Ein Schüler will wissen, ob sich das Adjektiv „richtig“ steigern lässt. Der Zwiebelfisch kommt zu dem Schluss, dass sich „richtig“ sehr wohl steigern lässt – richtig gut sogar. Das ist vielleicht nicht immer richtig sinnvoll, aber auch nicht richtig verkehrt. Das Absolute ist relativer, als man glaubt. Das gilt sogar für scheinbar unsteigerliche Zustände wie schwanger und tot.
Frage eines Lesers: Ich bin Schüler der Kursstufe 1 und setze mich im Rahmen der Unterrichtseinheit „Textgebundene Erörterung“ viel mit Zeitungsartikeln auseinander. Dabei fallen mit ständig seltsame Wendungen und Wörter auf. Einen Fall will ich nun beispielhaft herausgreifen und um Ihre Hilfe bitten. Es geht um den Komparativ und Superlativ des Wörtchens „richtig“. Zuerst habe ich meine Deutschlehrerin gefragt, doch diese wusste nicht so recht weiter und musste plötzlich ganz schnell weg …
Aber auch im Internet lässt sich keine eindeutige Antwort finden. Die ablehnende Seite begründet ihre Position mit der Sinnfreiheit dieser Steigerung. Eine Antwort könne nicht richtiger sein als eine andere.
Die Befürworter lassen sich nicht auf philosophische Fragen ein, ihnen ist es egal, ob die Steigerung sinnvoll ist oder nicht. Solange die allgemeine Steigerungsregel …er – am …sten funktioniert, könne man das Adjektiv auch steigern. Bitte bringen Sie Licht ins Dunkel und erklären Sie mir, welche Lösung richtig ist.
Antwort des Zwiebelfischs: Das ist eine richtig spannende Frage, zu der Sie bereits eine Menge recherchiert haben. Drei Positionen haben Sie gefunden: Da war zunächst die Position Ihrer Lehrerin, die weggelaufen ist. Grundsätzlich ist diese Position richtig, denn bei solch spitzfindigen Fragen hilft manchmal nur, Reißaus zu nehmen. Dann die zweite Position, die besagt, dass eine Steigerung von richtig nicht richtig sei. Diese Position ist vermutlich richtiger als die Ihrer Lehrerin, denn eine Position zu beziehen ist immerhin mehr, als sich aus dem Staub zu machen. Und schließlich die dritte Position, die besagt, dass im Prinzip jedes Adjektiv gesteigert werden könne. Diese Position ist – meiner Meinung nach – die richtigste.
Denn wäre „richtig“ etwas Absolutes, dann könnte es bei drei unterschiedlichen Antworten nur eine geben, die richtig ist, die beiden anderen müssten automatisch falsch sein. Es gibt aber nicht bloß richtig oder falsch, nicht nur Schwarz oder Weiß, sondern viele Schattierungen und Wahrheiten dazwischen. Das beste Beispiel liefert der Duden. Dort werden uns seit der Rechtschreibreform in vielen Fällen zwei Schreibweisen angeboten: eine alte, klassische – die nach wie vor Bestand hat, also „richtig“ ist. Dann die neue, wie sie an den Schulen gelehrt wird – die folglich „richtiger“ sein muss. Und wer sich zwischen alter und neuer Rechtschreibung nicht entscheiden kann, für den hält der Duden eine gelb unterlegte Empfehlung parat. Diese Form wäre – zumindest aus Sicht der Duden-Redaktion – „die richtigste“ von allen. Ein Beispiel: Als ich zur Schule ging, wurde das Ortsadverb „zu Hause“ stets in zwei Wörtern geschrieben. Das fand ich unlogisch, sogar ungerecht im Vergleich zum süddeutschen „daheim“, das zusammengeschrieben wurde. Dann kam die berüchtigte Rechtschreibreform von 1996, und plötzlich durfte man „zuhause“ zusammenschreiben. Das fand ich prima! Endlich Gleichberechtigung von norddeutschem „zuhause“ und süddeutschem „daheim“. Zehn Jahre später, 2006, wurde die Reform noch einmal gründlich reformiert, und „zuhause“ wurde plötzlich wieder in der Getrenntschreibung zugelassen. Die alte Form „zu Hause“ ist also wieder richtig, die neue Form „zuhause“ ist zwar richtiger, da reformiert, doch da der Duden die alte Form empfiehlt, ist „zu Hause“ am richtigsten.
Es ist richtig, dass nicht jede Steigerung sinnvoll ist. Darüber habe ich vor einiger Zeit mal eine Geschichte mit dem Titel „Brutalstmöglich gesteigerter Superlativissimus“ geschrieben, in der es um alle möglichen (und vor allem unmöglichen) Steigerungsformen ging, wie zum Beispiel „aktuellste Nachrichten“, „optimalste Lösungen“ und „idealste Bedingungen“. In diesen Fällen ist der Superlativ meistens auf Unwissenheit zurückzuführen: Die eigentliche Bedeutung der Worte „aktuell“, „optimal“ und „ideal“ ist offenbar nicht jedem bekannt.
Es ist aber ebenso richtig, dass sich (fast) jedes Adjektiv steigern lässt, und wenn dies im philosophischen Kontext nicht sinnvoll ist, dann doch wenigstens als stilistisches Mittel – um eine Übertreibung hervorzuheben oder eine Abstufung zu schaffen, wo bislang keine gesehen wurde. So lassen sich sämtliche Farbadjektive steigern, und selbst die Nicht-Farben Schwarz und Weiß können zur weißesten Pracht und zur schwärzesten Nacht werden.
Sogar das Adjektiv „tot“ lässt sich steigern, und zwar im scherzhaften Gebrauch (wenn „tot“ im Sinne von „ausgestorben“, „nix los“ verwendet wird):
„Nach 18 Uhr ist das Dorf wie tot. Der Nachbarort ist noch toter. Aber am totesten ist es in Helmstedt. Toter geht’s nicht!“
Auch andere Adjektive, die sich unter normalen Umständen nicht steigern lassen, lassen sich zu scherzhaften Zwecken steigern:
„Ich bin mir sicher, dass unsere Sekretärin schwanger ist. Schau doch mal genau hin! Im Sitzen ist sie sogar deutlich schwangerer als im Stehen!“
In der Hoffnung, Ihnen damit ein wenig Licht und nicht noch dunkleres Dunkel gebracht zu haben, verbleibe ich mit herzlichen Grüßen Ihr Bastian Sick
Weiteres zu Vergleichsformen:
Zwiebelfisch: Brutalstmöglich gesteigerter Superlativissimus
Zwiebelfisch: Schöner als wie im Märchen
Zwiebelfisch: Geradewegs auf die schiefe Ebene
Und ich dachte immer, dass man tot auch dann steigern kann, wenn „tot“ gemeint ist, nämlich tot, mausetot, und mausdrecklestot.
Herr Sick, leider kann ich Ihre Argumentation zum Beispiel „richtig“ nicht nachvollziehen. Ich halte sie sogar für ausgemachten Blödsinn. Nur weil ein Wort empfohlen wird, ist es doch nicht richtiger als das andere, sondern empfehlenswerter. Richtig sind immer noch beide Schreibweisen.
Absolute Zustände kann man nicht steigern. Das entbehrt jedweder Logik. Als Mathematikerin sehe ich das eventuell etwas eng. Als stilstisches Mittel mögen die Steigerungen sinnvoll verwendet werden können. Eine logische Herleitung, um die Verwendung der Steigerungsformen absoluter Zustandsbeschreibungen zu begründen, ergibt keinen Sinn. Man begründet keine unlogischen Sachverhalte mit Logik.
Schöne Grüße
Katharina
Liebe Katharina,
das Wort „richtig“ ist nicht absolut wie „keiner“ oder „alle“.
Beispiel: Die Aussage „Hamburg hat 1,7 Mio. Einwohner“ ist richtig, denn sie ist nicht falsch.
Richtiger, im Sinne von genauer, zutreffender ist aber die Aussage „Hamburg hat 1.753.380 Einwohner am Stichtag 30.11.2013.“
Na, ich sage, die zweite Antwort ist genauer als die erste, aber nicht richtiger.
Auch ich – wenn auch Nicht-Mathematiker – möchte Katharina zustimmen.
Wenn es auch vielleicht nicht „Blödsinn“ ist, was Sie schreiben, aber sie schreibt, so doch wahrscheinlich Quatsch, was wiederum ich schreibe
Grammatik wird nicht deshalb richtig, weil sie „scherzhaft“ benutzt werden kann. Und auch eine „schwangerere“ Frau wäre damit nur „schwanger“.
Lasst uns mit diesem „Quatsch“ aufhören.
Tot ist tot, schwarz ist schwarz, aktuell ist aktuell.
Und mauseteot ist auch nut tot!
Wir brauchen diesen gesteigerten Quatsch doch nicht.
Der Grammatik-Duden bietet als Hilfsmittel an zu überprüfen, ob man etwas messen kann. Wenn man es messen kann, kann man es auch steigern. Die Länge eines Seiles kann man messen. Mir ist zwar keine Methode bekannt, wie ich feststellen kann, ob etwas richtiger ist als etwas anderes, aber ich lasse mich gerne überzeugen. Bis dahin lehne ich die Steigerung von richtig ab.
Die obigen Argumente gegen die Steigerung von „tot“ sind allesamt unlogisch, da sie auf der falschen Annahme beruhen, ein Eigenschaftswort wäre identisch mit der darin genannten Eigenschaft. Tatsächlich beschreibt ein Eigenschaftswort aber die genannte Eigenschaft nur, und beschreiben kann ein Sprecher das Beschriebene immer so, wie es ihm am geeignetsten dünkt – z.B. auch auf dramatisch gesteigerte oder poetisch geschönte Art. Menschliche Sprache ist kein logisches Kalkül, sondern ein Kommunikationsvehikel, in dem u.a. auch bei der Wortwahl Gefühle (z.B. wie ich zu dieser Eigenschaft stehe), Stilistik und auch andere Momente außerhalb der Basisbedeutung einfließen können, und so zum Empfänger der Nachricht weitertransportiert werden. Soviel dazu von mir als Mathematiker. Mit Gruß aus Japan
Viele der hier gegebenen Antworten finde ich richtig. Aber diese kommt mir am richtigsten vor. Vielleicht weil ich kein Mathematiker bin, sondern Literaturdozent. Gruß nach Japan
Wenn man nicht so recht weiss, welche Postition man beziehen will, kann man das Ganze auch ins Humoristische (ins Lächerliche?) ziehen. Das ist dann eine ähnliche Haltung, wie sie die Deutschlehrerin eingenommen hat. Tatsache ist doch, dass Wörter mit einem absoluten Sinngehalt nicht gesteigert werden sollten: weiss, schwarz, einzig, absolut, tot usw. sind solche absoluten Begriffe, ihre Steigerung ist schlicht unsinnig.
Nun, tot ist tot, töter gehts nicht.
Ansonsten fällt mir hierzu spontan die scherzhafte Steigerung von „imposant“ ein: imposand, imhinternsteine, imarschgeröll.
Ist das nun richtigerer oder falscherer Unsinn als „richtig“ oder „falsch“ steigern zu wollen? Mal ehrlich: Wörter wie richtig, falsch, schwanger, tot, rot, weiß, blau und total kann man nicht steigern. Etwas kann vielleicht kräftig knallrot sein (Gummiboote z.B.) oder blaßrot, karminrot oder blutrot, aber davon daß nun einer der Rottöne „roter“ wäre als der andere kann man wohl nicht reden.
Und „korrekt“ kann man ebenfalls nicht steigern, schon gar nicht kann etwas „politisch“ korrekt sein. Wenn etwas „politisch korrekt“ sein soll, wie wäre es dann im Vergleich zu etwas das einfach nur „korrekt“ wäre? „Unkorrekt“ natürlich! Oh, und „politisch“ ist ja wohl auch nicht steigerbar. Es sei denn, man will jemanden beleidigen.
Sie meinen >davon daß nun einer der Rottöne „roter“ wäre als der andere kann man wohl nicht reden.<
Da möchte ich widersprechen:
Grammatikalisch geht das. Ob es stilistisch oder inhaltlich passt, hängt vom Zusammenhang ab.
Die Rede davon, dass "das Graß am anderen Ufer grüner" sei, z.B. ist nicht nur eine eingespielte Floskel sondern sie ist auch pragmatisch kürzer (als z.B. von "einem tieferen Grünton" zu sprechen).
Ähnlich sieht es mit "richtig" aus, wo die Frage unscharf ist:
Wenn ich sage "Hamburg hat zwischen 1,7 und 1,8 Millionen Einwohner", ist das richtig oder falsch (wenn es 1.800.001 sind, stimmt die Aussage nicht mehr).
Wenn ich schreibe "Hamburg hat ungefähr 2 Millionen Einwohner", verläuft die Grenze nicht so eindeutig. Es gibt logischerweise einen Graubereich, in dem ein einzelner Einwohner mehr oder weniger aus der richtigen Aussage keine falsche Falsche Aussage macht (freilich kann man auf "richtig" und "falsch" in dem Zusammenhang natürlich auch verzichten und von mehr oder weniger "genauen" Aussagen schreiben. Legitim und grammatikalisch möglich ist Beides).
„Wie geht es dem Kranken? – Es geht ihm schon besser, aber noch nicht so richtig gut.“ Ok, „besser“ ist der Komparativ. Ist jetzt „gut“ der Superlativ oder „toll“?
Das ist der einzig(artig)ste Artikel, den ich hier bisher lesen durfte. Noch einzigster in seiner Art geht es kaum … oder doch?
Ich möchte hier aus dem „Gepfeferten Sprüchbeutel“ zitieren:
„Zur Zeit ein Narr sein, ist auch Kunst und Weisheit.“
Will sagen: Nach Quatsch kann man lachen. Und lachen ist gesund und am absolutesten immer zu bevorzugen.
Warum: tot, toter, am totesten
und nicht: tot, töter, am tötesten?
Das ist mal ein richtiger Text, der einen richtig zum Nachdenken bringt, bis man das (für sich) Richtigste herausgefunden hat… Frohes Neues!