. Der Berner Sprachleitfaden geht aber noch weiter. Auch bei Zusammensetzungen, die einen geschlechtsspezifischen Teil enthalten, müsse künftig umgedacht werden. Statt „Mitarbeitergespräch“ empfiehlt der Leitfaden „Beurteilungsgespräch“ – offenbar voraussetzend, dass es in Gesprächen mit Mitarbeitern immer um deren Beurteilung gehe.
Die „Einwohnerbefragung“ soll nach Willen des Berner Stadtrates künftig zur „Bevölkerungsbefragung“ werden. In Deutschland haben wir ja zum Glück noch das schöne kompakte Wort „Volksbefragung“ oder auch die „Volkszählung“, die zwar nicht unumstritten ist, aber das nicht aus genderspezifischen Gründen.
Und nicht zu vergessen der Führerschein! Oder, wie man in der Schweiz sagt, „Führerausweis“. Der muss ebenfalls dran glauben. Denn wo bleiben da schließlich die Führerinnen? Darum soll der Führerschein in der Schweiz demnächst „Fahrausweis“ heißen.
Bei uns ist es im Prinzip ja ähnlich: Wenn man mit Alkohol am Steuer von der Polizei angehalten wird, heißt es auch hierzulande statt Führerschein plötzlich Fahrausweis – für Bahn und Bus.
Ebenfalls zu männlich: der „Fußgänger“. Auch der wird – schnipp, schnapp – seiner Männlichkeit beraubt. Der „Fußgängerstreifen“ – so sagte man im Schweizer Amtsdeutsch bislang zum Fußgängerüberweg – wird künftig zum „Zebrastreifen“. Das Zebra ist eindeutig sächlich und kann daher keinen Schaden anrichten.
Ich bin mir nicht sicher, ob man die Sprache verändern muss, wenn man die Gesellschaft verändern will. Wörter wie „Fußgänger“ und „Kunde“ mögen grammatisch männlich sein, aber ihre Bedeutung ist so geschlechterübergreifend wie „der“ Mensch. Wenn ich das Wort „Person“ höre, denke ich auch nicht automatisch an eine Frau, nur weil „die Person“ weiblich ist. Und es ist mir egal, ob ich als Figur männlich oder weiblich bin, solange ich nur eine gute abgebe.
Die Entmannung der Sprache macht aber nicht beim Fußgänger Halt. Wörter, die das erkennbare Wort „Mann“ enthalten, stehen auf der Berner Abschussliste ganz oben: Aus „Mannschaft“ wird „Gruppe“, und der „Ein-Mann-Betrieb“ wird zum „Ein-Personen-Betrieb“. In die Verlegenheit, die Fußballnationalmannschaft in „Fußballnationalgruppe“ umbenennen zu müssen, kommen die Schweizer zum Glück nicht, da diese für sie ohnehin nur kurz und knapp die „Nati“ ist.
Da die Berner Stadtverwaltung ganz bodenständig denkt und sich nicht anschickt, nach den Sternen zu greifen, brauchte sie sich auch kein Ersatzwort für „bemannte Raumfahrt“ auszudenken. Was wäre dabei herausgekommen: „bemenschte Raumfahrt“? Im Unterschied zur behundeten und beafften Raumfahrt?
Und was ist in Bern nach neuer Sprachregelung wohl ein „herrenloses“ Fahrrad? „Besitzerlos“ kann es auch nicht heißen, denn der Besitzer ist genauso männlich wie der Herr. Es ist ja in der Schweiz nicht einmal ein Fahrrad, sondern ein „Velo“. Richtig kompliziert wird es, wenn es sich bei dem herrenlosen Fahrrad auch noch um ein Damenfahrrad handelt. Ich möchte nicht in der Uniform des Schweizer Polizeibeamten stecken, der zu Protokoll geben muss: „In der Berner Herrengasse wurde heute Vormittag ein herrenloses Damenfahrrad sichergestellt.“ Das klingt im neuen Schweizer Amtsdeutsch womöglich so: „In der Bernerinnen und Berner Gruppengasse wurde heute Vormittag ein kaufkundschaftsloses Velo für weibliche Verkehrsteilnehmende sichergestellt.“
Die Ideen der Sprachkastrationsbeauftragten gehen noch weiter: Auch die Wörter „Mutter“ und „Vater“ seien zu vermeiden, da diese „zu geschlechtsspezifisch“ seien. Anstelle von „Vater“ oder „Mutter“ solle man „der Elternteil“ schreiben – oder noch besser: „das Elter“! Demnächst wird es in der Schweiz dann keine Vaterschaftstests mehr geben, sondern Elterschaftstests. Nicht zu verwechseln mit dem Elchtest. Der Muttertag wird dann wohl irgendwann zum „Tag des austragenden Elters“ und der Vatertag zum „Tag des einschenkenden Elters“.
Vielleicht sind die Schweizer in Geschlechterfragen deshalb so besonders sensibel, weil ihr Land zu den wenigen Ländern zählt, die einen weiblichen Artikel haben. Deutschland hingegen ist sächlich und somit – zumindest grammatisch – ebenso neutral wie Österreich. Wenn die Gender-Diskussion weiter vorangetrieben wird, kommt es womöglich irgendwann dazu, dass die Schweizer ihre Neutralität auch im Landesartikel verankert sehen wollen und von oberster Stelle verfügt wird: Ab sofort heißt es „das Schweiz“.
(c) Bastian Sick 2010
Fotostrecke: Die Entmannung unserer Sprache
Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.
Ich kann Sie beruhigen, Bastian Sick, den Berner Sprachleitfaden für die Stadtverwaltung wird man bald vergessen und bloß noch den Kopf darüber schütteln. Was sich da Sprachschöpfer, wohl eher Sprachschöpferinnen, am Schreibtisch zur Arbeitszeit ausgedacht haben, ist hirnrissig. Das ist die Ansicht einer Schweizerin.
Ob wohl irgendwann jemand merkt, dass der Faden einen männlichen Artikel hat und somit der Sprachleitfaden, in dem der männliche Faden sogar leitende Funktion über die(!) Sprache hat, eine rein sprachlich sehr männliche Angelegenheit ist 😉
Sehr amüsant! Frei nach Obelix kann man da nur sagen: „Die spinnen, die Berner!“, oder eben mit Frau Nussbaum hoffen, dass man nicht alles so heiß isst, wie es gekocht wird. Das herrenlose Damenfahrrad kommt übrigens schon in dem Lied „der Tankerkönig“ von Hannes Wader vor:
„Ich rannte nach draußen, warf die Armbrust weg, schwang mich auf ein herrenloses Damenfahrrad und jagte quer durch die City zum Ortsausgang.“
Beste Grüße,
HB
Guten Tag Herr Sick. Bei der Lektüre Ihres wie immer sehr lesenswerten Newsletters bin ich auf Ihren Beitrag „Die Entmannung unserer Sprache“ gestossen, der ja schon vor vielen Jahren erschienen ist. Ich bin voll einverstanden mit Ihren Anmerkungen zu diesem Thema. Im übrigen sei zwar der Sprachleitfaden für die Bernische Verwaltung nicht mehr aktuell, aber ein letzthin erschienener Ratgeber der Universität Bern („Broschüre zur geschlechtergerechten Sprache“, 48 Seiten, 2017) zum selben Thema greift das feministische Anliegen wieder auf. Wer sich konsequent an die sprachlichen Regeln halte, wende diese irgendwann selbstverständlich an und übertrage den Gleichstellungsgedanken dann vielleicht auch auf andere Lebensbereiche. Es dürfte dann aber nicht mehr heissen: „Frauen sind die besseren Autofahrerinnen“, sondern konsequenterweise: „Frauen sind ebenso gute Autofahrerinnen“.
Die sogenannte Gender-Gerechtigkeit in der Sprache ist nicht nur unsinnig. Sie spaltet das Volk auch in zwei Teile.
Auf diese Weise kann man wieder Lager gegeneinander ins Spiel bringen, um nicht zu sagen: aufhetzen.
Es scheint beschlossene Sache zu sein, Frauen und Mädchen als die besseren Menschen zu präsentieren. Ob TV-Kommissar, „Klimaretter“ oder Kanzler – Sie sind besser! Demgegenüber wird zunehmend der Mann als Brutalo oder Antiheld dargestellt und darf bestenfalls einer taffen Frau assistieren. Die Bestrebungen, alles Männliche zu diskreditieren und aus der Sprache zu verbannen, kann irgendwann zum gesellschaftlichen Sprengstoff werden. Vielleicht sind wir aber schon mittendrin.