Sonntag, 20. Oktober 2024

Darauf können Sie zählen!

Jeder Hans platzt vor Stolz, wenn sein Hänschen anfängt zu zählen. Nun ist das Zählen nicht so schwer. Problematischer wird es mit dem Aufzählen. Das lernen manche nie: Hänschen mit seinem, großen Mund nicht und Hans, nimmermehr.

So einfach sie auf den ersten Blick auch zu beherrschen scheint, so tückisch kann sie in Wirklichkeit doch sein: die Aufzählung. Dem Grammatikfreund ist die Aufzählung ungefähr das, was dem Modelleisenbahner das Zusammenstellen eines Zuges. Beide müssen auf Kompatibilität und Kupplungsmöglichkeiten ihrer Waggons achten; denn nicht nur Modellzüge können leicht aus der Spur springen, auch Aufzählungen können entgleisen. Mögliche Ursachen gibt es viele: fehlende Kommas, falsche Kommas, verkehrte Kasus-Endungen, missverständliche Bezüge.

Nehmen wir zunächst mal das Komma: Die einzelnen Glieder einer Aufzählung werden durch Kommas voneinander getrennt, sofern nicht ein Bindewort („und“, „sowie“ oder „oder“) die Lücke füllt. Bei der bloßen Aufzählung von Dingen oder Namen ist dies allgemein kein Problem:

„Auf dem Flohmarkt erstand ich eine Kaffeekanne aus Porzellan, vier dazu passende Tassen, einen Zuckertopf und mehrere Teelöffel.“

Schwieriger wird es da mit den Eigenschaftswörtern. Hier zunächst ein Beispiel für eine richtige Aufzählung:

Nachmieter gesucht für komplett renovierte, großzügig geschnittene, günstig gelegene und sonnendurchflutete Vier-Zimmer-Wohnung für 540 Euro warm.

Das hört sich gut an, das liest sich auch flott und macht Lust, sofort zum Telefon zu greifen. Nun aber ein Beispiel für eine scheinbare Aufzählung, die in Wirklichkeit keine ist:

Er deutete auf seine unversehrt gebliebene, linke Gesichtshälfte.

Zwischen „gebliebene“ und „linke“ gehört kein Komma, denn die Gesichtshälfte ist nicht einerseits unversehrt geblieben und andererseits links. Vielmehr bildet die „linke Gesichtshälfte“ eine feste Einheit, die sich durch eine einzige Eigenschaft (unversehrt geblieben) auszeichnet.

Ebenfalls nicht für jedermann selbstverständlich ist die Erkenntnis, dass Pronomen („meine“, „ihre“, „alle“) und Artikel („der“, „die“, „das“, „ein“, „eine“) keine Glieder einer Aufzählung sind. Diese durch Komma abzutrennen, kommt einer völligen Sinnentstellung gleich:

Immer wieder dachte er an ihre, von der Natur so schön geformten Hände.

Apropos schön geformt: Die formschöne Schwester der Aufzählung ist der Einschub. Und wie so oft bei schönen Schwestern, wird die eine leicht mit der anderen verwechselt. Wenn es heißt: „Der Chef, Willi Wichtig und ich“, dann sind drei Personen im Spiel, die hübsch der Reihe nach genannt werden. Wenn vor dem „und“ aber ein Komma steht, dann sind es nur noch zwei, denn dann sind der Chef und Willi Wichtig ein und dieselbe Person. Der Name (Willi Wichtig) ist dann nicht Teil einer Aufzählung, sondern ein Einschub, der das Vorangegangene (den Chef) näher definiert. Aber was genau ist ein Einschub? Ein Einschub ist etwas, das man mit „das heißt“ oder „genauer gesagt“ einleiten könnte. Im folgenden Beispiel haben wir es mit einem Satz zu tun, der durch vier Kommas entstellt wurde, die allesamt überflüssig sind: „Ich möchte mich um die, bei jobpilot.de, ausgeschriebene Stelle, als Java-Spezialist, in Ihrem Team bewerben.“ Ob dieser Bewerber, wirklich, eine Chance, hatte? Möglich, dass Java sein Spezialgebiet ist. Zeichensetzung ist es offensichtlich nicht. Die hier durch Kommas abgetrennten Satzteile sind keine Einschübe; wären sie es, so müsste sich die Bewerbung nämlich folgendermaßen lesen lassen: „Ich möchte mich um die, das heißt bei jobpilot.de, ausgeschriebene Stelle, genauer gesagt als Java-Spezialist, in Ihrem Team bewerben.“ Und spätestens nach dieser Gegenprobe wird der Unsinn der über den Satz gestreuten Kommas klar. Richtig wäre gewesen: „Ich möchte mich um die bei jobpilot.de ausgeschriebene Stelle als Java-Spezialist in Ihrem Team bewerben.“

Man kann einen Einschub auch durch Gedankenstriche oder Klammern kennzeichnen. Bei einer Aufzählung geht das nicht. Auf der Internetseite der Wiener Verkehrsbetriebe findet man folgenden Hinweis: „Kinder (Hunde und Fahrräder) fahren zum halben Preis.“

Da die Hunde und Fahrräder hier zwischen Klammern stehen, erkennt sie das Grammatikprogramm in unserem Kopf als Einschub, als nähere Bestimmung der zuvor erwähnten Kinder. Und das führt unweigerlich zu Irritationen. Nun ist unser Hirn zum Glück in der Lage, diesen Verständnisfehler rasch zu beheben und die Hunde und Fahrräder als Teile einer Aufzählung zu begreifen. Doch nicht immer liegt das Gemeinte so offensichtlich auf der Hand. Stünde dort etwa „Arbeitslose (Schüler und Studenten)“, so müsste man doch einen Moment lang überlegen, wie das denn nun gemeint ist.

Und nicht zuletzt empfiehlt es sich beim Aufzählen, sich stets zu vergewissern, dass die aufgereihten Dinge alle im gleichen Bezug stehen. „Anno 1797 erhielten wir vom Rath der Stadt die Erlaubnis, Bier zu brauen …“, hat ein stolzer Gastwirt der beschaulichen Mainstadt Miltenberg an seine Wirtschaft geschrieben — und zum Entsetzen aller Durchreisenden hinzugefügt: „… Gäste zu beherbergen, bewirten, beköstigen und zu schlachten.“ Das ist zum Fürchten, zum Gruseln — und zum Lachen.

(c) Bastian Sick 2008


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 4“ erschienen.

Lesen Sie auch:

Das Wunder des Genderns

Kein sprachliches Thema hat die Gemüter in den letzten Jahren so sehr bewegt und erhitzt …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert