Sonntag, 20. Oktober 2024

Seid an Seit ins Getümmel


Frage eines Lesers:

Lieber Bastian Sick, ist es nicht „mein gutes öffentliches Recht“ als Gebührenzahler, das Programm in korrekter deutscher Rechtschreibung und Grammatik zu bekommen? Dass gelegentliche Fehler vorkommen, ist ja verzeihlich. Aber die „Brisant“-Sendung von heute (5. Februar) ist in dieser Hinsicht einfach nur ärgerlich. Da wird in einem Beitrag über Ralph Siegel ein Text eingeblendet, in dem steht, dass er „seid Jahren“ Krebs hat. Nur Augenblicke später ist zu lesen, er hoffe, den Krebs „entgültig“ zu überwinden.

Als Quelle wird die „Bild“-Zeitung erwähnt. Aus dieser Richtung ist ja nun nichts Gutes zu erwarten. Aber haben die Sendungen der ARD nicht verantwortliche Redakteure, die die Beiträge vor der Veröffentlichung kontrollieren?

Mit den besten Grüßen, Nils Knigge

Antwort des Zwiebelfischs:

Lieber Nils, vielen Dank für Ihre E-Mail! Auch ich habe die Meldungen über Ralph Siegels Gesundheitszustand verfolgt und war sehr besorgt, allerdings weniger aufgrund der Orthographie. Ich schätze Ralph Siegel sehr und habe großen Respekt vor seiner Leistung; und ich wünsche mir, dass er wieder ganz gesund wird, auf dass er uns noch viele wunderbare Lieder schenken kann.

Aber nun zu Ihnen und Ihrer Frage. Angesichts Ihres Nachnamens scheinen Sie ja geradezu berufen, auf die Etikette zu achten! Dass „seid“ und „seit“ verwechselt werden, kommt nicht gerade selten vor. In Foren und Chats im Internet wimmelt es von Einträgen à la „Wo seit ihr?“ und „Seid wann ist das so?“. Genauso ist es mit „endgültig“, das oft genug mit einem ungültigen „t“ in der Mitte und einem gültigen „t“ am Ende geschrieben wird.

Einem Schüler, der nicht wusste, ob „Ihr seid doch alle dabei gewesen“ mit „d“ oder „t“ geschrieben wird, riet sein Lehrer, statt des Perfekts lieber die Vergangenheit zu wählen. Eine wenig hilfreiche Empfehlung, zumal sich bei „Ihr wart doch alle dabei“ das gleiche Problem stellt. Ich selbst muss auch jedes Mal nachdenken, ob „ihr wart“ mit „d“ oder mit „t“ geschrieben wird; denn ein „ward“ mit „d“ gibt es auch, und zwar als alte Form für „wurde“: „Und es ward Licht““ Das ist heute zwar kaum noch in Gebrauch, denn aus „ward“ ward wurde, und niemand kann sagen, was einmal aus „wurde“ werden wird.

Der just erwähnte Schüler konnte übrigens von Glück sagen, dass er nicht schreiben musste: „Seit ihr Seit an Seit in den Kampf gezogen seid …“ Dann wäre er endgültig verzweifelt und hätte entgeltlich Nachhilfe nehmen müssen.

Warum es zwischen „seit“ und „seid“ und zwischen „end-“ und „ent-“ immer wieder zu Verwechslungen kommt, ist leicht zu verstehen: Wenn „d“ und „t“ am Ende einer Silbe stehen, gibt es klanglich keinen Unterschied. In manchen Gegenden Deutschlands, in Franken zum Beispiel, gibt es zwischen „d“ und „t“ nicht einmal einen Unterschied, wenn sie am Anfang stehen. Während auf die feine hochdeutsche Art beim Naseputzen „ins Taschentuch getrötet“ wird, macht der Franke es auf seine Weise anders, denn er „dud ins Daschenduch dröden“.

Nun sind Gleichklang von Konsonanten und Besonderheiten von Dialekten keine Rechtfertigung für mangelnde Rechtschreibung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Nicht einmal in einer Sendung, die offenbar eher „brisand“ als brisant ist. Leider gibt es keinen Rechtsanspruch auf fehlerfreies Fernsehen; ich befürchte, man kann bei einer Häufung von Rechtschreibfehlern nicht einmal eine Gebührenminderung geltend machen. Sonst wären unsere Fernsehanstalden balt am Ente.

(c) Bastian Sick 2010


 

Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.

Lesen Sie auch:

Das Wunder des Genderns

Kein sprachliches Thema hat die Gemüter in den letzten Jahren so sehr bewegt und erhitzt …

Ein Kommentar

  1. Ich bin begeistert:-))

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert