Mittwoch, 27. März 2024

Mumpitz, Kinkerlitzchen und Firlefanz

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Nicht nur Literaten und Gelehrte haben neue Wörter erschaffen. Eine ebenso munter sprudelnde Quelle war seit je der Volksmund. Als besonders einfallsreich erwies er sich im Erfinden von Ausdrücken für Unsinn, Verrücktheit und überflüssigen Kram. 

Manchmal höre oder lese ich irgendwo ein drolliges Wort, das wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit erscheint. Dann fühle ich mich wie ein Flohmarktbesucher, der beim Stöbern plötzlich ein Einzelstück von seltener Schönheit erblickt. Es ist ein Wort, das ohne jede Verwandtschaft scheint und dessen Herkunft rätselhaft ist. Wenn man der Sache auf den Grund geht, kommt oftmals eine verblüffende Geschichte zum Vorschein. Im Folgenden sind meine vierzehn Lieblingswörter dieser Art versammelt, beschrieben und erklärt.

Firlefanz (m.) reimt sich auf Tanz, und das aus gutem Grund, denn es bezeichnete im 14. Jahrhundert einen närrischen Tanz. Das Wort entstand durch Übernahme des altfranzösischen „virelai“, das Ringellied bedeutet. Daraus wurde im Deutschen zunächst „firelei“ und „firlefei“, dann in Anlehnung an „Tanz“ und „Alfanz“ (= Possen, Gaukelei) schließlich Firlefanz. Die Bedeutung wurde im Laufe der Zeit von der verrückten Hüpferei ausgedehnt auf Unsinn, Albernheit, Flitterkram und Tand.

Halligalli (m.) bezeichnet heute ein ausgelassenes Treiben, ein fröhliches Miteinander. Seine englische Herkunft sieht man dem Wort dank konsequenter Eindeutschung nicht mehr an. Der Hully Gully war ein Modetanz der sechziger Jahre ohne Körperkontakt, dessen Wurzeln in der schwarzen Musikszene der Südstaaten liegen. Der Name seinerseits geht auf ein einfaches Spiel zurück, bei dem man raten ließ, wie viele Nüsse oder Kerne man in seiner Faust hielt. Dazu stellte man die Frage: „Hully Gully, how many?“

Was haben Zellophan, Klettverschluss und Kauderwelsch (s.) gemeinsam? Sie stammen aus der Schweiz! Die Sprache der Bewohner des Rheintals von Chur war für ihre deutschsprachigen Nachbarn im Bündnerland und in Tirol seit jeher unverständlich. Jene sprachen nämlich Rätoromanisch. Das Romanische wurde im Deutschen auch „Welsch“ genannt, und „Kauer“ war der tirolerische Name für Chur. Das Welsch der Kaurer wurde im Laufe der Zeit als Kauderwelsch zum Inbegriff für eine unverständliche Sprache. Das tat dem Rätoromanischen zum Glück keinen Abbruch: Es wird heute immer noch von 35.000 Muttersprachlern gesprochen, existiert in fünf Varianten und liefert faszinierendes Material für sprachwissenschaftliche Studien.

Kinkerlitzchen (s.) steht für wertlosen Schmuck, alberne Ideen und überflüssige Extras. Es ist ein Mitbringsel der Hugenotten, die im 17. Jahrhundert aus Frankreich geflohen waren und sich in protestantischen Gegenden Deutschlands ansiedelten. Manch einer von ihnen eröffnete ein Geschäft für Eisenwaren, auf Französisch quincaille genannt. Der Volksmund machte durch Anhängen der Silbe -litz und der Verkleinerungsform -chen daraus Kinkerlitzchen. Die Bedeutung wandelte sich von nützlichen Eisenwaren über Kleinkram hin zu überflüssigem Zubehör. Die bekanntesten Kinkerlitzchen unserer Tage sind sogenannte Apps.

Kokolores (m.) klingt wie der Name einer mexikanischen Tänzerin oder einer tropischen Blume, bezeichnet aber tatsächlich nichts anderes als Unsinn, Unfug und überflüssige Umstände. Wahrscheinlich geht es auf das mittelniederdeutsche Wort „gokeler“ zurück, den Gaukler. Die Verbindung zur Gaukelei erklärt auch, wieso sich Kokolores und Firlefanz in der Bedeutung so sehr ähneln.

Lappalie (w.) ist eine unbedeutende Kleinigkeit, eine Nichtigkeit. Das Wort entstand im 17. Jahrhundert in Studentenkreisen als eine scherzhafte Verbindung aus dem deutschen Wort „Lappen“ und der lateinischen Endung „-alia“, ähnlich zur „Personalie“ und anderen amtlichen „Formalien“.

Larifari (s.) bedeutet oberflächliches Gerede, dummes Geschwätz und Unsinn. Sein melodischer Klang kommt nicht von ungefähr, denn Larifari besteht tatsächlich aus Musik: Die Silben la re fa re sind italienische Notennamen, wie man sie aus der gesungenen C-Dur-Tonleiter kennt: do re mi do fa sol la si do. In früheren Zeiten stand „Lare fare“ sinnbildlich für eine kirchliche Messe. Die heutige Bedeutung erklärt sich über „Trallala“: Silben, die nur gesungen werden und ansonsten keinen Sinn ergeben. Auf den Menschen übertragen, wurde Larifari auch zum Namen für den Hanswurst. „Kasperl Larifari“ war der Name einer Figur in zahlreichen Puppenspielen des Münchner Dichters Franz Graf von Pocci und in einer Kinderbuchreihe des Autors Max Kruse.

Mumpitz (m.) bedeutet so viel wie „dummes Gerede“. Es entstand aus Zusammensetzung von „Mumme“ (= Maske, verkleideter Mensch) und „Butz“, einer alten Bezeichnung für Kobolde und Poltergeister. Der Mumbutz oder Mombotz war eine furchteinflößende Gestalt, ein Schreckgespenst. Im 19. Jahrhundert gelangte das Wort in den Börsenjargon, wo es die Bedeutung „lügnerisches Gerede“, „Schwindel“ annahm. Heute ist von der ursprünglichen Schreckgestalt nur noch eine harmlose Dummschwätzerei geblieben.

Schabernack (m.) ist ein übermütiger Streich. Wer sich in früherer Zeit einen Unfug oder eine Beleidigung erlaubte, konnte dafür mit dem Abschneiden der Haare bestraft werden. Ein geschabter (das heißt: geschorener) Nacken war demnach ein Zeichen für eine begangene Missetat. Im 14. Jahrhundert war der „schavernac“ außerdem eine Kopfbedeckung, die den kahlen Nacken vor Regen und Kälte schützte, eine Art mittelalterlicher Südwester. Während der Hut irgendwann aus der Mode geriet, ist die Bedeutung als Missetat geblieben, wobei sich diese über die Jahrhunderte zum mehr oder weniger harmlosen Streich aufweichte. Für einen Schabernack wird heute niemandem mehr der Nacken geschoren, höchstens noch der Kopf gewaschen.

Schabracke (w.) ist eine wenig schmeichelhafte Bezeichnung für eine nicht besonders attraktive, nicht mehr ganz junge Frau. Es kommt von „çaprak“, dem türkischen Wort für Satteldecke, das im Ungarischen zu „csábrák“ wurde und von dort in den deutschen Sprachgebrauch gelangte. Satteldecken dienten zur Zierde und nicht selten auch dazu, die Magrigkeit eines Pferdes zu verbergen. So wurde das Wort Schabracke schon bald auf alte Gäule und Klepper übertragen. Da auch die aufwendigen Kleider des Menschen oft den Zweck erfüllen, gewisse Nachteile zu kaschieren, avancierte die Schabracke schließlich zum Schmähwort für unattraktive Vertreter des weiblichen Geschlechts. Daneben ist die Schabracke nach wie vor eine Pferdedecke, aber auch ein dekorativer Behang zum Verdecken von Gardinenleisten oder Sofafüßen sowie eine Bügeleinlage zur Versteifung von Hüten und Taschen. Wenn ein Innenausstatter einem Kunden rät, auf die Schabracke besser zu verzichten, ist damit in der Regel nicht die Ehefrau gemeint.

Der Scharlatan (m.) ist ein Aufschneider, ein Schwätzer und Schwindler. Die italienische Stadt Cerreto war einst berüchtigt für ihre durchs Land ziehenden Händler, die mit marktschreierischen Methoden allerlei Arzneien und (meist wirkungslose) Wundermittel an den Mann zu bringen versuchten. So wurde der Händler aus Cerreto, der „cerretano“, zum Inbegriff für Quacksalberei. Daraus entwickelten sich die Wörter „ciarlare“ (= schwatzen) und „ciarlatano“, der Schwätzer, der über das Französische („charlatan“) seinen Weg ins Deutsche fand.

Schisslaweng (m.) hat keinesfalls mit Angst oder Ausscheidungen zu tun. Der Ursprung dieses Wortes, das sich im 18. Jahrhundert im Berliner Raum ausbreitete, ist möglicherweise französisch. Einige erklären es als Verballhornung von „ainsi cela vint“, was „so also war das“ bedeutet, andere führen es auf „c’est le vent“ zurück, zu Deutsch: „Das ist bloß der Wind!“ Insofern dürfte es zunächst für ein Gerücht, für eine unbewiesene Tatsachenbehauptung gestanden haben. Später wurde aus dem Schisslaweng das Extra, das einer Sache den besonderen Pfiff verlieh, zum Beispiel eine Feder an einem Damenhut, eine Sahneverzierung auf einer Torte oder ein schwungvoller Strich unter einer Unterschrift.

Ein Techtelmechtel (s.) ist eine Liebelei, eine Liebschaft. Das Wort entstand im 18. Jahrhundert in Österreich, vermutlich durch Übernahme des italienischen „teco meco“, das „ich mit dir, du mit mir“ bedeutet und für eine Verabredung unter vier Augen steht. Die heutige Bedeutung beweist, dass es dabei oft nicht bei einer bloßen Verabredung blieb.

Ein Tohuwabohu (s.) ist ein Durcheinander, ein Chaos. Dieses seltsam anmutende Wort ist so alt wie die Bibel. Im hebräischen Urtext der Schöpfungsgeschichte wird die Welt als „tohû wa vohû“ (1. Mos. 1, 2) beschrieben, als „Wüste und Leere“. Kinder richten in ihrem Zimmer gerne ein Tohuwabohu an, und es ist überaus sinnvoll, sie dieses selbst beseitigen zu lassen, denn so lernen sie, was es heißt, eine Welt zu erschaffen.

(c) Bastian Sick 2013


Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 5“ erschienen.

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