Dienstag, 12. März 2024

Von Protestlern, Widerständlern und Abweichlern

Der Teufel steckt im Detail. Zum Beispiel in einer unscheinbaren Endsilbe. Tagtäglich werden Politiker, Gewerkschafter und andere Mitglieder der Gesellschaft in der Presse zu Fuzzis deklassiert. Schuld ist ein scheinbar harmloses Wortanhängsel, das ehrbare Arbeit und mutiges Aufbegehren läppisch klingen lässt.

Sie sind die Helden unserer Gesellschaft: Sportler, Wissenschaftler, Künstler. Eines haben sie auf den ersten Blick gemeinsam: das Suffix. Suffix ist der Fachausdruck für eine Ableitungssilbe, die an ein Wort oder einen Wortstamm angehängt wird. In diesem Fall ist es das -ler, dessen schöpferische Leistung darin besteht, aus einem Sachgebiet – Sport, Wissenschaft, Kunst – eine Person – den Sportler, den Wissenschaftler, den Künstler – zu erschaffen.

Somit scheint diesem Suffix grundsätzlich nichts Schlechtes innezuwohnen. Dennoch vermag es, an ungewohnter oder falscher Stelle gesetzt, Böses anzurichten. Mit dem kleinen -ler lassen sich einzelne Personen und ganze Gruppen sprachlich herabwürdigen. In der Regel geschieht dies in voller Absicht, zum Beispiel in Kommentaren, wenn es darum geht, einer in Ungnade gefallenen Person einen zusätzlichen Tritt in den Hintern zu verpassen. Oder um Menschen in Gut und Böse zu unterteilen. So hat der „Kriegsgewinnler“ im Unterschied zum „Kriegsgewinner“ überhaupt nichts Heroisches. Das eingefügte „l“ macht aus dem Sieger einen skrupellosen Profiteur.

Wer „Hausbesetzler“ statt „Hausbesetzer“ sagt, gibt damit zu erkennen, dass er die Hausbesetzer nicht ganz ernst nimmt, sie für spätpubertierende Möchtegern-Rebellen hält. Und aus dem Schubladen-Unwort „Unterschichtler“ spricht womöglich die tiefe Verachtung eines unteren „Mittelschichtlers“.

Der abwertende Beigeschmack der Endung -ler kommt vor allem bei Politikern und Funktionären zum Tragen. Man kennt den Ausdruck „Hinterbänkler“, der drei Diskriminierungen auf einmal enthält: der Abgeordnete wird aufs Sitzen reduziert, dann auch noch nach hinten geschoben und zu schlechter Letzt mit einem -ler als Fuzzi abgetan.

Wenn der Verfasser eines Kommentars richtig in Fahrt kommt, dann verwendet er auch gerne Ausdrücke wie „Ausschüssler“, „Gewerkschaftler“ und „Vorständler“. Letzteres bewegt sich klanglich sehr in der Nähe des Ruheständlers, was manchmal wohl auch beabsichtigt ist. Auch „Ausschüssler“ ist nicht sehr höflich, klingt es doch mehr nach einem Kind, das eine Kuchenteigschüssel leer schleckt, als nach einem viel beschäftigten Politiker. Wen wundert es noch, wenn die Wähler von der Arbeit in parlamentarischen Ausschüssen keine hohe Meinung haben, wenn schon die Presse derart schnodderig darüber schreibt? Selbstverständlich stehen diese Begriffe nicht im Duden, ebenso wenig wie das Wort „Verhandler“, was Journalisten aber nicht davon abhält, es bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu verwenden.

Vollkommen von Wohlklang befreit sind die gern gewählten Kurzformen CDUler, SPDler, PDSler und FDPler. Praktisch zwar, gewiss, und überall dort beliebt, wo es gilt, Platz zu sparen. Die Behauptung, ihre Verwendung sei absolut wertfrei, lässt sich indes nicht halten. Denn es finden sich kaum Fälle, in denen die Bezeichnung „SPDler“ als Attribut für Gerhard Schröder herhalten muss, auch wurde Helmut Kohl nur selten als „CDUler“ beschrieben, und Angela Merkel zum Glück noch nicht als „CDUlerin“. Wenn Politiker auf die Buchstaben ihrer Partei plus das Suffix -ler reduziert werden, so handelt es sich meistens um nachrangige Funktionäre. Bei den ganz hohen „Tieren“ schreckt der Redakteur dann doch zurück. Irgendwo in seinem tiefsten Innern spürt er, dass der „SPDler Schröder“ eine Spur zu nonchalant ist.

So landet der kommentierende Nach-Tritt oftmals nicht im Hintern, sondern in einem Kuhfladen. Denn was durch Anhängen der Silbe -ler herauskommt, klingt nicht selten grauenvoll und ist von jeglichem ästhetischen Anspruch an Sprache und Stil weit entfernt.

Häftlinge als „Knastler“ zu bezeichnen („taz“), ist stilistisch genauso fragwürdig wie die frühere Bezeichnung „Zuchthäusler“.

Wer mit Computern zu tun hat, weiß, dass der Beruf des Programmierers viel zu kompliziert ist, um ihn mal eben locker als „Programmler“ („Stern“) abzutun. Dass Geheimdienstmitarbeiter von der Presse noch oft als „Schlapphüte“ bezeichnet werden, ist peinlich genug, aber wenigstens noch klangvoll; „Geheimdienstler“ hingegen klingt nur noch vermurkst – Prädikat: „bemüht lässig“. Dasselbe gilt für „Kundendienstler“. Fehlt nur noch, dass Geistliche als „Gottesdienstler“ verunglimpft werden.

Die Bezeichnung „Protestler“ für jene mutigen Menschen, die im Juni 1953 den sowjetischen Panzern die Stirn boten, wird der historischen Bedeutung nicht gerecht. Diese Menschen haben eine würdigere Bezeichnung verdient. Höchster Respekt gebührt auch jenen, die wie die Geschwister Scholl ihr Leben im Widerstand gegen das Nazi-Regime riskiert und womöglich verloren haben. Diesen Respekt lässt die flapsige Titulierung als „Widerständler“ jedoch vermissen.

Derzeit ist in den Nachrichten ständig von „Abweichlern“ die Rede; gemeint sind die „Rebellen“ in der SPD-Fraktion, die die Kühnheit besaßen, sich dem Willen des Bundeskanzlers zu widersetzen. Der Begriff ist nicht nur aus klanglichen Gründen fehl am Platze: Viele wissen offenbar nicht, dass der Begriff „Abweichler“ außerdem historisch besetzt ist. „Abweichler“ wurden jene Anhänger der kommunistischen Bewegung genannt, die für ihre Kritik am Stalinismus oftmals einen hohen Preis zahlen mussten. Einer der berühmtesten „Abweichler“ war Trotzki; er wurde 1940 ermordet. Wer also die sechs Sozialdemokraten um Klaus Barthel als „Abweichler“ bezeichnet, der schreibt der heutigen SPD stalinistische Tendenzen zu und ihrem Parteichef Gerhard Schröder eine Machtfülle, von der er in Wahrheit nur träumen kann.

In Kürze wird dieses Wort wieder in der Mottenkiste der Sprachgeschichte verschwunden sein, denn die Kritiker der „Hartz“-Gesetze wurden inzwischen wieder „auf Linie gebracht“. Dennoch gilt: Jeder wähle seine Worte mit Bedacht und im Bewusstsein ihrer Bedeutung und Wirkung. Ein „Justizler“ würde dem sofort zustimmen. Ein „Leitartikler“, ein „Krittler“ und andere „Schreiberlinge“ hoffentlich auch. Es steht aber jedem weiterhin frei, den Verfasser dieses Textes für einen „Besserwissler“ zu halten.

(c) Bastian Sick 2003


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.

Lesen Sie auch:

Das Wunder des Genderns

Kein sprachliches Thema hat die Gemüter in den letzten Jahren so sehr bewegt und erhitzt …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.