Mittwoch, 27. März 2024

Schöner als wie im Märchen

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Hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen, da lebte einst ein Mädchen, schöner wie eine Prinzessin. Seine Haut war weißer wie Schnee, die Lippen roter wie Blut und die Haare schwärzer wie Ebenholz. Sie kennen die Geschichte? Aber bestimmt nicht in dieser stilistisch bedenklichen Fassung.

Schneewittchen war nur mal eben hinausgegangen, um die Wäsche aufzuhängen, da brach der Streit von neuem los. „Ich werde Schneewittchen heiraten!“, rief der dicke Zwerg, „denn mich mag sie am meisten!“ – „Wie kommst du denn darauf?“, protestierte der dünne Zwerg, „Mich mag sie doch viel lieber wie dich!“ – „Ihr seid beide im Irrtum“, sagte der grimmige Zwerg, „Schneewittchen kann euch beide nicht leiden! Deshalb wird sie mich heiraten!“

„Ruhe!“, fuhr der älteste Zwerg dazwischen, den die anderen den Chef nannten. „Schneewittchen wird keinen von euch heiraten!“ – „Warum denn nicht?“, fragte der dicke Zwerg verdutzt. „Weil ihr nun mal Zwerge seid“, sagte der Chef, „fleißige, aufrechte, herzige Erzbergwerkzwerge, gewiss, aber eben Zwerge. Schneewittchen wird einen Prinzen in ihrer Größe heiraten!“

„Also, wenn’s nach der Größe geht, dann habe ich die besten Chancen“, behauptete der dicke Zwerg und stellte sich auf die Zehenspitzen, „denn ich bin der Größte von uns allen!“ – „Gar nicht wahr“, schrie der dünne Zwerg und sprang auf den Tisch, „ich bin größer wie du!“ – „Du irrst schon wieder“, widersprach der grimmige Zwerg, „erstens bist du ein Mickerzwerg, und zweitens heißt es größer als du, nicht größer wie du!“ – „Von mir aus, dann bin ich eben größer als wie du, Hauptsache, ich bin größer!“

„Nicht größer als wie du, sondern größer als du!“, knurrte der grimmige Zwerg, „wie kannst du glauben, Schneewittchen würde dich heiraten, wenn du nicht mal richtig Deutsch kannst!“

„Jetzt komm mir nicht mit Grammatik, Brummbär! Größer wie oder größer als, das ist doch ein und dasselbe!“ – „Nein, es ist nicht dasselbe. Es ist nicht mal das Gleiche!“, stellte der Chef klar. „Bei Gleichheit sagt man wie, und bei Ungleichheit als.“ – „Genau! Das nennt man Positiv und Komparativ!“, trumpfte der Grimmige auf. „Woher weißt du denn so was?“, fragte der Dicke ungläubig. „So steht’s im Grimmschen Wörterbuch!“, erwiderte der Grimmige von oben herab, worauf der Dünne patzig zurückgab: „Ach, erzähl doch keine Märchen!

„Brummbär hat Recht“, sagte der Chef, „die Vergleichspartikel wie steht nach dem Positiv, als hingegen nach dem Komparativ. Ich nenne euch ein paar Beispiele: Schneewittchens Haut ist so weiß wie Schnee. Keiner von euch ist so alt wie ich. Dieser Sommer ist genauso heiß wie der letzte. Die Sache ist genau so, wie ich sie euch erklärt habe.“ Der Chef machte eine Pause: „Das war der Positiv. Und jetzt kommt der Komparativ: Schneewittchens Haare sind schwärzer als Ebenholz. Ich bin älter und klüger als jeder andere von euch. Dieser Winter wird noch viel kälter als der letzte. Die Sache ist weitaus  komplizierter, als ich sie dargestellt habe.“

„Niemand bezweifelt, dass du der Klügste von uns bist, Chef“, sagte der Dicke, und der Dünne pflichtete ihm bei: „Du bist mindestens neunmal klüger wie wir.“ Der Chef schüttelte den Kopf: „Wenn überhaupt, dann bin ich neunmal so klug wie ihr.“  – „Oder neunmal klüger als wir!“, rief freudestrahlend der Dünne, der den Unterschied begriffen zu haben glaubte. „Das ist nicht ganz dasselbe“, schränkte der Chef ein, „neunmal klüger ist einmal mehr als neunmal so klug. Wäre ich neunmal klüger als ihr, dann wäre ich ein Zehnmalklug. Aber um das zu verstehen, braucht man ein Erbsenzählerdiplom. Und Erzbergwerkzwerge haben selten ein Erbsenzählerdiplom.“

Der Grimmige schüttelte den Kopf: „Hier steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor“, sagte er. „Falsch!“, rief der Dünne, „so klug wie zuvor!“ – „Das war nicht falsch, sondern von Goethe!“, knurrte ihn der Grimmige von der Seite an.

Der Chef nickte und fuhr fort: „In gehobener Sprache wird beim Komparativ auch gern das Wörtchen denn gebraucht, vor allem, um zu vermeiden, dass zwei als aufeinander folgen: Er ist besser als Koch denn als Chef. Lieber sterben, denn als Erzbergwerkzwerg zu enden.“

In diesem Moment kam Schneewittchen zur Tür herein. „Hallo, meine lieben Zwerge, da bin ich wieder“, flötete sie. „Hallo, Schneewittchen!“, rief der Dicke aufgeregt, „bitte sag uns, wen hast du von uns am liebsten? Wir müssen es wissen! Bin ich es?“ – „Oder ich?“, quiekte der Dünne. Schneewittchen warf den Kopf zurück und lachte. Dann sagte sie: „Aber ihr wisst es doch, meine lieben Zwerge, dass ich euch alle gleich lieb habe! Ich hab euch lieber als die Tiere im Wald, koche und putze für euch so oft wie möglich, fühle mich bei euch mehr daheim als in irgendeinem Schloss, nehme euch so wichtig wie gute Freunde, wie treue Kameraden, nein, mehr als das, ihr seid für mich … wie Brüder!“ Die Zwerge seufzten entzückt. Schneewittchen strahlte, und dann biss sie in den Apfel, den sie draußen von einem alten Mütterchen geschenkt bekommen hatte, fiel auf der Stelle um und war tot.

„Frauen und Äpfel, es ist doch immer das Gleiche!“, jammerte der dünne Zwerg. „Ja, aber nie dasselbe!“, bemerkte der grimmige Zwerg. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann streiten sie noch heute.

(c) Bastian Sick 2004


Fundstück: Lahmes Angebot

Diese Kolumne ist auch in Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ erschienen.

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12 Kommentare

  1. Dr. Gerald Hoefer

    Den richtigen Gebrauch von „wie“ und „als“ habe ich (Jg. 1933) schon in der Grundschule erlernt. Man kann über die alten Zeiten denken, wie man will – Grammatik wurde gepaukt, und das war gut so! „Intuitiv“ lässt sie sich nicht erlernen!
    Mit freundlichem Gruß!

    • 8einhalbmalklug

      Im Grunde ist es ja gerade völlig intuitiv!

      Sind mehrere Dinge verschieden (oder „ungleich“) werden sie gegenübergestellt, beziehungsweise verglichen [Komperativ: lat. comparare „vergleichen“]
      (z.B. wie bei > „größer als“, < "kleiner als")

      Ist hingegen "eins wie's andere", also inhaltlich gleichwertig, dann kommt eben ein "wie" zum Einsatz.

      Da ist es einfacher, "gute alte Zeiten" hin oder her, den Sinn der Regel zu verstehen, als unhinterfragt – wie blind – alles nur zu pauken.
      Allerdings kommt es dabei ja immer auf die Lehrenden an.
      Wer versucht solche Regeln unerklärt nur mit lateinischen Fachausdrücken zu begründen, sollte nicht verwundert sein, wenn fast jeder Grundschüler die deutsche Grammatik für ein mystisches, unerlernbares Hexenwerk hält und von vornherein zu dieser Materie auf Abstand geht.

  2. Rainer Göttlinger

    Sehr schön, Herr Sick, nur warum hat Herr Goethe denn nun die Form „als wie” gebraucht? Er war weder Bayer noch Franke. Hält man es in Hessen vielleicht auch so? Dann wäre „als wie” nicht falsch, sondern schlichtweg süddeutsch. Herr Goethe hätte sich dann zwischen zwei richtigen Formen entschieden, und zwar für diejenige, die in sein Versmaß paßt.

    @Lutz Hessen: Ihr „als wie” ist kein Komparativ, denn hier hier stehen ein „als” und ein „wie” hintereinander, die verschiedenen Satzteilen angehören. Klarer und sprachlich sauberer wird der Satz, wenn sie Cecilias Vorschlag folgen und das erweiterte Verb auf „aussehen wie du” umstellen.

  3. Ich plädiere ebenfalls dafür, dass „als wie“ schlicht süddeutscher Usus bzw. Dialekt ist, denn in der Pfalz sagt man das ebenfalls.
    Es könnte allerdings auch eine Einschleppung o.ä. sein, denn im Pfälzischen wird im Komparativ stets „wie“ benutzt. „Als“ gibt es zu diesem Zweck schlicht nicht. Das vereinfacht die Sache doch ungemein!
    „Als wie“ ginge zur Hervorhebung oder „Steigerung“, wie Lutz Hessen sagt, in der Pfalz dann auch. Ggf. ist dies ein Überbleibsel aus unserer bayrischen Zeit?

  4. Hermann Eckrodt

    Vor einigen Jahren tauschte ich mich diesbezüglich mit einem Freund in England aus, der auch ein ausgezeichnetes Deutsch spricht. Ich schrieb ihm, dass es sogar einmal ein Reklameplakat eines Leuchtmittelherstellers gab mit der Aufschrift „heller wie der lichte Tag“ und dass man im Alltag nicht selten Ausdrücke zu hören bekäme wie „besser wie“ und Ähnliches. Beim Lesen seiner Antwort konnte man sein Kopfschütteln förmlich sehen, und er schrieb zum Abschluss (auf Anführungszeichen hat er vermutlich absichtlich verzichtet): „Mir gefällt besser als besser als besser wie…“

  5. Ich zucke jedes mal zusammen, wenn Wissenschaftler, Politiker und Schriftsteller (!) im Fernsehen nur noch „wie“ sagen, egal ob komparativ oder nicht.

  6. Lieber Bastian – herrliche Kolumne das!! Und sie ist natürlich ein rotes Tuch für all die Süddeutschen, die stets „wie“ für alle Positive und Komparative verwenden. ( – war MIR hingegen immer böse in den Ohren klingelt…) Nein, diese differenzierte Sprechart sollte unbedingt erhalten bleiben – und diese Kolumne ist ein schönes Plädoyer dafür! Danke! 🙂

    LG
    Elke

  7. Hartmut Scheffer

    > für all die Süddeutschen
    Geht man nach dem, was man so im Fernsehen hört – nicht etwa nur bei befragten Passanten, auch bei Reportern, Moderatoren, Pressesprechern – liegt dieses Süddeutschland zwischen Sylt und Zugspitze.

    > Grammatik wurde gepaukt
    Ich weiß nicht. In den 60ern haben wir die Regel erklärt bekommen, das wars. Dann kommt es darauf an, ob man Wert auf saubere Sprache legt, oder nicht, Um mal den Begriff „Krümelkacker“ zu vermeiden.

    Damit meine Familie nicht jedesmal die Augen verdreht, wenn ich sie korrigiere, versuche ich, es ihnen schonend beizubringen. Ich versuche, in meine Erwiderung die korrigierte Fassung einzubauen. Nur den Sprechern im Fernsehen fahre ich brutal dazwischen, da kenne ich keine Gnade. Das ist so eine Macke von mir.

    Meine zweite Macke ist der Jammer mit Oben-Unten statt Nord-Süd.
    Also: Oben auf Sylt und unten auf der Zugspitze! :p

    Den Vogel schoss Günther Jauch ab, für den alles nördlich der Atmosphäre (er meinte das Weltall) böhmische Dörfer waren.

  8. Köstlich – lese ich immer wieder gern – lehrreich.
    Dennoch gibt es auch ein begründetes „als wie“, sogar deutsch korrekt! Nein, ich meine nicht die bayrisch-korrekte Steigerung „ois wia“, wie z. B. in ‚Minga is vui scheena ois wia Berlin‘.
    Aber richtig ist doch die Aussage: „Ich finde das viel besser, als wie Du auszusehen“ -oder?

  9. Meine Mutter (Jahrgang ’44) sagte auch immer „wie“ bei Steigerungen und wurde dann prompt von meinem Vater korrigiert. Darauf erwiderte sie immer: „als, wie – ist doch egal“. Und mein Vater schoss zurück: „Egal ist 88!“
    Heute versuche ich diese und andere grammatische Feinheiten australischen Sprachkursteilnehmern beizubringen – da sind die „Sick’schen Märchenstunden“ oft recht hilfreich. Danke!

  10. Aber auch hier in Bayern pflegt man das „als wie“ (gesprochen oiswia), sowohl bei der Steigerung als auch beim Vergleich. Somit kann man keine Fehler machen; es passt immer. Sprachbeispiele: (O-Ton) „I vadien mehra oiswia du.“ (Ich verdiene mehr als wie du.) „Du saafst oiswia’ra Ochs.“ (Dü säufst wie ein Ochse.) Host mi?

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